Die Angst vor Milliarden-Klagen

Seecontainer, nicht einzelne Postsendungen, bringen den Großteil der gefälschten Waren in die EU.
Nach Kritik setzt die EU-Kommission die Verhandlungen mit den USA bis März aus.

Noch ist schwer abzuschätzen, was am Ende die tatsächlichen Konsequenzen sein werden. Eine Zäsur im Tonfall, im Stil ist es jedenfalls: EU-Handelskommissar Karel De Gucht will die Verhandlungen für das Freihandelsabkommen mit den USA aussetzen – wenn auch nur teilweise und temporär.

Im März will De Gucht einen konkreten Vorschlag der Kommission zu Aspekten des Investitionsteils im geplanten Abkommen vorlegen. Dann soll es drei Monate lang eine öffentliche Debatte geben, bevor dieser Teil mit den USA weiter verhandelt wird.

De Gucht reagiert damit auf die zuletzt lauter werdende Kritik an der Verhandlungen, die einige Parteien und Nichtregierungsorganisationen als zu wenig transparent und zu sehr von den Interessen der US-Großkonzerne bestimmt ansehen. In einem Brief vom Montag an die 28 EU-Wirtschaftsminister, aus dem Der Standard und der britische Independent zitierten, zeigt sich De Gucht „zunehmend besorgt über den immer negativeren Ton“ zum Freihandelsabkommen.

Mehr Transparenz

Der konkrete Punkt, den er öffentlich diskutieren lassen will, dreht sich um die sogenannten Investitionsschutzklauseln. Diese ermöglichen es Unternehmen, Staaten auf internationaler Ebene vor einem Schiedsgericht zu klagen, wenn sie sich durch die Gesetzgebung benachteiligt und in ihren Investitionen geschädigt sehen. Beim Freihandelsabkommen EU-USA könnte dies etwa zu Klagen gegen strengere Auflagen beim Umweltschutz führen, warnen Kritiker.

Derartige Klauseln sind international nicht unüblich. Laut Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) gibt es in fast allen 2800 weltweiten und 62 österreichischen Investitionsabkommen eine Klausel, wonach Firmen Staaten klagen können.

Mitterlehner begrüßt zwar den Schritt von De Gucht, ist grundsätzlich jedoch für eine Investitionsschutzklausel im Abkommen mit den USA. Ablehnung gibt es hingegen aus der SPÖ: EU-Delegationsleiter Jörg Leichtfried hält eine solche Klausel für „nicht notwendig und richtig, weil sowohl die EU als auch die USA ja gut funktionierende Rechtssysteme haben“. Man brauche sie eher bei Abkommen zwischen rechtlich gut und weniger gut entwickelten Staaten, um Investoren vor Willkür zu schützen.

Österreich ist laut Mitterlehner noch nie aufgrund einer solchen Klausel geklagt worden. Es laufen aber einige prominente Milliarden-Streitfälle: Der Tabakkonzern Philip Morris klagt Uruguay und Australien wegen Gesundheitswarnungen auf Zigarettenschachteln, der schwedische Energieriese Vattenfall gegen den Atomausstieg in Deutschland.

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Plus Minus
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3. Oktober 2006: EU-Handelskommissar Peter Mandelson lehnt die von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Gespräch gebrachte Freihandelszone ab. Er kenne kein EU-Land, das diese Idee unterstütze.

30. April 2007: Auf einem EU-USA-Gipfel wird die Rahmenvereinbarung über eine transatlantische Wirtschaftspartnerschaft unterzeichnet.

2. Februar 2013: Auf der Münchner Sicherheitskonferenz kündigt US-Vizepräsident Joe Biden an, die USA wollten eine gemeinsame Freihandelszone mit der EU schaffen.

12. Februar: In seinem Bericht zur Lage der Nation zeigt sich US-Präsident Barack Obama zu Gesprächen über eine "Handels- und Investitionspartnerschaft" mit der EU bereit.

14. Juni: Die EU-Staaten einigen sich auf eine gemeinsame Verhandlungsbasis mit den USA. Paris setzt sich mit der Forderung durch, Film, Musik und andere Medien aus den Gesprächen zunächst auszuschließen.

8. Juli: Von Spähvorwürfen gegen den US-Geheimdienst NSA überschattet, beginnen die Verhandlungen in Washington.

24. Oktober: Beim EU-Gipfel in Brüssel werden Forderungen laut, die Gespräche mit den USA auszusetzen. Zuvor war bekanntgeworden, dass der US-Geheimdienst vermutlich Merkels Handy abgehört hat.

5. November: US-Außenminister John Kerry kündigt mit Blick auf die NSA mehr Transparenz an. Zugleich warnt er davor, die Affäre mit den Gesprächen über eine Freihandelszone zu vermischen.

11. November: In Brüssel gehen die Gespräche in die zweite Runde.

20. Dezember: Eine dritte, fünftägige Verhandlungsrunde geht in Washington zu Ende. Das nächste Treffen sei für März geplant, teilt die EU-Kommission mit.

8. Jänner 2014: Der Justizausschuss des Europaparlaments übt massive Kritik an den Spähaktionen der NSA. Die Abgeordneten warnen in einem Berichtsentwurf, sie wollten dem Freihandelsabkommen nur zustimmen, wenn die Anwendung der EU-Grundrechtecharta garantiert werde.

21. Jänner 2014: EU setzt die Verhandlungen über ein geplantes Freihandelsabkommen mit den USA teilweise aus. Zu den strittigen Investitionsschutzklauseln für Firmen sollen drei Monate lang öffentliche Befragungen stattfinden, auf dieser Basis will EU-Handelskommissar Karel De Gucht einen konkreten Vorschlag zum Investitionsteil des geplanten Abkommens vorlegen.

Erneut gehen vor allem unter Nicht-Regierungsorganisationen die Wogen rund um das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) hoch. Aktueller Auslöser ist das teilweise Aussetzen der Verhandlungen, das EU-Handelskommissar Karel De Gucht am Montagabend den Wirtschaftsministern der EU-Staaten mitteilte. Attac etwa ortet darob "einen ersten Erfolg für die EU-Zivilgesellschaft".

Die Globalisierungskritiker von Attac Österreich sehen weiters nun zwar eine Wirkung ihrer "breiten Kritik am intransparenten und undemokratischen Verhandlungsprozess" und ihren "Warnungen vor den Inhalten des Abkommens." Aber: "Drei Monate (so lange werden die Verhandlungen vorerst laut Medien teilweise ausgesetzt, Anm.) sind zu wenig. De Guchts Vorschlag reicht angesichts der Tragweite des Abkommens nicht aus", so Attac. Klagsrechte von Konzernen gegen Staaten, sollen demnach "grundsätzlich aus den Verhandlungen gestrichen werden".

Gespräche zu diesem Thema sind unterbrochen, es soll beim sogenannten Investorenschutz eine öffentliche Anhörung geben und jene Teile sollen offengelegt werden, in denen den Konzernen bisher Klagsrechte eingeräumt wurden.

Auch Global 2000 spricht davon, dass "die EU-Kommission zumindest an einem kritischen Punkt einlenkt". Es dürfe "auf keinen Fall passieren, dass hier Konzerninteressen vor Umweltinteressen gestellt werden und dadurch massive Umweltschäden verursacht werden", so die Umweltschützer, die hoffen, "dass auch die anderen Verhandlungsbereiche offengelegt werden".

Greenpeace sah einen "wichtigen Etappensieg". Eine Protestpetition laufe aber weiter, "so lange die Geheimverhandlungen weiterlaufen". Auch Attac und Global 2000 haben mit weiteren NGO einen "E-Protest" laufen.

Die Grünen sahen in den TTIP-Verhandlungen ebenso noch "mehr Fragen als Antworten". Sie forderten Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) auf, "den Wissenstand seines Ministeriums zu den TTIP-Verhandlungen öffentlich zu machen".

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