Deutsches Urteil begrenzt EZB-Spielraum bei Coronahilfe

Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle an seinem vorletzten Arbeitstag im Amt.
Brisante Konfrontation mit Sprengkraft: Karlsruher Verfassungsrichter weisen höchstes EU-Gericht in Luxemburg zurecht.

Sie bellen gerne, beißen aber eher selten: Das ist der Ruf, der den Richtern des deutschen Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vorauseilt. Ihr jüngstes Urteil ist allerdings mehr als nur ein kräftiges Zähnefletschen.

Die Europäische Zentralbank habe bei ihrem großen Wertpapier-Kaufprogramm ihre Kompetenz überschritten, erklärte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle am Dienstag. Von 2015 bis 2018 hatte die Zentralbank Wertpapiere um 2,6 Billionen Euro aufgekauft. Zwar habe sie damit nicht gegen das Verbot der Staatsfinanzierung verstoßen, aber sie habe die „Verhältnismäßigkeit“ unzureichend begründet.

Drei Monate Übergangsfrist

Das muss die EZB binnen drei Monaten nachholen, andernfalls müsste die deutsche Bundesbank aus dem Programm aussteigen (dieses ist zu Ende, auslaufende Papieren werden aber reinvestiert).

Ausgerechnet die größte Notenbank des Euroraums trägt die Geldpolitik nicht mehr mit? Das wäre ein katastrophales Signal für die Währungsunion. Schlimmstenfalls müsste die Bundesbank sogar Wertpapiere um 534 Milliarden Euro auf den Markt werfen. Wozu es aber sicher nicht kommen wird.

Staaten stärker gefragt

Die Verfassungsrichter kritisierten nämlich – mit sieben zu einer Stimme – die Abwicklung der EZB-Käufe als verfassungswidrig, aber nicht die Maßnahme selbst.

Das ist für den Euroraum in Krisenzeiten ein überlebenswichtiges Detail. Die Anleihenkäufe sind für die Währungshüter das wirksamste Instrument, um Staatspleiten vorzubeugen. Sie verhindern, dass die Zinskosten für einzelne Staaten in unfinanzierbare Höhen schießen. Insbesondere die von der Coronakrise gebeutelten Italien und Spanien gelten hier als gefährdet.

Das Urteil erhöhe den „Druck auf die Regierungen des Euroraums, Hilfen für einzelne Mitgliedstaaten über die Fiskalpolitik bereitzustellen, statt sich auf die EZB zu verlassen“, kommentierte Ifo-Chef Clemens Fuest. Den hoch verschuldeten Krisenländern wurde bisher keine direkte Unterstützung zugesagt, sondern Hilfskredite, also noch mehr Schulden.

Grenzen für Anti-Corona-Paket

Das Urteil birgt weiteren Sprengstoff. Zwar betrifft es das jüngste Anti-Corona-Paket der EZB (mit Wertpapierkäufen von 750 Milliarden Euro bis Jahresende) nicht direkt. Folgt man jedoch der Argumentation aus Karlsruhe, könnte dieses Probleme kriegen: die Käufe müssten nach dem EZB-Kapitalschlüssel auf die Länder verteilt erfolgen, ihr Volumen müsste vorab begrenzt sein und es dürften keine Papiere mit schlechtem Rating akzeptiert werden.

Der EZB-Handlungsspielraum wäre dadurch extrem eingeengt. Und es lädt die Beschwerdeführer ein, darunter EU-Feinde und Euro-Gegner wie Ex-CSU-Politiker Peter Gauweiler und AfD-Gründer Bernd Lucke, weitere EZB-Aktionen in Karlsruhe anzufechten.

„Kampf der Egos“

Eine Breitseite verpassten die deutschen Richter dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, welcher der EZB 2018 grünes Licht gegeben hatte. Dessen Urteil sei „nicht nachvollziehbar“, erklärten sie – ein Novum in der Geschichte. Die EU-Kommission reagierte schroff: EuGH-Entscheidungen seien für alle nationalen Gerichte bindend.

Tatsächlich sei das Karlsruher Urteil nicht an die EZB gerichtet, sondern gegen Luxemburg, sagte Rechtsexperte Franz Mayer (Uni Bielefeld) in einem Videocall. Hier prallten „Richter-Egos“ aufeinander, wer das letzte Wort habe.

Das EU-Gericht könne nun gar nicht anders, als mit einem Vertragsverletzungsverfahren zu kontern. Sonst wäre das ein Freibrief etwa für Polens oder Ungarns Justiz, EU-Recht auszuhebeln.

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