Demokratiebringer EBRD? "Wir tun unser Mögliches"

EBRD-Direktoriumsmitglied Dr. Johannes Seiringer
Eine Bank, die den politischen Wandel fördert: Wie passt das? EBRD-Direktor Johannes Seiringer im Gespräch.

Glücklich wäre mit Sanktionen gegen Russland hier niemand: Diesen Eindruck konnte man schon Mitte Mai beim Jahrestreffen der europäischen Entwicklungsbank EBRD in Warschau erhalten. Damals stand im Raum, dass erstmals nicht mehr nur Einzelpersonen, sondern auch Firmen auf die Liste kommen könnten.

Neuprojekte auf Eis

Jetzt rückt genau das näher. Und die EBRD ist selbst betroffen: Vergangene Woche haben die EU-Regierungschefs der Bank aufgetragen, neue Finanzierungen in Russland auf Eis zu legen. Was das konkret heißt, müssen die EBRD-Gremien mit ihren Eigentümern noch abklären. 2013 machten die EBRD-Finanzierungen in Russland 1,8 Mrd. Euro aus – das war bereits deutlich weniger als in den Jahren davor - primär wegen des schwächeren Wachstums und sinkender Auslandsinvestitionen.

Die Sanktionen seien Sache der Außenpolitik, heißt es bei der EBRD. Kritischen Fragen muss sich aber auch die Bank selbst stellen - schließlich wurde sie 1991 gegründet, um den Wandel der Ex-Sowjetstaaten in Richtung Marktwirtschaft und Demokratie zu fördern. Ein Anspruch, der im Lichte der aktuellen Ereignisse in Russland und Ukraine mehr denn je auf dem Prüfstand steht - der österreichische EBRD-Direktor Johannes Seiringer im KURIER-Interview:

KURIER: Vorne weg eine Frage zu Österreich: Sie sind seit Jänner 2013 in London. Wie nimmt man das Land von dort aus wahr?
Johannes Seiringer: Österreich hat einen unglaublich guten Ruf. Und – abgesehen von der großartigen Lebensqualität - eine tolle Mischung aus großen Produktionsunternehmen und vielen Mittelstands- und Kleinbetrieben. Für uns Österreicher ist das selbstverständlich, aber in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion versucht die EBRD, genau das zu erreichen. Diese Wirtschaften sind stark von Rohstoffen abhängig. Das bringt Geld, verhindert aber oft, dass vielfältigere Strukturen entstehen.

Sind die Klagen in Österreich über Reformstillstand also ein Luxusproblem?
Natürlich müssen wir alles tun, um in einer Welt des Wettbewerbs den Anschluss zu halten. Aber ich kann nicht bestätigen, dass das die Außenwahrnehmung wäre.

Dass unsere Banken und Unternehmen in Osteuropa breit aufgestellt sind, gilt als Risiko. Zu Unrecht?
Österreich wird als Land gesehen, dass die Chancen früh erkannt hat. Aber gefahrlose Investitionen gibt es nicht - und es wird auch jetzt noch Geld verdient. Gerade die Banken haben in vielen Ländern höhere Gewinne als in Österreich.

Was trägt denn die EBRD in diesen Ländern bei?
Es gibt noch Defizite bei Rechtssicherheit, Institutionen, Gerichtswesen oder Grundbuch. Das ist in fast allen Ländern in seriösem Aufbau bzw. gibt es diesbezüglich ein geschärftes Bewusstsein. Solange Rechtssicherheit fehlt, versuchen wir diese Lücke zu füllen. Haben Unternehmen Auseinandersetzungen mit Kunden oder Behörden, ist es hilfreich, wenn eine Organisation wie die EBRD beteiligt ist.

Der Anspruch der EBRD lautet, Ländern beim Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft zu helfen. Ist das nicht sehr hoch gegriffen?
Es ist nie so, wie man es sich wünschen würde, aber wir tun unser Mögliches. Wir fördern nicht Oligarchen oder Monopole, sondern private Unternehmer. In der Türkei fördern wir zum Beispiel mit einer dreistelligen Millionensumme Genderprojekte. Das können Schneiderinnen sein, die Kleinkredite für den Ankauf einer Nähmaschine brauchen, oder eine Unternehmerin, die Sanitärbedarf erzeugt und einige tausend Euro braucht. 79 Prozent unserer Ausleihungen fließen in den Privatsektor, weil wir überzeugt sind, dass eine breit aufgestellte Marktwirtschaft die Basis für Demokratie bildet. Dabei ist es viel aufwendiger, 15 Millionen Euro an kleine Unternehmer zu vergeben, als die nächste Autobahn um 200 Millionen Euro zu finanzieren.

Die Arbeit in Osteuropa ist noch lange nicht beendet. Trotzdem hat die EBRD 2011 beschlossen, ihr Wirkungsgebiet auf Nordafrika und den Nahen Osten auszuweiten. Warum?
Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien sind Europas erweiterter Wirtschaftsraum. Wir bewegen uns dort sehr vorsichtig, und in zwei Jahren haben wir dort 500 bis 600 Millionen Euro vergeben, rund drei Prozent der Gesamtsumme unserer jährlichen Neuinvestitionen. Einfach ist es nicht, Projekte zu finanzieren, aber wir haben eine Gesprächsbasis mit den Regierungen gefunden. Die EBRD versteht sich vor allem als Bank, verfolgt also profitable und vornehmlich langfristige Projekte, die ausreichend Cashflow erzeugen, um die Rückzahlung ihrer Kredite zu gewährleisten.

Das Finanzierungsvolumen von 8,5 Milliarden Euro pro Jahr macht nur 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung der gesamten Region aus. Was kann die EBRD da ausrichten?
Ein Empfängerland, das mit uns in Dialog tritt, legt damit ein Bekenntnis zur Demokratie ab. Und es verspricht sich Vorteile von westlichen Standards wie einer transparenten Vergabe, einem Bieterwettbewerb oder strenger Bilanzierung. Ein Beispiel ist Kasachstan, das so viele Rohstoffe hat, dass es Infrastrukturprojekte auch ohne EBRD finanzieren könnte. Das Land hat aber die Vorteile erkannt, wenn es die EBRD als Trägerrakete für die Wissensvermittlung einer modernen Betriebs- und Volkswirtschaft heranzieht.

Zypern, das in einer Stimmgruppe mit Österreich ist und von Ihnen vertreten wird, ist soeben zum Empfängerland geworden. Wie ist die Lage in dem Euro-Krisenland?
Besser als viele geglaubt hätten. Die Zyprioten sind extrem zielstrebig dabei, den Bankensektor neu zu ordnen, die Staatsbetriebe zu privatisieren und mittelständische Betriebe zu ermöglichen. Ich sehe da keine Lethargie, ganz im Gegenteil.

Viele waren äußerst skeptisch, wie eine Steueroase ein neues Wirtschaftsmodell finden soll.
Niemand sagt, dass alle Finanzprobleme gelöst wären. Aber Zypern stellt sich der internationalen Gemeinschaft sehr offen. Es wird auch nicht versucht, Offshore-Konstruktionen am Leben zu erhalten, die am Ende wieder Anlass zu Kritik gäben. Darüber hinaus gibt es Gasvorkommen vor der Küste, die Zukunftschancen eröffnen.

Wie geht die EBRD mit der politisch geteilten Insel um?
Wir werden das Problem der zypriotischen Trennung nicht lösen, das fällt nicht in unsere Kompetenz. Aber wir haben mit der Türkei eine Vorgangsweise gefunden, dass wir Projekte umsetzen können, die der gesamten Insel helfen. Das macht uns stolz.

Stichwort heikle Baustellen: Spürt die EBRD in Russland die Auswirkungen der Sanktionen?
Wir sind da, um Investitionsprojekte zu realisieren, alles andere ist Sache der Außenpolitik. Für uns ist Russland Teil des Gründungsauftrags und ein sehr wichtiger Markt.Wir tun unser Bestes, um unsere 90 Prozent Privatkunden in Russland bestmöglich zu unterstützen. Wir setzen auf den Privatsektor und sehen ihn als Träger jener Reformen, die Russland braucht.

Wer genau sind diese Kunden?
Das reicht vom Getränkeabfüller über den Kartonagenhersteller bis hin zu Agrarbetrieben, genauso aber klassische Industriebetriebe, wie Metallverarbeiter etc. Auch Logistiker und Handelsfirmen sind darunter. Und wir finanzieren Gründerzentren, um Kreativität in Ländern zu ermöglichen, wo Kleinunternehmertum nicht immer Tradition war.

Was trägt Österreich im Rahmen der EBRD bei?
Wir arbeiten mit den Geschäftsbanken zusammen, wo Österreichs Finanzsektor in der Region immer noch Spitze ist - auch in absoluten Zahlen. Besonders geschätzt wird unser Beitrag in der Vienna Initiative, die darauf geachtet hat, dass die Banken in der Region bleiben, mit Liquidität versorgt sind und weiterhin Kredite vergeben können. Je nach Land machen westliche Banken 60 bis 95 Prozent des Marktes aus – ein Rückzug hätte dramatische Folgen gehabt. Aber auch Österreichs Unternehmen kennen keine Berührungsängste. Sie nehmen aktiv an Projektausschreibungen teil. Insgesamt hat Österreich bei EBRD-Investitionen im Wert von 20 Milliarden Euro mitgemacht.

Ein spektakuläres Projekt in der Ukraine ist der Bau des „Sarkophags“ in Tschernobyl. Die Schutzhülle für den havarierten Kernreaktor soll 260 Meter breit und 100 Meter hoch werden, sie kostet rund zwei Milliarden Euro und soll 2017 fertig sein. Was ist der Anteil der EBRD?
Die EBRD verwaltet den „Chernobyl Shelter Fund“, an dem sich einschließlich Österreich mehr als 40 Länder beteiligen. Die Schutzhülle wird die Voraussetzungen schaffen, die Folgen des Reaktorunglücks von 1986 vor Ort endlich langfristig zu bewältigen. Es handelt sich also sozusagen um Vergangenheitsbewältigung, während Österreich keinen Investitionen zustimmt, die zu einer Laufzeitverlängerung (von Atomkraftwerken, Anm.) führen könnten. In ihrer Energiepolitik setzt die EBRD massiv auf erneuerbare Energien, wo Österreich ein Vorreiter ist.

Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE oder EBRD) mit Sitz in London wurde 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion gegründet. Sie gehört 64 Ländern, der EU und der Investitionsbank EIB und hat bisher 4000 Projekte im Volumen von 86 Mrd. Euro (mit)finanziert. Davon profitiert auch die heimische Industrie: 2013 seien Aufträge der EBRD in der Höhe von 40,3 Mio. Euro an österreichische Firmen vergeben worden, hieß es am Rande der Jahrestagung im Mai. Der gebürtige Oberösterreicher Johannes Seiringer wurde von Finanzministerin Maria Fekter Anfang 2013 zur EBRD entsandt, er folgte in dieser Funktion auf Kurt Bayer und ist als Direktor der Ländergruppe für Österreich, Bosnien-Herzegowina, Zypern, Israel, Kasachstan und Malta zuständig. Davor war Seiringer Manager bei der Investkredit und der Austro Control.

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