Vor finaler Abstimmung: Die Stunde der Wahrheit beim Mercosur-Pakt

Bauernproteste gegen Mercosur in Frankreich
Österreich könnte beim EU-Gipfel das Zünglein an der Waage sein. Befürworter und Gegner des Abkommens mit Südamerika bieten noch einmal all ihre Argumente auf.

Mit rund 700 Millionen Einwohnern könnte es die weltweit größte Freihandelszone werden. Seit rund 25 Jahren verhandelt die EU ein Abkommen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay – jetzt geht es ins Finale.

Beim nächsten EU-Gipfel am 20. Dezember hofft die Kommission nach vielen Zugeständnissen an die Skeptiker von Paris über Wien bis Warschau auf die nötige Mehrheit der Staats- und Regierungschefs.

Längst ist China zum Haupthandelspartner in dem südamerikanischen Staatenbund aufgestiegen. Spät aber doch will – und muss – Europa nachziehen.

Die EU braucht nach einer langen wirtschaftlichen Durststrecke neue Partner und regelbasierte Handelsabkommen als Gegenentwurf zu den Deals in Trumpscher Wild-West-Manier. Das Ziel von Mercosur ist der Abbau von Zöllen und die Belebung des gegenseitigen Handels.

Also: Autos, Maschinen oder Pharma-Produkte nach Südamerika, landwirtschaftliche Produkte und wichtige Rohstoffe nach Europa. Laut Kommission könnten die jährlichen Exporte nach Südamerika um bis zu 39 Prozent (49 Milliarden Euro) steigen und 440.000 Jobs in der EU gesichert werden.

Das Abkommen könnte freilich auch als Blaupause für weitere Vereinbarungen auf Augenhöhe dienen. Ökonomen wären etwa von einem Pakt mit den reichen Vereinigten Arabischen Emiraten angetan. Scheitert Mercosur, wäre das ein Schritt mehr in Richtung globaler Bedeutungslosigkeit Europas.

Wollen die Befürworter ein „Anti-Trump-Abkommen“ und seltene Erden aus Südamerika, statt weiter von China abhängig zu sein, werfen auch die Gegner noch einmal all ihre Befürchtungen in die Waagschale. Vor allem Bauernvertreter und Umweltschützer verweisen auf die Gefahren der Regenwald-Rodung für das Weltklima oder warnen vor einer Flut an Billigfleisch.

Klimaziele verankert

Trotz zahlreicher Nachverhandlungen – so ist etwa die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele rechtsverbindlich festgehalten – ist das Abkommen wegen des hinhaltenden Widerstandes bis heute nicht in Kraft. Das könnte sich nun ändern, zeichnet sich doch langsam aber sicher die in Brüssel nötige Mehrheit für das Abkommen ab.

Experten wie WIFO-Agrar-Ökonom Franz Sinabell sprechen ohnehin von „Mythen“ aufseiten der Mercosur-Gegner. Ein Beispiel: Zu den bereits heute pro Jahr aus den Mercosur-Ländern importierten 200.000 Tonnen Rindfleisch kämen durch das Abkommen 99.000 Tonnen zollfrei hinzu. Das entspricht gerade einmal rund einem Prozent des Konsums an Rindfleisch in der EU, beruhigen auch Experten in Brüssel wie Bernhard Lange.

Finale Unterschrift

Der deutsche Sozialdemokrat, Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel im EU-Parlament, verweist auf die geglückten EU-Abkommen mit Neuseeland oder Indonesien und wirbt offen für Mercosur. Lange: „Seit 2019 hat sich das Abkommen substanziell verändert. Mercosur entspricht jetzt dem Standard der anderen Abkommen. Ich rechne noch mit intensiven Diskussionen und einigen Zugeständnissen vor der finalen Unterschrift am 20. Dezember. Aber Stand heute gehe ich von einer harmonischen Abstimmung im Rat aus.“

Noch Fragezeichen vorhanden

Die Bedenken Frankreichs, geschürt von der dortigen Agrar-Lobby, gelten mittlerweile als weitgehend ausgeräumt, hört man in Brüssel. Kritisch sei weiterhin die Haltung Polens, Fragezeichen gibt es noch hinter der Haltung von Ländern wie Belgien, den Niederlanden, Ungarn oder Österreich.

Weil in Brüssel eine qualifizierte Mehrheit nötig ist, könnte am Ende Österreich sogar das Zünglein an der Waage sein. Umso intensiver ist das Lobbying Für und Wider Mercosur. Der ÖVP-Wirtschaftsbund, Industriellenvereinigung, Teile der SPÖ, die Neos und Ökonomen sind dafür – ÖVP-Bauernbund, die Grünen, die FPÖ und zahlreiche NGOs sind dagegen.

Ja, ohne Österreich

Wegen eines alten Neins zum Abkommen im österreichischen Parlament dürfte Kanzler Christian Stocker am EU-Gipfel momentan gar nicht zustimmen. Denkbar ist daher noch der Versuch, entweder im Parlament quasi eine Last-Minute-Abstimmung Pro-Mercosur zu schaffen. Oder es läuft für die Regierung bequemerweise darauf hinaus, dass in Brüssel die Mehrheit für das Abkommen ohne Österreich zustande kommt.

„Wir können uns nicht erlauben, auf Mercosur zu verzichten“, sagt Fiskalratspräsident Christoph Badelt. Auch WIFO-Chef Gabriel Felbermayr rät angesichts der Dauerflaute dringend zu einem „Ja“ zu Mercosur. Stocker oder die SPÖ-Führung müssten „ein Machtwort sprechen“, um der Wirtschaft eine Chance auf Wachstum und der EU-Handelspolitik ihre Glaubwürdigkeit zurückzugeben.

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