Deutschland: Energiewende zum Schlechteren

Die tief stehende Nachmittagssonne scheint auf die dampfenden Kühltürme des Braunkohlekraftwerks im südbrandenburgischen Jänschwalde.
Trotz teurer Wind- und Solarförderung boomt Kohle. Der Schadstoffausstoß steigt rasant.

Leistbarer Strom aus sicheren, sauberen Quellen: So lautete das Versprechen der deutschen Energiewende. Veraltete Atommeiler werden abgeschaltet, stattdessen wird massiv in Windräder und Solarenergie investiert.

Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Ein teurer: Deutschlands Verbraucher stöhnen unter hohen Ökostrom-Abgaben. Ein typischer Haushalt zahlt nächstes Jahr schon 240 Euro für die Förderung der erneuerbaren Energie, sagt Umweltökonom Andreas Löschel zum KURIER. Zum Vergleich: In Österreich steigt der Betrag laut E-Control auf 83 Euro.

Deutschland: Energiewende zum Schlechteren

Doch wofür zahlen die Deutschen den hohen Preis? Sauberer ist ihre Stromerzeugung nicht geworden, im Gegenteil: Seit 2009 steigen die Kohlendioxid-Emissionen, zeigen Daten des deutschen Umweltbundesamtes. Dabei war der CO2-Ausstoß seit 1990 kontinuierlich gesunken. Mehr Klimagase trotz Energiewende – schuld ist Kohle.

Der fossile Brennstoff gilt als größte Dreckschleuder im Energiemix. Anders als in Österreich spielt der Kohleabbau in Deutschland immer noch eine große Rolle. In den nächsten Jahren sollen Kohlemeiler mit 13.000 Megawatt Leistung neu dazukommen. Zum Vergleich: Einer der stärksten Kernreaktoren, Isar 2 in Niederbayern, kommt auf 1400 Megawatt.

Die Zechen schließen

Neben den Geldbörsen leidet die Gesundheit der Deutschen. 2012 haben Schadstoffe wie Schwefeldioxid, Stickoxid oder Staub zugenommen, resümiert Energieriese E. ON im Geschäftsbericht nüchtern: Schuld ist der verstärkte Einsatz von Steinkohle statt Erdgas. Wo bleibt da der Sinn der Energiewende?

Lösen lässt sich das Dilemma nur, wenn Strom aus Kohle teurer wird, sagt Löschel. Das sollte der europäische Emissionshandel steuern: Unternehmen, die die Luft verpesten, müssen teure Verschmutzungsrechte (CO2-Zertifikate) erwerben. Das sollte ein Anreiz sein, den Schadstoffausstoß zu vermeiden. Das System funktioniert aber nicht, weil viel zu viele Zertifikate verfügbar und die Preise am Boden sind. Deshalb kommt statt Gas die billigste und schmutzigste Technologie zum Einsatz.

Doppelt absurd ist das, weil Deutschland seinen Steinkohleabbau soeben zu Grabe trägt. Auf Geheiß der EU läuft 2018 die staatliche Förderung aus. Die letzten Zechen wie Prosper-Haniel, Auguste Victoria (Recklinghausen) und Ibbenbüren sperren dann zu.

Künftig wird die Steinkohle somit zur Gänze rund um die Welt geschippert. Deutschland ist mit 45 Mio. Tonnen pro Jahr bereits jetzt der sechstgrößte Abnehmer. 80 Prozent davon kommen aus Russland, Kolumbien und den USA. Seit die Vereinigten Staaten Schiefergas fördern, brauchen sie die Steinkohle nämlich nicht mehr – sie landet in Europas Häfen und drückt den Preis.

Exportland Kolumbien

Rasant an Bedeutung gewinnt das Exportland Kolumbien. Fast 10 Mio. Tonnen Steinkohle landen von dort in Deutschland – dafür müssen bis zu zweihundert Riesentanker die Seestrecke zwischen Südamerika und den Häfen in den Niederlanden oder an der Nord- und Ostsee zurücklegen. Die Schadstoffe dieser Megafrachter werden von gar keinem Emissionshandel erfasst.

Ebenso wenig das soziale Elend. Die Folgen des gewaltigen Tagebaus in Kolumbien – wie in der Mine Cerrejón (siehe Bild) – sind gravierend, berichtet Sebastian Rötters von der deutschen Umweltorganisation FIAN: „Die Staubwolken, die übers Land ziehen, habe ich selbst gesehen.“ Flüsse trockneten aus, Agrarland gehe verloren, ganze Dörfer würden abgesiedelt. Die Industrie gelobt Besserung. Die Brancheninitiative Better­coal, an der E.ON, RWE, Vattenfall (Schweden), Enel (Italien) und EDF (Frankreich) beteiligt sind, beschloss im Juli einen Verhaltenskodex. Rötters ist skeptisch: „Bettercoal ist völlig von der Industrie gesteuert.“ Für ihn klingt das wie ein grünes Mäntelchen für die Kohle.

Ausstieg aus dem Atomstrom

Erste Schritte Richtung Atomausstieg und Erneuerbare Energie machte Deutschland ab 2000 unter der rot-grünen Regierung. Den von CDU/CSU und FDP im Herbst geplanten AKW-Laufzeitverlängerungen war nur kurze Dauer beschieden: Nach dem GAU in Fukushima kehrte Berlin zum ursprünglichen Beschluss zurück. 2022 soll für das letzte AKW Schluss sein.

Förderung der Erneuerbaren

Der Anteil der erneuerbaren Energie an der Stromerzeugung soll bis 2020 auf 35 Prozent und bis 2030 sogar auf 50 Prozent steigen. Die Schwankungen durch Wind- und Solarstrom sollten eigentlich Gaskraftwerke ausgleichen: Sie sind sauberer als Kohle, ihr Betrieb rechnet sich aber momentan nicht, weil der Strompreis am Boden und das nötige Gas zu teuer ist.

Die Bundesregierung in Berlin hat eine Kommission beauftragt, die Energiewende regelmäßig zu überprüfen. Andreas Löschel vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) ist ihr Vorsitzender.

KURIER: Deutschland erzeugt immer mehr Strom aus Kohle. Wie sinnvoll ist die Energiewende?

Andreas Löschel: Es ist paradox. Wir fördern in Deutschland die erneuerbare Energie sehr stark, haben aber immer mehr Emissionen. Kohle ist unschlagbar günstig und wird eingesetzt, wenn die Erneuerbaren keinen Strom liefern. Das Problem sind die niedrigen Preise im Emissionshandel: Dieser schafft es nicht, Strom aus Kohle teurer zu machen als aus Gas.

Alle Versuche, den CO2-Handel zu reparieren, sind gescheitert.

Wir würden CO2-Preise bei 30 bis 40 € brauchen, um Druck auf Kohle aufzubauen. Aktuell sind wir aber bei 5 € pro Tonne – und da werden wir wohl lange bleiben.

Was sind über 2020 hinaus Europas Ziele für die Erneuerbaren, den CO2-Handel, die Energieeffizienz?

Das ist alles unklar. Es gibt weder Anreize, in alternative Technologie zu investieren, noch Abschreckung für Kohle.

Verfehlt Deutschland wegen des Kohlebooms die Klimaziele?

Das ist in der Öffentlichkeit fast untergegangen, dass die Emissionen stark angestiegen sind. Es ist eben schöner zu erzählen, wir haben den Anteil erneuerbarer Energie um 15 Prozent gesteigert. In Deutschland kommt in den nächsten Jahren eine Schwemme an Kohleenergie: Anlagen mit 13 Gigawatt Leistung stehen vor dem Abschluss. Diese waren von langer Hand geplant, es gibt aber auch Projekte, die neu angeschoben werden.

Gaskraftwerke würden als Ausgleich für schwankenden Wind- und Sonnenstrom gebraucht, stehen aber, weil sie Verluste produzieren. Was kann man tun?

Nach der Wahl wird die Diskussion starten, ob schon die Bereitstellung von Kraftwerksleistung vergütet werden soll. Ich bin dagegen. Wir würden das nächste Subventionssystem festzurren. Wir brauchen europäische Lösungen: Erneuerbare Energie darf nicht nur in Deutschland ausgebaut werden. Die Leitungen müssen rasch ausgebaut werden, dann brauchen wir kaum neue Kapazität. Wäre Strom dort, wo Knappheit herrscht, wie in Süddeutschland, teurer, gäbe es Investitionsanreize über den Markt.

Deutschland: Energiewende zum Schlechteren
Umweltökonom Andreas Löschel fordert europäische Lösungen.

Zu viel CO2 Braunkohle setzt beim Verbrennen doppelt so viel CO2 pro Kilowattstunde frei wie Erdgas. Steinkohle ist etwas besser.

267 Mio. Tonnen CO2wurden 2012 in Deutschland durch Strom aus Braun- oder Steinkohle freigesetzt. 1990 waren es noch 320 Mio. Tonnen. 2009 lag der Wert schon bei 240 Mio. Tonnen.

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