Neue Arbeitswelt: Zeit statt Geld

50.000 Beschäftigte können sich zusätzlich Freizeit „erkaufen“. Die Idee findet Anklang.

In der heimischen Elektroindustrie ist die umstrittene sechste und sogar eine halbe siebente Urlaubswoche unabhängig vom Alter der Mitarbeiter und der Dauer ihrer Firmenzugehörigkeit praktisch umgesetzt. Wenn auch nur auf Umwegen: In der heurigen Lohnrunde vereinbarten Arbeitgeber und Gewerkschaften erstmals eine sogenannte Freizeitoption. Diese sieht vor, dass die Mitarbeiter statt der Ist-Lohn-Erhöhung – ab 1. Mai gibt es 2,8 bzw. 3 Prozent brutto mehr – künftig im selben Ausmaß kürzer arbeiten können. Die sogenannte Freizeitoption bedeutet, dass die Arbeitszeit um zumindest 60 Stunden pro Jahr reduziert wird. Bei einer 38,5-Stundenwoche ergibt dieser Tausch Geld gegen Freizeit gut eineinhalb Wochen mehr Urlaub.

Bedingung ist eine Betriebsvereinbarung. Und der Arbeitgeber muss trotz Betriebsvereinbarung in jedem einzelnen Fall zustimmen, einen Rechtsanspruch auf kürzere Arbeitszeit gibt es nicht. Und die „erkaufte“ Freizeit gilt nur im eigenen Unternehmen, mitnehmen kann man die Vereinbarung bei einem Jobwechsel nicht.

Neue Arbeitswelt: Zeit statt Geld
Karl Proyer, Vizechef der Angestelltengewerkschaft GPA-djp, der den Deal mit ausgehandelt hat: „Die Freizeitoption ist ein Erfolg, weil sie für alle gilt und nicht nur für eine Gruppe von Arbeitnehmern.“ Die Arbeitgeber wollten den Tausch Geld gegen Freizeit ursprünglich nur für Arbeitnehmer ab 50 als ersten Schritt für ein altersgerechtes Arbeitszeitmodell. Die Vereinbarung ermögliche, so Proyer, auch Jüngeren, mehr Zeit bei ihrer Familie zu verbringen.

Die Gewerkschaften sind überzeugt, dass das Modell großen Anklang finden werde. Metaller-Chef Rainer Wimmer, der für die Arbeiter der Elektrobranche verhandelt hat: „Das Echo in den Unternehmen ist sehr groß.“ Lothar Roitner, Geschäftsführer des Branchen-Fachverbandes FEII, sieht auf Arbeitgeberseite ebenfalls viel Interesse an der neuen Flexibilisierungs-Möglichkeit: „Die Reaktionen sind sehr positiv, aber jetzt müssen wir abwarten, wie viele Unternehmen das Modell auch umsetzen.“

Ansteckung

Wimmer ortet auch Appetit anderer Branchen: „Das Echo aus anderen Gewerkschaften ist sehr positiv, ich erwarte den einen oder anderen Vorstoß auch in anderen Lohnrunden.“ Eine der ersten Adressen dafür ist die größte Metallbranche, die Maschinen- und Metallwarenindustrie mit rund 120.000 Beschäftigten. Dort soll das Thema bei der Herbstlohnrunde – die auf Gewerkschafterseite von Wimmer und Proyer verhandelt wird – aufs Tapet kommen. Der oberste Arbeitgebervertreter der Branche, Christian Knill, will sich aber noch nicht festlegen: „Es ist noch zu früh für eine Bewertung des Modells in der Elektroindustrie. Aber die Freizeitoption würde gut zu unserem Thema altersgerechte Arbeitszeitmodelle passen.“

Noch offen ist in der Elektroindustrie, ob man den Tausch später auch einmal rückgängig machen kann. Proyer: „Ein einmaliger Rücktausch sollte möglich sein.“

Die Lohnrunde für rund 45.000 Tischler und Kunststoffverarbeiter stockt. Weil sich Arbeitgeber und die Gewerkschaft Bau/Holz nicht auf eine Ist-Lohn-Erhöhung einigen konnten, läuft der geltende Kollektivvertrag mit 1. Mai aus.

Hintergrund des Streits sind die Ist-Lohnerhöhungen: Die Arbeitgeber weigern sich – kritisiert die Gewerkschaft – die Höhe der Überzahlung im Ausmaß der Ist-Lohn-Erhöhung fortzuschreiben. Im Gegensatz zu geltenden Praxis würden sie über die Höhe der Ist-Lohnsteigerungen einseitig entscheiden. Viele Mitarbeiter würden dadurch keine Reallohnerhöhung bekommen. Die Gewerkschaft ließ die Lohnrunde wegen dieses Streits platzen.

Die Arbeitgeber wollen hart bleiben. Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage könne man, so Chefverhandler Josef Breiter, nicht über eine generelle Ist-Lohn-Erhöhung verhandeln. Für die Tischler dürfte es dennoch mehr Lohn geben: Die Unternehmervertreter der Branche empfehlen den Firmen, die tatsächlich bezahlten Löhne mit 1. Mai 2013 um 2,85 Prozent zu erhöhen.

Auch in der Chemischen Industrie spießt es sich. Die Arbeitgeber boten in der Vorwoche in der dritten Verhandlungsrunde 3 Prozent mehr. Die Gewerkschaft fordert 3,6 Prozent und brach die Verhandlungen ab.

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