Das "Silicon Valley" des Ostens blutet aus

Das "Silicon Valley" des Ostens blutet aus
Weißrusslands IT-Spezialisten wollen weg. Lettland und die Ukraine werben um sie.

Weißrussland (Belarus) drohen, die IT-Experten abhandenzukommen. Repräsentativ für die IT-Branche im Land ist ein Hightech-Park, ein lang gestreckter kastenförmiger Bau am Rande der Hauptstadt Minsk. Bis vor Kurzem war diese Sparte noch der ganze Stolz der Wirtschaft des Landes, der mehr als sechs Prozent des Inlandsproduktes ausmachte. Doch nun befindet sich das „Silicon Valley Osteuropas“ schwer in der Krise. Die dortigen Start-ups und deren Mitarbeiter wollen einfach nur weg. Grund ist der radikale Kurs von Staatspräsident Alexander Lukaschenko.

Das hat mehrfache Auswirkungen. Um den Informationsaustausch zu stoppen, lässt die Regierung das Internet zeitweise blockieren, was den 400 IT-Firmen des Technologie-Parks massiv schadet. Ende August unterschrieben 2.500 IT-Fachkräfte einen offenen Brief, in dem sie Neuwahlen forderten und vor dem Kollaps ihrer Branche in Belarus warnten.

Der Hightech-Park wurde im Jahre 2005 von Walerij Zepkalo gegründet, dessen Präsidentschaftskandidatur in diesem Juni durch eine manipulierte Stimmzählung verhindert worden ist. Der ausgebildete Diplomat und Ingenieur wirkte lange als ein Mann des Regimes. Er war mitverantwortlich dafür, dass der ehemalige Sowchose-Direktor Alexander Lukaschenko 1994 ins Amt kam, lernte dann als US-Botschafter Silicon Valley und dessen Potenzial kennen.

Internet: „Haufen Müll“

Schließlich konnte Zepkalo den sowjetisch geprägten Präsidenten, der das Internet als einen „Haufen Müll“ verachtete, überzeugen, mit niedrigen Steuern IT-Firmen nach Minsk zu locken und Unternehmensgründungen großzügig zu fördern. Das „Silicon Valley Osteuropas“ wurde so auch eine Brücke zum Westen. Noch im Februar dieses Jahres kam US-Außenminister Mike Pompeo zur Visite vorbei und machte Hoffnung auf weitere IT-Geschäfte mit US-Firmen.

Jetzt ist es andersherum: Das lettische Investitions- und Entwicklungsbüro bearbeitet Anfragen von 150 weißrussischen IT-Unternehmen, zehn sollen bereits übersiedelt sein. Und 300 weißrussische IT-Spezialisten haben angeblich bereits in der Ukraine neue Jobs gefunden.

2.000 Euro Verdienst

Das Digitalisierungsministerium in Kiew wirbt aktiv um diese Talente aus dem Nachbarland. Etwa mit dem Hinweis, dass der ukrainische Staat gerade digitalisiert werde und der Branchen-Durchschnittsverdienst bei umgerechnet rund 2.000 Euro liege. Das ist nicht wirklich viel, doch die Ukraine und Lettland mit seiner großen russischen Minderheit haben den Vorteil, dass die IT-Fachleute aus Weißrussland dort weiterhin Russisch sprechen können.

Auch ausländische Unternehmungen in Weißrussland ziehen inzwischen einen Teil ihrer Mitarbeiter ab. Eine fatale Tendenz. Denn die Wirtschaft der ehemaligen Sowjetrepublik stagniert seit zehn Jahren. Derzeit gibt es in vielen Fabriken Bummelstreiks, oder die Beschäftigten melden sich krank. Egal, wie sich die Lage in Weißrussland noch entwickeln wird: Die Wirtschaft wird lange brauchen, um sich zu erholen. Jens Mattern

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