Chinas „Belt and Road Iniative“ – besser bekannt unter ihrem populären Namen Neue Seidenstraße – ist vor allem eins: eine Story, die geschickt mit historischen Versatzstücken spielt und so eine positiv besetzte Brücke aus der fernen Vergangenheit in die Zukunft schlägt. Das lässt Chinas handfeste geostrategische und wirtschaftliche Interessen gleich viel sympathischer erscheinen.
Und so stört es auch kaum, wenn wilde Spekulationen angestellt werden, wie viel Geld tatsächlich in diese Land- und Meeresbrücke zwischen Europa und Asien fließen soll. Zu den geplanten Investitionen finden sich nämlich Angaben, die von 500 bis hin zu 8.000 Milliarden Dollar reichen.
„Positives Narrativ“
Die Idee ist freilich eine, die sich Europa zu eigen machen sollte, findet Mario Holzner, Chef des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). „Das ursprüngliche Narrativ zur Gründung der EU ist mittlerweile in Vergessenheit geraten, im Moment dominieren rund um den Brexit negative Aspekte der Auflösung“, sagte Holzner bei einer Podiumsdebatte am Joint Vienna Institute (JVI) in Wien.
Verlauf und Kosten
Da käme ein großes, zukunftsweisendes Investitionsprojekt mehr als gelegen. Das WIIW hat in einer im August erschienenen Studie untersucht, wie ein europäisches Äquivalent zur Seidenstraße aussehen könnte, wo dieses verlaufen müsste (siehe Grafik oben) und wie viel es kosten würde.
Die Idee sei es, mit einer nördlichen und südlichen Landroute große Industrieregionen und Handelsdrehscheiben im Westen (wie Lyon, Paris, Mailand, Donauroute, Schwarzmeer-Region) mit den bevölkerungsreichen Nachbarregionen, von Russland bis in die Kaukasusregion, zu verbinden. In dem Großraum seien 480 Millionen Menschen zu erreichen, deren Einkommen gerade einmal die Hälfte des EU-Niveaus erreicht.
Das Projekt sei keine Konkurrenz zu China, sondern komplementär: Die Routen würden sich ergänzen.
Sinnvoll wäre die Errichtung hochmoderner Straßen, die für Autonomes Fahren und E-Autos vorbereitet sind, sowie Bahn-Hochgeschwindigkeitsverbindungen für Personen- und Gütertransport. Ein Neubau sei, auch entlang bestehender Verkehrswege, vermutlich günstiger.
Alles in allem wäre das Netz 11.000 Kilometer lang, von Lissabon bis ins kasachische Oral sowie von Mailand bis Wolgograd und Baku. Angedacht seien entlang der Route fünf Meeres-, zehn Fluss- und sechs Flughäfen sowie zwölf Logistikzentren.
1.000 Milliarden Euro
Die Kosten veranschlagt das WIIW – mit bewusst hohen Preisen gerechnet – dafür mit 1.000 Milliarden Euro. Das klingt astronomisch und völlig illusorisch. Allerdings, so Holzner, seien das rund 7 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung; und der Betrag sei auf mindestens ein Jahrzehnt zu betrachten.
Allein aus der Bautätigkeit ließen sich im Schnitt 3,5 Prozent BIP-Wachstum und zwei Millionen neue Jobs generieren. Auf Österreich umgerechnet würde die Bautätigkeit über ein Jahrzehnt 34.000 Jobs schaffen, im Idealfall könne der Wert auf bis zu 121.000 ansteigen. Auf der Nordroute ließen sich 8 Prozent Transportzeit einsparen, die EU-Exporte nach Russland könnten um 11 Prozent steigen.
Günstig wie nie
Für das Projekt spreche, dass die Finanzierung im aktuellen Zinstief historisch günstig und Staatsinvestitionen besonders effektiv seien, sagte der langjährige Nationalbank-Ökonom Franz Nauschnigg. Aber wäre die Mega-Investition auch in einigen Jahrzehnten noch richtig?
Vorbehalte, dass ökologische und politische Bedenken (Stichwort Klimaschutz und Protektionismus) oder der technologische Wandel dagegensprechen könnten, teilten die Referenten nicht.
Selbst wenn im Zuge der Digitalisierung öfter Daten als Produkte auf die Reise geschickt würden: „Ich denke nicht, dass Handel schlagartig obsolet wird“, sagte Holzner.
Und selbst dann wäre es vernünftig, wenn sich nicht nur Chinesen, sondern auch Europäer in Hochgeschwindigkeitszüge setzen könnten, um Mittelstrecken von 600 Kilometern zu überbrücken: „Dann müsste man nicht jedes Mal ein Flugzeug besteigen.“
Ökologisch spricht vieles für die Bahn. Bereits seit April 2018 sind Züge der ÖBB-Gütertochter Rail Cargo Austria (RCA) auf der Strecke Wien-Chengdu (China) unterwegs .
Praktische Probleme
Heuer sind 600 Züge eingeplant, deren Fahrtzeit normal 10 bis 12 Tage betrage, sagte RCA-Geschäftsführer Osman Erol. Allerdings gebe es aktuell wegen des Russland-Ukraine-Konfliktes an der Grenze Probleme, die ab Oktober hoffentlich gelöst seien. Die Abfertigung in China brauche wegen der Zollformalitäten ein bis zwei Tage. Erol hofft, dass es 2020 nur noch sechs Stunden dauert.
Das Prestigeprojekt von Xi Jinping
2013 präsentierte Chinas Präsident Xi Jinping die Vision einer engen Kooperation zwischen Ländern entlang antiker Handelswege, bekannt als „Seidenstraße“. De facto sind das mehrere Routen, die China über den Land- wie Seeweg über Zentralasien mit Indien und Europa verbinden. Das später in „Belt and Road Initiative“ (BRI) umbenannte Projekt ist offen für weitere Länder.
Gründungsmitglied Österreich
Zu den ersten konkreten Schritten gehörte die Gründung der „Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank“ (AIIB), die seit Jänner 2016 tätig ist, mehr als 100 Länder umfasst und auf Infrastrukturinvestitionen abzielt.
Österreich zählte zu den Gründungsparteien, zahlte 100 von 500,8 Millionen US-Dollar Zeichnungskapital ein und hält ein Stimmgewicht von 0,66 Prozent.
Kritisch wird inzwischen gesehen, dass sich China in viele europäische Häfen eingekauft hat. Auch die undurchsichtige Finanzierung stößt auf Widerstand. Über scheinbar großzügige Kredite schafft China Abhängigkeiten und sichert sich im Pleitefall den Zugriff auf wichtige Infrastruktur.
Kommentare