"Die Ökonomie hat nicht verloren"

Interview mit dem interimistischen Leiter des IHS, Sigurd Höllinger.
Sigurd Höllinger, interimistischer Institutschef, über Querelen, Sparen, Prognosen und Führungsstil.

KURIER: Das IHS galt in der Vergangenheit als ÖVP-nahe, das Wifo als SPÖ-nahe. Sie gelten als "Roter" – bedeutet das einen Linksruck des IHS?

Sigurd Höllinger: Keineswegs. Das IHS ist ein unabhängiges Forschungsinstitut, die Schlagseite wurde ihm von außen verpasst.

Bei gemeinsamen Pressekonferenzen der jeweiligen Institutschefs war aber schon immer klar, wo die Positionen liegen.

Wenn ein Institut immer der Meinung eines bestimmten Ministers wäre, wäre diese Meinung innerhalb kurzer Zeit wertlos.

Sind so viele Forschungsinstitute nötig? Neben WIFO und IHS forschen auch EcoAustria und Agenda Austria. Nationalbank, Statistik Austria, OECD erstellen auch ökonomische Studien.

Die Frage hat uns tatsächlich beschäftigt. Das IHS wurde von zwei vertriebenen Österreichern – Paul Lazarsfeld und Oskar Morgenstern – gegründet, um die Ökonomie zu modernisieren und die Sozialwissenschaften bei uns einzuführen. Diese Ziele sind überflüssig geworden. Die Universitäten sind besser und viel größer geworden, die Sozialwissenschaften sind gut etabliert. Daher war eine Neuausrichtung des IHS notwendig.

Deshalb wird nun der Lehrbetrieb eingestellt.

Er wird, obwohl er hervorragend war, reduziert, aber nicht eingestellt. Wir werden keine selbstständigen Lehrgänge mehr anbieten. Auch bei Gastprofessoren sparen wir. Sie werden nur in der Forschung tätig sein.

Die Konjunkturprognosen von IHS und WIFO sind ein eingespieltes Ritual – aber vielleicht auch überholungsbedürftig?

Man kann sich schon fragen, ob das in dieser Form noch sinnvoll ist. Das IHS soll sich in den Methoden rascher weiterentwickeln als andere.

Es gibt einen Brief an den Wissenschaftsminister von einem Ihrer Mitarbeiter, der das Ende des Instituts durch Ihre Reform befürchtet, weil der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung "der Garaus" gemacht wird.

Das Schriftstück wurde dem Minister und einer Zeitung (Die Presse), aber nicht mir zugestellt. Ein höchst ungewöhnlicher Vorfall. Der Leiter dieser Abteilung (nicht ident mit dem Briefschreiber, Anm.) war in den Reformprozess intensiv eingebunden.

Man hat tatsächlich den Eindruck einer Kehrtwendung: Vorgänger Christian Keuschnigg wollte aus Geldmangel Konzentration auf die Ökonomie und eine Verringerung der Sozialwissenschaften. Ist bei Ihnen die Ökonomie der Verlierer?

Die Ökonomie hat überhaupt nicht verloren und bleibt – auch was die Mitarbeiterzahl betrifft – bestehen. Die Forschung wird auf weniger Bereiche konzentriert. Das ist besser und kostengünstiger. Keuschnigg hätte 28 Mitarbeiter gekündigt.

Forscher mit starkem ökonomischen Schwerpunkt könnten jetzt von sich aus gehen.Nur acht von einhundert Mitarbeitern haben Bedenken. Auch die acht sind sehr gut, und ich würde bedauern, wenn sie weggingen.

Sie selbst sind Soziologe.

... aber schon seit Jahrzehnten als solcher nicht mehr aktiv. Ich bin überhaupt nicht einseitig.

Es gibt eine Stellungnahme des Betriebsrates, und sie wirkt so, als würden Mitarbeiter künftig weniger Forschungsaufträge an Land ziehen müssen. Man verlässt sich auf Geld vom Staat?

Nein. Die angewandten Bereiche erwirtschaften etwa die Hälfte des Budgets, mit steigenden Beträgen. Ein Viertel der Einnahmen kommt aus europäischen Projekten, wo man sich dem Wettbewerb stellen muss. Ich habe soeben einen Vertrag mit der Europäischen Kommission unterschrieben. Das IHS wird ein EU-Projekt zu Steuerfragen koordinieren, Projektsumme: vier Millionen Euro.

Wurde mit dem Geld des IHS in der Vergangenheit zu sorglos umgegangen?

Nein. Die Verwaltung ist schmal, manchmal sogar zu schmal. Wir sind erst jetzt dabei, ein Projektmanagement aufzubauen. Deshalb soll es neben dem Leiter künftig auch einen Generalsekretär geben, der sich um administrative Aufgaben kümmert. Da ist viel aufzubauen.

Die Sechzigerjahre-Anmutung, die das Haus ausstrahlt, beeinflusste auch den Geist?

Das haben Sie gesagt.

Zerstören Sie das Lebenswerk Bernhard Felderers, der die Teaching Group aufgebaut hat?

Davon kann keine Rede sein. Er hat große Verdienste. Das Kuratorium hat das neue Konzept übrigens ohne Gegenstimme angenommen. Da waren auch Personen dabei, die Felderer nahestehen.

Warum haben Sie sich selbst diesen Job noch angetan?

Weil ich das Potenzial an engagierten Forschern hier kennengelernt habe und weiß, dass man mit ihnen etwas Neues machen kann.

Wer wird ab 2016 neuer Leiter? WU-Rektor Christoph Badelt oder Gottfried Haber von der Donau-Uni Krems?

Damit beschäftige ich mich nicht. Ich will das Institut so aufstellen, dass es in Europa eine Rolle spielt und mehr Rationalität in politische Prozesse bringt. Es besteht Bedarf an einem Institut, das wirtschaftspolitische Fragestellungen interdisziplinär behandelt. Wir können komplexere Antworten geben.

Sie werden auch weiterhin nicht bei den gemeinsamen Pressekonferenzen von IHS und WIFO am Podium sitzen?

Nein, ich bin Sanierungsdirektor und nicht Chefökonom. Künftig sollen Projektverantwortliche mehr als bisher ihre Ergebnisse selbst vorstellen – nicht nur der Direktor. Die Zeit monokratischen Führungsstils ist vorbei.

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