Die irre Welt der High-Speed-Börse
Am Freitag flogen im Kreis der EU-Finanzminister in Luxemburg die Fetzen. Gestritten wurde, ob Europa eine Finanztransaktionssteuer braucht.
Besonders ängstlich dürfte der Streit von zwei unscheinbaren Firmen in den USA verfolgt worden sein: Emerald Networks und Hibernia Atlantic. Die Konzerne lassen gerade um mehrere Hundert Millionen Euro neue Unterwasser-Seekabel zwischen London und New York verlegen. Diese sollen nur einem Zweck dienen: Datenpakete zwischen den beiden Finanzmetropolen schneller als bisher zu verschicken. Geht die Rechnung auf, sollen damit Daten zwischen New York und London um fünf Millisekunden schneller als bisher geschickt werden. In 60 statt 65 Millisekunden. (Ein Wimpernschlag dauert rund 100 Millisekunden.)
Ein Investment von Hunderten Millionen Euro für Datenleitungen, die um fünf Millisekunden schneller sind als bisherige Kabel? Wie kann diese Rechnung aufgehen?
Dahinter steckt eine Sonderform eines höchst lukrativen Börsenhandels, den es erst seit knapp einem Jahrzehnt gibt und zwei Drittel des US-Börsenhandels und die Hälfte des europäischen Handels ausmacht: Den Hochfrequenzhandel (High Frequency Trading, HFT). Dabei analysieren und handeln hochkomplexe Computerprogramme von Hedgefonds oder Banken vollautomatisch alle Arten von Finanzprodukten in Bruchteilen von Sekunden über die Computersysteme der großen Börsen. Menschen sind dafür viel zu langsam, der Parketthandel an den Börsen ist beinahe schon Geschichte.
Zig-tausende Transaktionen pro Sekunde
Heute können die Computersysteme in jeder Sekunde zig-tausende Transaktionen durchführen. Zwar werden bei jeder Transaktion nur Centbeträge oder weniger verdient. Aber durch die riesige Anzahl an Transaktionen summieren sich die Centbeträge für Hedgefonds und Banken zu Millionen und Milliarden-Gewinnen. Eine Finanztransaktionssteuer würde dieses Geschäftsmodell unbrauchbar machen, da sie jede einzelne Transaktion besteuert.
Den Finanzbehörden ist das HFT längst suspekt. Schon lange können sie mit den Innovationen der Finanzbranche nicht mehr mithalten, sie verstehen sie nicht einmal vollständig, gab die Chefin der US-Börsenaufsicht kürzlich zu.
Im Mai 2010 verzeichnete der US-Börsenindex Dow Jones innerhalb von fünf Minuten einen Kursverfall von fast zehn Prozent, ein Rekord-Kurssturz in so kurzer Zeit. Zehn Minuten später erholte sich der Kurs teilweise wieder. Das Phänomen ging unter dem Namen "Flash Crash" in die Börsengeschichte ein. Bis heute ist unklar, was an jenem Tag eigentlich passiert ist. Dem HFT wird jedenfalls die Rolle eines "Brandbeschleunigers" angelastet.
"Computerprogramme haben den Markt übernommen", erklärt Professor Stefan Pichler von der Wirtschaftsuni Wien. "Diese können ein Crash-Szenario an den Börsen extrem verstärken, und dann erst recht zu einer Panik führen. Beim Flash-Crash 2010 ist so ein Schaden passiert, und wir können nicht ausschließen, dass ein Crash wieder enorme Wellen schlägt." Positiv sei andererseits, dass dem Markt mehr Liquidität zugeführt worden ist – also, dass die Börsen ausreichend mit Geld versorgt werden.
"Reiner Wahnsinn"
"Dieses System ist reiner Wahnsinn", findet der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister. Die Computer würden nur Sekundendaten ohne jede andere Informationen verarbeiten. Wie die Systeme eigentlich arbeiten, bleibe im Dunkel. Das System könne ganze Volkswirtschaften destabilisieren.
"Die Programme können Kaufbefehle geben, die sofort wieder storniert werden. Damit können Preise manipuliert werden", warnt der deutsche Finanzexperte Sven Giegold, der für die deutschen Grünen im EU-Parlament sitzt.
Die Finanzbranche fürchtet dennoch nicht, dass ihr Geschäft bald beschränkt wird. Ein Wandel ist dennoch bemerkbar: Händler finden kaum noch Jobs. Gesucht werden nur mehr viffe Programmierer, um die Programme noch schlanker und schneller zu machen.
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