Das Schmalspur-Gericht

Der Richterspruch zur geplanen dritte Piste am Flughafen regt auf
Qualifikation der Richter, Politbesetzungen – aus der Justiz kommt harte Kritik am Verwaltungsgericht.

Mit der Entscheidung gegen den Bau der dritten Piste am Flughafen Wien sorgte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) für heftige öffentliche Auseinandersetzungen. Die Wirtschaft empörte sich, die Länder Wien und Niederösterreich ebenfalls, auch aus der Regierung kamen kritische Wortmeldungen. Umweltschützer und Agrarier jubelten.

Diese Aufregungen sind wenig überraschend. Wesentlich interessanter ist, welche Diskussionen das Erkenntnis in der Justiz ausgelöst hat. Nicht nur, dass viele Vertreter den Kopf schütteln, wie der Stopp des Großprojektes begründet wurde. Hinter den Kulissen ist wieder eine grundsätzliche Debatte über das junge Gericht aufgeflammt, das erst 2014 startete. Und das nicht zur Justiz unter Minister Wolfgang Brandstetter gehört, sondern zum Bundeskanzleramt.

"Das Erkenntnis ist juristisch völlig falsch", sagen renommierte Vertreter der Justiz. Die Begründung mit dem Klimaschutz und dem Bodenverbrauch sei juristisch nicht nachvollziehbar. Beides seien Zielsetzungen, die nicht am Einzelfall konkretisiert werden könnten.

Nächster Kritikpunkt ist die mögliche Befangenheit von einem der drei Richter. Werner Andrä jobbte, wie der KURIER berichtete, vor seiner Richter-Karriere als Generalsekretär der "Land & Forst Betriebe Österreichs", einem Lobbying-Verein der Agrarier und Forstwirte. Zu einem Zeitpunkt, als das UVP-Verfahren für die dritte Piste bereits im Laufen war.

Einer der Beschwerdeführer gegen die Piste ist der Groß-Agrarier Dietrich Buschmann, der rund die Hälfte jener 661 Hektar bewirtschaftet, die der Flughafen benötigen würde. Buschmann scheint – Überraschung – in der Mitgliederliste von "Land & Forst" auf.

Eventuelle Befangenheiten sind ganz besonders problematisch. "Die Schwelle ist sehr niedrig. Es reicht allein schon der Anschein", erklärt Stefan Huber von der Großkanzlei CHSH (Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati). "Wenn etwas auch nur seltsam aussieht oder ein Geruch entstehen könnte, ist äußerste Vorsicht angebracht", warnt der auf öffentliches Recht spezialisierte Jurist.

Anwälte prüfen die Causa bereits. In der Justiz rechnet man damit, dass bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft bald eine Sachverhaltsdarstellung einlangen dürfte. Wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch.

In einem derart delikaten Fall wäre die Staatsanwaltschaft dem Justizministerium berichtspflichtig. Anzunehmen, dass das Ministerium ermitteln lassen würde. Dann könnte wiederum Kanzleramtsminister Thomas Drozda, SPÖ, ein Problem bekommen. Er ist die oberste Dienstaufsichtsbehörde für das Verwaltungsgericht und müsste sich die Frage gefallen lassen, warum er vorher nicht gehandelt hat.

Die Distanz des Verwaltungsgerichtes zur Parteipolitik war von Beginn an gering. Das Konstrukt, heute das größte Gericht Österreichs, ersetzt die zahlreichen Verwaltungseinrichtungen zweiter Instanz (z.B. Verwaltungssenate, Bundesvergabeamt, Datenschutzkommission) und den Asylgerichtshof.

Gleich beim Start gab es massive Kritik, weil Mitarbeiter aus den roten und schwarzen Ministerkabinetten auf die sicheren und begehrten Richterposten wechselten. Das wiederholte sich im Herbst des Vorjahres. 40 weitere Jobs waren ausgeschrieben, 350 Kandidaten bewarben sich. Der Personalsenat, bestehend aus den zwei Gerichtspräsidenten und fünf Richtern, reihte pro Position drei Kandidaten.

Wären in Summe 120 Kandidaten, die in die engere Wahl kommen. Stimmt aber nicht. Durch kreuzweise Reihungen wurde die Zahl der Bewerber stark reduziert und die Chancen der Wunschkandidaten enorm erhöht. Zwei der neuen Richterinnen kommen aus dem Kabinett von Drozda, einer von Lebensminister Andrä Rupprechter, ÖVP. Die ehemalige blau-orange Justizministerin Karin Gastinger kam ebenfalls am BVwG unter. Der ständige Postenschacher verärgerte einige Richter derart, dass sie ihren Unmut beim KURIER deponierten.

Aber was ist schon zu erwarten, wenn die beiden Gerichts-Chefs selbst ihre Karriere über politische Kabinette machten. Präsident Harald Perl war Mitarbeiter bei den ehemaligen SPÖ-Kanzlern Franz Vranitzky und Viktor Klima. Sein schwarzer Vize kommt aus dem Kabinett von Wolfgang Schüssel.

"Es ist eine ganz üble Praxis, dass Menschen direkt aus Ministerkabinetten zu Verwaltungsrichtern bestellt werden", wettert der Verfassungs- und Verwaltungsexperte Heinz Mayer im trend. Vertreter der Justiz empören sich ebenfalls: "Völlig unmöglich, Leute aus den Kabinetten unterzubringen". Bei den Zivil- und Strafgerichten würde der Versorgungsproporz schon deswegen nicht funktionieren, weil dafür die – alles andere als einfache – Richteramtsprüfung notwendig wäre.

Für das Verwaltungsgericht genügt ein Jus-Studium samt fünfjähriger juristischer Berufserfahrung. Etwa als Mitarbeiter in der Verwaltung oder in einer Anwaltskanzlei. Wie viele der 220 Verwaltungsrichter die Richteramtsprüfung abgelegt haben, darf ein Gerichtssprecher mit Verweis auf seinen Präsidenten dem KURIER nicht mitteilen. Wie Richter berichten, sind es nicht allzu viele Kollegen.

"Die Anforderungen an die Richter sind deutlich niedriger als in der Justiz", kritisiert man in hochrangigen Justizkreisen. Das sei bei der Gründung des BVwG sogar beabsichtigt gewesen, um politische Wunschkinder leichter unterzubringen.

Absurd: Eigentlich gibt es zwei Justizminister. Einen "großen" (Brandstetter) und einen "kleinen" (Drozda).

Sinnvoll wäre es, meinen Experten, die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf lange Sicht mit den Zivil- und Strafgerichten zusammen zu legen. Das wird angesichts der unterschiedlichen Qualifikationen allerdings Jahre dauern. Solange werden sich viele BVwG-Juristen gegenüber ihren Justiz–Kollegen weiterhin als Schmalspur-Richter fühlen.

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