E-Control: "EU ist über Energie erpressbar"

Wegen des Konflikts hat Russland bereits im Frühjahr die Gaslieferungen an das Nachbarland eingestellt, dessen Gasspeicher nur noch wenige Wochen reichen.
E-Control-Vorstand Walter Boltz über Europas Alternativen zu russischem Gas.

Walter Boltz, Vorstand der heimischen Strom- und Gasregulierungsbehörde E-Control, über die Folgen der Ukraine-Krise für die Energieversorgung in Europa.

KURIER: Die Krise in der Ukraine schürt in Europa Ängste, dass die Energie-Lieferungen aus Russland gestoppt werden könnten. Kann sich das Russland überhaupt so ohne Weiteres leisten?

E-Control: "EU ist über Energie erpressbar"
BILD zu OTS - Rund 90.000 Haushalte (rund 170.000 Personen) sind in Österreich von Energiearmut betroffen, wie aus einer neuen Studie im Auftrag der E-Control hervorgeht. Im Bild: E-Control-Vorstand Walter Boltz.
Walter Boltz:Für Russland und Gazprom ist die europäische Abnehmerschaft von Gas eine ganz wichtige Komponente. Vor diesem Hintergrund sind natürlich auch die Aktivitäten, die die OMV jetzt vereinbart hat, zu sehen (vergangene Woche wurde zwischen OMV und Gazprom die Anbindung Österreichs an die South-Stream-Pipeline vereinbart, Anm.) Die Chinesen, die oft ins Spiel gebracht werden, sind weit weg. Über tausende Kilometer durch anspruchsvolles Gelände eine Pipeline zu bauen, ist eine riesige Herausforderung – die Frage ist auch, ob es wirtschaftlich ist. Das ist für Russland eher eine theoretische Option.

Trotzdem fürchtet man in Europa, Russland könnte den Gashahn zudrehen. Wie schnell wäre das für Österreich und andere EU-Staaten ein Problem?

Es gibt Länder, zum Beispiel das Baltikum und Bulgarien, die exklusiv von Gazprom abhängig sind. Das ist ein Problem für ganz Europa, weil diese Länder erpressbar sind. Das zweite ist die Art der Unterbrechung: Wenn einmal für zwei Wochen kein Gas über die Ukraine geliefert wird, ist das mit Ausnahme der genannten Länder völlig egal. Österreich speichert 80 Prozent seines Jahresverbrauchs. Aber wenn Russland für zwei Jahre kein Gas liefer, wird es schwierig: So viel Gas ist am freien Markt nicht verfügbar.

Einige in der EU hoffen nun auf Schiefergas aus den USA.

Wenn die Amerikaner sagen, sie beliefern uns mit Schiefergas, dann ist das nett gemeint. Für eine Verflüssigungsanlage gibt es fünf bis sechs Jahre Vorlaufzeit – da darf aber nichts schiefgehen. Da dürfen keine Umweltbewegungen dagegen sein. Und die US-Industrie darf nicht gegen den Export sein, weil dann die Preise in den USA steigen. Die Vorstellung, dass uns die Amerikaner da jetzt groß mit günstigem Schiefergas beliefern, ist naiv.

Das heißt: Ganz ohne Energie aus Russland wird es also auch in Zukunft nicht gehen?

Es geht auch gar nicht darum, gar kein Gas mehr von Russland zu kaufen. Das wäre dumm. Aber wir müssen sicherstellen, dass es Alternativen gibt. Das heißt: In Leitungen und Anlagen investieren. Ein Beispiel: Europa hätte derzeit genug Kapazität, um russisches Gas durch Flüssiggas zu ersetzen – nur stehen die meisten Anlagen auf der iberischen Halbinsel und von dort gibt es keine Pipelines nach Zentraleuropa, weil das nie jemand gebraucht hat.

Wie kann es die EU schaffen, dass einzelne Länder nicht mehr über Gaslieferungen aus Russland erpressbar sind? Durch gemeinsame Gas-Einkäufe, wie Polens Regierungschef Donald Tusk das nun vorgeschlagen hat?

Natürlich hätte man gemeinsam eine ganz andere Verhandlungsbasis als etwa Estland alleine, das die Bedingungen der Russen akzeptieren muss. Aber die Bereitschaft ist von Land zu Land unterschiedlich: Die Osteuropäer würden gerne, in Deutschland glaubt vielleicht allein besser mit Moskau verhandeln zu können. Es wäre schade, wenn es nicht gelingt, eine einheitliche Linie zu schaffen. Ziel muss sein, dass alle EU-Länder auf Augenhöhe mit Russland verhandeln können: Wir kaufen bei euch, wenn der Preis stimmt, aber einmischen braucht’s euch nicht.

Wird Gas zwangsläufig teurer, wenn die EU in Anlagen und Pipelines investiert, um unabhängiger zu sein?

Ich glaube nicht. Wir brauchen zwar einige Investitionen in die Infrastruktur. Die Mehrkosten sollten aber kompensiert werden, weil mit mehr Wettbewerb die Preise sinken.

Windräder laufen im Norden Deutschlands auf Hochtouren und auch Solar-Anlagen produzieren in Bayern, das nicht gerade für übermäßig viele Sonnenstunden bekannt ist, viel mehr Strom, als Experten jemals gedacht hätten. Die Folge: Strom ist in Deutschland und Österreich zu einem Produkt geworden, das viele Stunden im Überfluss vorhanden ist.

In einer funktionierenden Marktwirtschaft würden in diesem Fall die Preise kräftig sinken. Doch die heimische E-Wirtschaft tickt anders. Die Strompreise für die Haushalte sind seit Langem unverändert hoch. Nur im Großhandel sind die Preise für elektrische Energie seit Jahren im Fallen. Davon aber profitieren ausschließlich die Großindustrie und Energiehändler sowie -versorger.

E-Control-Chef Walter Boltz geht davon aus, dass die niedrigen Strompreise im Großhandel mindestens bis 2016/’17 anhalten werden, da kein Rückgang der Produktion von erneuerbarer Energie zu erwarten sei. Er fordert die Versorger daher auf, die tiefen Großhandelspreise für Strom rasch an die Endkunden weiter zu geben.

Hohe Stromimporte

Die Überproduktion an Strom in Deutschland führt zu steigenden Importen in Österreich. "Die deutsche erneuerbare Energie fließt über Polen und Tschechien nach Österreich", erklärt Boltz. Im Jänner 2014 lagen die Stromimporte fast 30 Prozent dem Vorjahresmonat, im Februar sogar gut 40 Prozent. Im Gegenzug gingen die Exporte im gleichen Ausmaß zurück. Der Vorteil der hohen Strombezüge: Die niedrigen deutschen Großhandelspreise werden mitimportiert. Der Nachteil: Die Leitungen sind phasenweise bis an die Kapazitätsgrenze gefüllt und drohen Ausfälle zu verursachen.

Der Stromüberschuss stellt auch bisherige Dogmen auf den Prüfstand. Denn Energiesparen wird kontraproduktiv. "Elektroheizungen wären ideal, um Überschüsse aufzufangen. Dafür müsste aber erst der Strompreis sinken."

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