Vor vier Monaten ist Erwin Hameseder zum Raiffeisen-Generalanwalt gewählt worden. Damit vertritt er die Raiffeisen-Organisation und Genossenschaften mit rund 2 Millionen Mitgliedern und mehr als 60.000 Mitarbeitern. Im Gegensatz zu seinem Vor-Vorgänger Christian Konrad tritt Hameseder dezenter auf, aber dennoch deutlich pointierter als sein direkter Vorgänger Walter Rothensteiner. In seinem ersten Interview in der neuen Funktion legt er der Politik und der Finanzmarktaufsicht auch zwei klare Forderungen auf den Tisch. Die Wirtschaft dürfe durch unnötige Reglementierungen in dieser ohnehin schwierigen Zeit nicht zusätzlich belastet werden.
KURIER: Sie haben als Generalanwalt und einer der wichtigsten Raiffeisen-Manager des Landes einen guten Überblick über die wirtschaftliche Situation. Wie geht es den Unternehmen in Österreich aktuell?
Erwin Hameseder: Nach den Corona-Jahren und durch die jetzige Teuerung vor allem bei der Energie knirscht es bei vielen Klein- und Mittelunternehmen schon ganz ordentlich. Das geht bis hinein in die Bevölkerung. Über die Bankengruppe merken wir, dass nicht wenige schon auf ihre Reserven zurückgreifen. Deswegen verstehe ich nicht, dass weitere Maßnahmen gesetzt werden, die die Lage noch verschärfen.
Bleiben wir noch kurz bei der aktuellen Situation: Muss es wieder staatliche Hilfspakete für die Wirtschaft geben, um eine Insolvenzwelle zu verhindern?
Nicht unmittelbar jetzt. Die Raiffeisen-Banken versuchen ihrerseits zu helfen. Das funktioniert derweil recht gut. Aber ich bin ganz sicher, dass es Maßnahmen seitens des Staates braucht, ähnlich wie bei Corona, da geht es oftmals um Liquiditätshilfen. Denn bei den hohen Energiekosten geht es ja vielfach um Cash. Das können Haftungen oder Ausfallsgarantien sein, weil wir sonst ab Mitte 2023 mit einem spürbaren Anstieg bei den Insolvenzen rechnen müssen. Wichtig ist aber auch, dass regulatorischen Vorgaben angepasst werden.
Sie kritisieren regulatorische Vorschriften. Was meinen Sie damit?
Dass ich nicht missverstanden werde: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Regulierungen, vieles nach der Finanzkrise war richtig und hat Vertrauen in die Banken wieder gestärkt. Heute geht es aber auch um Augenmaß und Realismus. Nehmen wir die aktuelle Verordnung zu Immobilienfinanzierungen, für den Hausbau oder Wohnungskauf. So, wie sie ist, verhindert sie Kredite und verschärft die Krise. Eine ähnliche Lage gibt es der Verordnung über zusätzliche Risikopuffer bei Banken, die aktuell von der FMA in Begutachtung geschickt wurde. Jetzt, wo das Wachstum ohnehin nachlässt, würde so eine Maßnahme den Spielraum der Banken bei Finanzierungen zusätzlich einschränken.
20 Prozent Eigenmittel, 40 Prozent vom Haushaltsnettoeinkommen als maximale Rate und höchstens 35 Jahre Kreditlaufzeit – sollen diese Grenzen gelockert werden?
Nein, diese Verordnungen müssen komplett weg. Als man begonnen hat über sie nachzudenken, mag die Überlegung ja noch richtig gewesen sein. Aber es haben sich doch die Rahmenbedingungen seit Kriegsbeginn komplett geändert. Diese Verordnungen sind volkswirtschaftlich nicht vertretbar. Wir haben Fälle, dass junge Familien, die den Hausbau ausfinanziert haben und können wegen der gestiegenen Baukosten das Haus nicht mehr fertigbauen, weil 50.000 Euro fehlen. Das kann nicht sein.
Ein zweiter Dorn im Auge ist für Sie die Lieferkettenverordnung. Die EU plant, dass jedes Unternehmen entlang seiner gesamten Lieferkette dafür verantwortlich ist, ob Umwelt- und Menschenrechtsstandards eingehalten werden. Was spricht dagegen?
Da spreche ich für alle unsere Unternehmen und Genossenschaften. Dieser Entwurf darf so wie vorgeschlagen nicht Gesetz werden. Da braucht es noch ein deutliches Umdenken. Es kann ja nicht sein, dass man von einem mittelständischen Lagerhaus erwartet quasi Detektivarbeit zu leisten, um Verstöße in anderen Ländern zu überprüfen. Diese Privatisierung staatlicher Aufgaben erscheint mir unzumutbar.
Ist es moralisch vertretbar, mit der Bank immer noch in Russland zu sein?
Die RBI hat dort 4,5 Millionen Kunden, das sind Privatkunden, viele westliche Unternehmer, die uns vertrauen, die mit dem Krieg alle nichts am Hut haben. Johann Strobl hat darauf hingewiesen: Eine Bank kann man nicht einfach über Nacht zusperren. Das wäre moralisch verwerflich – nicht zuletzt gegenüber Kunden und Mitarbeitern, die auf uns vertrauen. Aber wir helfen, wo immer wir können, in der Ukraine und den Menschen, die zu uns geflüchtet sind. Und hoffentlich können wir als Bank in der Ukraine beim Wiederaufbau helfen, wenn es gewünscht ist.
Generalanwälte haben sich auch immer zur österreichischen Politik geäußert. Wie sehen Sie die jüngsten Entwicklungen in der Causa Kurz vs. Schmid?
Die politische Kultur, die wir insgesamt erleben, kann ich nur als befremdlich bezeichnen. Mit dem ständigen Streit können die Menschen nichts anfangen. Jetzt besteht jedenfalls einmal die Chance, dass klar wird, wo es zu Anklagen kommt und welche Verfahren eingestellt werden können. Denn wird man heute angezeigt, ist man ja oft de facto auch schon vorverurteilt, und das über eine lange Zeit.
Ihre Vorgänger Konrad und Rothensteiner waren sehr unterschiedlich. Der eine lauter, der andere ruhiger. Wie legen Sie die Rolle an?
Alles hat seine Zeit. Bestimmte Verhaltensmuster waren vor zehn Jahren adäquat und sind jetzt nicht mehr zeitgemäß. Ich werde sicher nicht laufend zur Tagespolitik Stellung nehmen, außer es geht um das Eingemachte. Aber ich werde in wichtigen Fragen, zum Beispiel auch wenn es um die Abstimmung mit der EU geht, bei den politischen Verantwortungsträgern unsere Meinung positionieren, immer mit Sachargumenten und nicht aus der Emotion heraus.
Die Frage, ob Flüchtlinge in Österreich in Zelten untergebracht werden, ist für Sie zu viel Tagespolitik und nicht zu kommentieren?
So, wie das jetzt diskutiert wird, ja. Aber für mich ist wichtig, was im Hintergrund passiert. Zum Beispiel, dass wir von Raiffeisen Flüchtlinge untergebracht haben. Das erzähle ich nicht jeden Tag, aber das tun wir einfach.
Eine starke Stimme, die aber nicht immer laut auftritt?
So ist es. Aber wenn man eine starke Stimme sein will, muss man auch schon selbst Maßnahmen gesetzt haben.
Erwin Hameseder
Nach Offizierslaufbahn und Jusstudium wechselte er vor 35 Jahren in den Raiffeisenkonzern. Der 66-jährige Niederösterreicher aus Mühldorf in der Wachau wurde vom Industriemagazin 2020 in der Liste der einflussreichsten Manager des Landes auf Platz zwei gewählt
Der Generalanwalt
ist der höchste Repräsentant der Raiffeisenorganisation und des Verbandes. Die Amtsperiode beträgt 4 Jahre. Hameseder trat die Funktion am 30. Juni 2022 an
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