Deutsche Richter: EZB-Anleihenkäufe teilweise verfassungswidrig

Deutsche Richter: EZB-Anleihenkäufe teilweise verfassungswidrig
Die EZB verstoße nicht gegen Verbot der Staatsfinanzierung, müsse aber "Verhältnismäßigkeit" belegen. Urteil gefährdet Corona-Ankaufprogramm.

Dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eilt der Ruf voraus, dass es gerne bellt, aber selten beißt. Was sich am Dienstag abermals bewahrheitete.

Der Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) verstoße zwar teilweise gegen das deutsche Grundgesetz, weil die Bundesregierung und der Bundestag die EZB-Beschlüsse nicht geprüft hätten, verkündete der Zweite Senat unter dem Vorsitzenden Andreas Voßkuhle. Die Entscheidung wurde mit 7 zu 1 Stimmen gefällt.

Prüfung oder Bundesbank-Rückzug

Bundesregierung und Deutscher Bundestag sind aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, der bisherigen Handhabung der PSPP (das EZB-Aufkaufprogramm) entgegenzutreten“, heißt es in dem Urteil (die Pressemitteilung findet sich hier, das Urteil hier).

Die EZB muss nun binnen drei Monaten belegen, dass die Käufe notwendig und angemessen waren, um ihre (vor allem Inflations-)Ziele zu erreichen. Andernfalls müsste sich die Bundesbank aus dem Programm zurückziehen. Das Ausfallen des deutschen 26-Prozent-Anteils und wirtschaftlichen Schwergewichts wäre eine Katastrophe für den Zusammenhalt der Eurozone als Ganzes.

Das Zepter, im Falle der EZB diese Glocke, wurde an Lagarde übergeben

EZB-Chefin Lagarde, Vorgänger Draghi: Das Zepter, im diesem Falle eine Glocke, wurde übergeben

Querschläger für Corona-Programm

Allerdings wird - und das ist der wichtigere Punkt - das Gericht der EZB-Politik prinzipiell keinen Riegel vorschieben. In den Grundsatzfragen hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg den Anleihenkäufen schon Ende 2018 grünes Licht erteilt.

Allerdings könnte das Urteil Schwierigkeiten für das jüngste, gegen die Folgen der Corona-Pandemie gerichtete, Ankaufprogramm (PEPP) bedeuten. Dieses wurde von der EZB Ende März 2020 angekündigt, nachdem das Urteil in Karlsruhe bereits gefällt war.

"Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat auf das PSPP gezielt, aber das PEPP getroffen", twitterte der Ökonom Henrik Enderlein, Professor an der Hertie School und Direktor des Jacques Delors Center Berlin, pointiert.

Quantitative Lockerung okay

In der Entscheidung ging es nämlich um das sogenannte PSPP-Programm (Public Sector Purchase Programme), im Rahmen dessen die EZB unter dem früheren Präsidenten Mario Draghi zwischen März 2015 und Ende 2018 vor allem Staatsanleihen um rund 2,6 Billionen Euro gekauft hatte.

Diese von den Zentralbanken weltweit „Quantitative Lockerung“ genannte Aktion soll die Zinsen tief halten – zu einem Zeitpunkt, wo der Leitzins schon bei Null liegt.

Den Verstoß sehen die Richter nun darin, dass die EZB nicht geprüft oder dargelegt habe, "dass die hierbei getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind". Also gibt es Kritik am Ablauf und der Handhabung, aber nicht an der Substanz der Maßnahme: "Einen Verstoß gegen das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung konnte der Senat dagegen nicht feststellen."

Wegen Corona verschoben

Beschwerdeführer sind unter anderen der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler und AfD-Gründer Bernd Lucke. Eigentlich hätte das Urteil schon Mitte März verkündet werden sollen, dann hatte das Coronavirus den Verfassungsrichtern aber einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Das jüngste Wertpapier-Ankaufprogramm der EZB, das die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abfedern soll (Pandemic Emergency Purchase Programm, PEPP) wurde erst nach dem Gerichtstermin beschlossen. In diesem Rahmen werden zumindest 750 Milliarden Euro bis Ende 2020 in die Wirtschaft gepumpt.

Wackelt Pandemie-Programm?

Die Probleme könnten sich aus der Begründung ergeben, warum das PSPP nicht gegen das Verbot der Staatsfinanzierung verstößt: Laut den Richtern in Karlsruhe entscheide sich das "nicht an der Einhaltung eines einzelnen Kriteriums, sondern auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung".

Und hier das Volumen der Anleihenkäufe begrenzt, nach dem Anteil-Schlüssel der nationalen Zentralbanken verteilt, es werde eine Obergrenze von einem Drittel jedes Wertpapiers eingehalten und auf ein Mindestrating geachtet.

Heikle Auflagen

Genau diese Kriterien sind aber beim jüngsten PEPP-Programm nicht garantiert - und im übrigen auch nicht beim sogenannten OMT-Programm ("Outright Monetary Transactions"), das bisher nicht zum Einsatz kam.

Das OMT war von Draghi konzipiert worden, um eine Ausbreitung der Eurokrise rund um Italien und Co. zu verhindern. Das dürfte weitere Beschwerdeführer motivieren. Ein neuerlicher jahrelanger Rechtsstreit um diese EZB-Maßnahmen scheint damit so gut wie sicher.

Krieg um Kompetenzen

Für Europarechts-Connaisseure hält das Karlsruher Urteil auch einige Nägelbeißer-Passagen parat. Die deutschen Verfassungsrichter verpassten ihren Luxemburger Kollegen eine kräftige Breitseite: Das EuGH-Urteil von Dezember 2018 sei "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und damit ebenfalls ultra vires ergangen".

Das bedeutet, dass der Kompetenzbereich überschritten worden sei. Oder, ganz laienhaft und vereinfacht formuliert: Ihr liegt zwar falsch, aber ihr habt das letzte Wort.

 

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