Geschwächelt hat aber seit Jahresbeginn nicht nur der Online-Gigant. Der Einzelhandel hat heuer allgemein zu kämpfen. Richtig schwer hat es der stationäre Einzelhandel. Das sieht man etwa am populären US-Konzern Walmart. Um knapp 12 Prozent sackte dessen Aktie seit Jahresbeginn nach unten. Ähnlich düster sieht es bei den Mitbewerbern aus: Target rasselte überhaupt um 30 Prozent nach unten, Macy’s um 13 Prozent, Kohl’s um 17 Prozent.
Global sind das lauter klingende Namen – aber derzeit mit veritablen Problemen. Im Mai kürzte Walmart seine Gewinnprognose. Und das, obwohl man im Februar, dem Beginn des laufenden Bilanzjahres, noch sehr euphorisch war. Dann kam aber das Ende des ersten Quartals – und Walmart machte in selbigem knapp ein Viertel weniger Gewinn als ein Jahr davor. Auch Target reduzierte das Gewinnziel.
Viele Probleme
Die Einzelhandelsgiganten kämpfen mit einer Reihe von Problemen. Da sind einmal die Inflation und die Lieferkettenproblematik. „In der Pandemie waren erstmals Waren nicht mehr immer zu bekommen. Da haben offensichtlich viele Retailer begonnen zu bestellen, damit ihnen das nicht noch einmal passiert“, sagt Rosen. Mittlerweile haben sich die Lieferketten einigermaßen normalisiert. Aber: Durch Inflation, steigende Energiekosten etc. würden Konsumenten Anschaffungen momentan eher auslassen. „Gleichzeitig sitzen die Retailer auf steigenden Warehouse-Kosten (Lagerhaus-Kosten, Anm.). Just-in-time hatte ja den Charme, dass es kosteneffizient und billig war.“
Was die Expertin auch beobachtet: „Die Mitte gerät unter Druck. Discounter und das Luxussegment gehen gut, das ist im Einzelhandel so, auch bei Hotels.“ Das Kaufverhalten ist angesichts der genannten Gründe momentan ein geändertes. Dinge des täglichen Bedarfs müssen gekauft werden. Aber: „Wer es sich leisten kann, geht jetzt eher auf Reisen, als dass Konsumgüter gekauft werden, weil die Leute das sehr lange nicht konnten.“
Nachhaltigkeitsgedanken würden gerade in Amerika eher weniger dazu beitragen, dass der Konsum hintangehalten wird, denkt Rosen. Was das Konsumverhalten aber sehr wohl ebenfalls beeinflusst: „Die steigenden Zinsen beginnen die Immobilien zu belasten. Und wenn man keine neue Immobilie hat, braucht man auch keine neue Einrichtung.“
Der Druck auf Walmart und Co. kommt aber nicht nur aus der post-pandemischen Situation bzw. von der Inflation, sondern auch vom mächtigen Mitbewerber Amazon. Zwar sieht es für den aktuell beim Aktienkurs eben auch nicht gerade rosig aus, aber es ist doch anzunehmen, dass Amazon sich rascher erholt, weil Faktoren wie hohe Immobilienkosten etc. wegfallen. Wiewohl natürlich die Fracht- und Logistikkosten auch hier stark zu Buche schlagen. Und: „Amazon tritt wie viele Tech-Unternehmen, siehe Netflix, gegen die eigenen fantastischen Zahlen an“, so Rosen, immerhin waren sie 2021 die großen Krisengewinner.
Rasche Erholung
Auch Analysten glauben bei Amazon an eine relativ rasche Erholung. Bei Amazon ist die Stimmung deutlich bullischer (Erwartung steigender Preise, Anm.) als bei den stationären Retailern. Sie gehen davon aus, dass sich die Verzerrung im Kaufverhalten austarieren wird, wenn Covid überwunden ist und Amazon die Dominanz wieder ausspielen kann. Amazon will auch im stationären Handel mehr mitmischen – und hat vor kurzem in der Nähe von Los Angeles sein erstes Mode-Kaufhaus eröffnet.
Wie die Zukunft wird, ist natürlich schwierig zu prognostizieren. Zum einen hängt vor allem was die Entwicklungen an der Börse angeht, vieles von der Entwicklung der Inflation und der Zinsanhebungen der Fed ab. „Die Börse als Vorlaufindikator dreht immer schneller als die Konjunktur. Wenn der Markt beginnt darüber zu spekulieren, dass sich die Situation abschwächt oder beruhigt, dann würde ich Impulse für die Börse erwarten“, so die Börsenexpertin. Gerade bei den Retailern stellt sich für die weitere Geschäftsentwicklung jetzt auch schon eine ganz besondere Frage: Wie wird das Weihnachtsgeschäft?
Kommentare