Die Angst vor der Krise ist zurück

Ein fragiles Schifflein auf stürmischer See: Die Eurozone wird momentan von Gewittern ordentlich durchgebeutelt.
Flucht aus riskanten Anlageklassen führt zu Mini-Crash – Eurozone wieder das globale Sorgenkind.

Ausverkaufsstimmung an den Börsen, und das weltweit: Die Talfahrt der Kurse setzte sich am Donnerstag fort. Der Wiener Börseindex ATX fiel kurzzeitig sogar unter 2000 Punkte, erstmals seit zwei Jahren. Der DAX in Frankfurt sackte unter 8400 Punkte – seit dem Allzeithoch von 10.050 Punkten sind keine vier Monate vergangen. Was ist passiert? Der KURIER auf Spurensuche.

Warum kommt der Absturz gerade jetzt?

Aktienbesitzer werden ein Opfer ihres Erfolgs. Um die Wiener Börse hatte die Kursrallye zwar wieder einmal einen großen Bogen gemacht. In den USA und Deutschland hatten aber die niedrigen Zinsen und das billige Geld der Notenbanken rasante Kursgewinne befeuert – etwa bis zur Jahresmitte. Die von vielen prophezeite Korrektur ist jetzt eingetroffen. "Es war klar, dass das nicht ewig so weiter gehen würde", sagt Stefan Ederer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). Die nächste Krise würde er darin aber nicht gleich sehen.

Geht es der Wirtschaft tatsächlich so schlecht?

Hinter der Wirtschaftsentwicklung steckt mehr Psychologie, als viele wahrhaben wollen. Die treibende Kraft sind Erwartungen: Unternehmer, Haushalte und Aktienkäufer geben dann mehr Geld aus, wenn sie in eine strahlende Zukunft blicken. Davon kann aktuell aber keine Rede sein, im Gegenteil. Wenn die Wachstumszahlen Monat für Monat nach unten korrigiert werden, führt das rasch in eine Negativspirale. Dazu kommen noch die Unsicherheiten und Sanktionen in Russland und in der Ukraine, der Syrienkonflikt – "all das hat eine selbstverstärkende Wirkung", sagt Ederer.

Kommt womöglich gar die Eurokrise zurück?

Sie war nie weg, sie hat nur ihr Aussehen verändert. Die Finanzmarktpanik um Griechenland und Co. konnte EZB-Chef Mario Draghi erfolgreich wegreden. Dafür steckt die Eurozone jetzt in einer veritablen Wachstumskrise. Deutschland schwächelt, Italien und Frankreich werden keine Reformen zugetraut – damit steht hinter zwei Dritteln der Wirtschaftsleistung ein Fragezeichen. Kontinentaleuropa ist derzeit eindeutig das Sorgenkind der Weltwirtschaft.

Wie akut ist die Deflationsgefahr im Euroraum?

Die Angst vor der Krise ist zurück
Sie hat sich weiter verschärft. Auch hier spielen Erwartungen die zentrale Rolle. Bedenklich ist, dass die Akteure an den Finanzmärkten der EZB nicht mehr zutrauen, ihr Inflationsziel von zwei Prozent auf längere Sicht zu erreichen. Im September lag die Inflationsrate im Euroraum (siehe Grafik) bei 0,3 Prozent, gefährlich nahe der Nulllinie. Der Druck auf die EZB steigt damit. Ob eine weitere geldpolitische Lockerung ("Geld drucken") noch sehr viel Unterschied machen würde, ist jedoch fraglich.

Warum wären sinkende Preise gefährlich?

Für den Konsumenten wäre es auf den ersten Blick ein Segen, wenn alles billiger würde. Für jene Krisenländer, die zu teuer produziert haben, sind sinkende Löhne ebenfalls heilsam. Die Kehrseite: Fallen die Preise (und in der Folge die Löhne) einmal auf breiter Front, ist auch die Wirtschaft auf Schrumpfkurs. Diese Dynamik ist schwer zu stoppen und ein Albtraum für Notenbanker.

Was könnte die Abwärtsspirale durchbrechen?

Der Anstoß muss jetzt aus der Realwirtschaft kommen. Vor allem die Investitionen kommen nicht vom Fleck. Die Debatte darüber, ob sich die Eurostaaten einen Anschub leisten sollen und können, dreht sich lähmend im Kreis. Frankreich will mehr Spielräume zum Ankurbeln, Deutschland (und auch Österreich) bremsen und beharren auf den Sparkurs. Das angekündigte 300-Milliarden-Euro-Paket, mit dem der designierte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Investitionen anschieben will, wäre schon das richtige Signal, findet WIFO-Analyst Ederer. Sofern es nicht zerredet wird oder in faule Kompromisse mündet.

Warum kommt der Konsum nicht in Gang?

Das ist einfach zu beantworten: Weil die Österreicher – gefühlt und tatsächlich – weniger im Geldbörsel haben. Die Arbeitslosigkeit steigt. Die Realeinkommen sinken oder werden von der Steuerprogression angeknabbert. Das Vermögen auf den Sparbüchern verliert ebenfalls an Wert. Und obendrein hat viele erschreckt, wie gering der Betrag auf ihrem Pensionskonto derzeit ausfallen würde. Wer aber über seinen Rentenansprüchen in Tränen ausbricht, wird das Geld nicht mit beiden Händen ausgeben.

Kann die Steuerreform einen Umschwung bringen?

Sollten die Österreicher tatsächlich glauben, dass sie künftig mehr Geld zur Verfügung haben, könnte das durchaus zu einem Stimmungswandel und Konsumschub beitragen. Viel hängt jedoch von der Kommunikation ab, sagt Ederer: "Wenn man zugleich betont, dass wir irrsinnig viel einsparen müssen, ist der Effekt weg."

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