Dreht Russland Europa das Gas ab? Oder nur teilweise? Oder wird der eher unwahrscheinliche Fall eintreten, dass der Kreml die seit September stark reduzierten Gasmengen wieder in vollem Umfang Richtung Westen fließen lässt? In Brüssel rechnet man jedenfalls bereits mit dem Schlimmsten. Heute wird die EU-Kommission einen Plan vorlegen, wie Europa über den Winter kommen kann, sollte kein russisches Gas mehr fließen.
Eine der bereits durchgesickerten Empfehlungen: Den Gasverbrauch in der EU „sofort“ reduzieren. Dazu zählt, öffentliche Gebäude im Winter auf nicht mehr als 19 Grad zu heizen. Am besten heute noch, trotz der großen Hitze, sollten Räume nicht unter 25 Grad gekühlt werden.
Verpflichtende Einsparziele
Zudem soll jeder EU-Staat ein freiwilliges Gas-Einsparziel vorlegen. Tritt der Extremfall, also ein Stopp der russischen Gasversorgung ein, müssen diese Ziele unbedingt umgesetzt gesetzt und könnten von der EU verordnet werden. Das würde auch Produktionsabschaltungen in Unternehmen bedeuten.
Eine Voraussetzung für die Einführung von verpflichtenden Einsparzielen könnte sein, dass mindestens zwei EU-Staaten wegen einer Unterversorgung mit Gas akute Notsituationen befürchten. Wie stark die EU-Staaten ihren Gasverbrauch reduzieren müssten, ist noch offen. Im Gespräch waren zuletzt Zahlen von 5 bis 15 Prozent.
Dabei müssen allerdings die jeweiligen Regierungen entscheiden, in welcher Abfolge in ihrem Land die Gasversorgung gestoppt wird. Geschieht dies nicht, soll es Geldstrafen geben. Noch ist aber nicht klar, in welcher Höhe.
Nachbarschaftshilfe
Ein weiteres Mittel, das eine Katastrophe verhindern soll: Solidarische Nachbarschaftshilfe. Abkommen, wie sie etwa Deutschland und Österreich geschlossen haben, sollen garantieren, dass von Gas abgeschnittene Länder vom Nachbarstaat zumindest minimal versorgt werden. Allerdings haben bisher erst sechs der 27 EU-Staaten solche Schritte eingeleitet.
Für Fatih Birol, den Chef der in Paris ansässigen Internationalen Energie Agentur (IEA), steht schon jetzt fest: Sollte Russland spätestens ab Oktober dem Westen das Gas völlig abdrehen, kommt Europa nur halbwegs ungestört über den Winter, wenn die EU-Gasspeicher bis Oktober zu 90 Prozent gefüllt sind. „Es ist noch möglich, diese 90 Prozent zu erreichen“, ist Birol überzeugt, „aber Europa muss jetzt sofort handeln. Jeder einzelne Tag zählt.“
Jeder Kubikmeter Gas, der nicht verbraucht wird, soll sofort in die Speicher. 12 Milliarden Kubikmeter Gas müsste die EU in den kommenden drei Monaten einsparen oder zusätzlich aufbringen, um auf eine 90-Prozent-Speicherfüllung bis zum Herbst zu kommen.
Auf dem freien Markt seien diese Mengen so schnell schlicht nicht zu bekommen, schreibt die IEA in ihrer jüngsten Analyse. Gas zu sparen sei deshalb unverzichtbar.
Zum Vergleich: Österreich verbrauchte 2021 rund 8,5 Milliarden Kubikmeter Gas. In der gesamten EU betrug der Gaskonsum im Vorjahr etwa 400 Milliarden Kubikmeter. Rund 155 Milliarden davon kamen aus Russland. Bis zum Herbst: Da begann der Kreml die Gaszufuhr bereits zu drosseln. Im Juni kam nur noch ein Drittel der Menge, die Russland früher in Richtung Europa schickte.
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