Brauchen wir den Export-Überflieger?

Brauchen wir den Export-Überflieger?
Am Pranger: Der Export-Überschuss der EU geht fast allein auf Deutschlands Konto.

Das deutsche Exportwunder hat einen Glaubenskrieg ausgelöst: Sind die deutschen Industrieerfolge ein leuchtendes Vorbild für den Rest Europas? Oder sind sie gar ein Teil des Problems, das Europa in einen Nord- und einen Südteil spaltet?

Bisher kam die prononcierteste Kritik aus den Vereinigten Staaten: Die Deutschen würden die Eurokrise verschärfen und die globale Wirtschaft aus der Balance bringen. Deutschland hat China als Exportweltmeister wieder überholt – und sie musste dafür nicht einmal eine Währung manipulieren. Stattdessen haben die Deutschen die Löhne niedrig gehalten, um wettbewerbsfähig zu sein. In Europa zählen Defizitländer wie Frankreich und Großbritannien zu den Kritikern. Deutschland wird vorgeworfen, es erschwere den notwendigen Abbau der Ungleichgewichte, die zur Zerreißprobe für den Währungsraum geworden sind.

Worum geht es? Seit der Schuldenkrise wird die Leistungsbilanz genau beobachtet: Das ist die Summe aller Waren, Dienstleistungen und Finanzströme, die mit dem Ausland ausgetauscht werden. Weist ein Land Überschüsse aus, exportiert es mehr als es importiert. Es baut gegenüber dem Ausland Vermögen auf. Umgekehrt muss sich ein Land mit Leistungsbilanzdefizit gegenüber dem Ausland verschulden.

Deutschland exportierte 2012 Waren im Wert von fast 1096 Milliarden Euro – die Importe machten nur 906 Milliarden Euro aus. In der Vorwoche kündigte die Europäische Kommission eine Untersuchung an: Die deutsche Leistungsbilanz werde nämlich auf mehrere Jahre hinaus den kritischen Saldo von 6 Prozent der Wirtschaftsleistung überschreiten, so EU-Kommissar Olli Rehn.

Schlusslicht Frankreich

Zahlen der EU-Statistikbehörde von Montag befeuern die Debatte. Im September 2013 schafften die Euroländer einen Überschuss im Warenhandel mit dem Rest der Welt von 13,1 Milliarden Euro. Von Jänner bis August weist Deutschland erneut den höchsten Überschuss mit 128 Milliarden Euro auf, gefolgt von Niederlanden (36 Mrd. Euro) und Irland (25 Mrd. Euro) Schlusslichter sind Frankreich mit –50 Mrd. Euro Defizit, Großbritannien (–44,5 Mrd. Euro) und Griechenland (–13 Mrd. Euro).

Pro: Schluss mit der Bevormundung

Genug bevormundet. Gestern noch die armen Griechen, die angeblich über ihre Verhältnisse gelebt und daher zu viel importiert haben. Heute die reichen Deutschen, die angeblich unter ihren Verhältnissen leben, weil sie zu viel exportieren (müssen). Was kommt als nächstes? Der österreichische Tourismus muss schrumpfen, damit mehr Gäste ins Krisenland Italien reisen? Der Fischfang in Frankreich wird zum Wohle des portugiesischen Defizits gleich ganz aufgegeben?

Ein US-Ökonom bezeichnete Deutschland kürzlich allen Ernstes als „Billiglohnland“, wo die Beschäftigten um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden. Sehr gut beobachtet, Herr Ökonom. Die Deutschen verlassen gerade (im BMW oder im Mercedes) in Scharen ihr Land, um in Bulgarien oder Rumänien Arbeit zu suchen und ein besseres Leben zu führen ...

Liebe Eurokraten, ein Blick auf das wirkliche Leben könnte nicht schaden: Der fleißige, schwäbische Maschinenbauer wird nicht sofort seine Ausfuhren stornieren, nur um die Leistungsbilanz des Landes nicht zu gefährden. Und seine Gattin wird nicht gleich 20 T-Shirts mehr einkaufen, allein um die Binnennachfrage zu stärken. Und selbst wenn, würden davon vor allem die Chinesen profitieren.

Nordkorea

In ihren wohlgemeinten Bemühungen, die ungleiche Eurozone auch nur irgendwie zusammenzuhalten, nehmen die Wirtschaftstheoretiker in den Brüsseler Elfenbeintürmen offenbar mehr und mehr Nordkorea zum Vorbild. Eine am Papier von lebensfremden Statistikern erdachte Planwirtschaft, die die EU-Länder, und damit die Menschen dieser Länder, gegeneinander aufbringt, richtet aber viel mehr Schaden als Nutzen an.

Fazit: Deutschland ist stark und das ist gut so. Weil die Exporte ohnehin vermehrt nach Fernost und USA gehen, wäre eine künstliche Drosselung geradezu kontraproduktiv. Sie würde Zulieferländer wie Österreich und vor allem der Idee des gemeinsamen Binnenmarktes „Made in Europe“ massiv schaden. Anita Staudacher

Contra: Deutschland schadet sich auf Dauer selbst

Die Österreicher rücken aus, um die Deutschen zu verteidigen? Ui, da muss ein wunder Punkt getroffen sein. Weil wir auf unsere starken Exportfirmen stolz sind, kränkt uns die EU-Kritik an Deutschland. Kein Grund, eingeschnappt zu sein: Wir dürfen stolz sein. Das Problem sind nicht die Exporte – es ist die Schieflage. Brüssels Kritik ist berechtigt.

Ja, was denn? Soll Deutschland schwächer werden und weniger exportieren? Nein, das verlangt niemand. Aber unsere Nachbarn dürften sich ein bisserl was leisten, um ihre Bilanz ins Lot zu bringen. Bei Investitionen ist Deutschland ein Schlusslicht. Wann will man Geld in die Hand nehmen, um den Erfolg abzusichern, wenn nicht jetzt, bei unschlagbar tiefen Zinsen?

Die Exportlastigkeit kann zum Bumerang werden. Solange Erdenbürger nicht auf den Mars exportieren, sind Überschüsse nur möglich, solange es woanders auf der Welt Defizite gibt. Das sind zwei Seiten derselben Medaille: Die Deutschen bauen mit Exporten Vermögen auf, andere Länder häufen mit Importen Schulden an. Wenn man aber ständig bangen muss, ob die Käufer die Waren jemals bezahlen: Was bleibt dann vom tollen Export-Erfolg? (Oder wenn Deutschland die Rechnung per Hilfskredit und Schuldenschnitt gleich selbst begleicht – siehe Eurorettung).

Kein Universal-Rezept

Die deutsche Stärke ist gut für Europa, aber kein Rezept zur Eurorettung. Nicht jedes Land kann schlagartig Exportweltmeister werden. Schwache Länder werden auch nicht wettbewerbsfähiger, wenn alle billiger und billiger produzieren. Eine Lohndumping-Spirale bringt niemandem was.

Europas stärkste Nation hat den größten Niedriglohnsektor: Das ist absurd. Mit etwas höheren Löhnen hätten die deutschen Arbeitnehmer was vom Erfolg. (Und von Österreichs Zulieferern würde Druck genommen – sie müssen jetzt ständig fürchten, zu teuer zu werden.) „Made in Germany“ sei wegen der Qualität, nicht wegen niedriger Preise gefragt, betont die deutsche Industrie. Na, bitte: Dann sind höhere Löhne doch gar kein Problem. Hermann Sileitsch

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