Das Geld wird beim Wirt’n angelegt
Wer auf der Suche nach einem traditionellen Gasthaus – also einem gestandenen und urigen Wirt’n – beim „Franzlwirt“ in Bad Vöslau (NÖ, Bezirk Baden) einkehrt, wird nicht enttäuscht sein. Von der Einrichtung mit holzgetäfelten Wänden bis zur Kulinarik mit Gulasch entspricht alles der Vorstellung. Und der Wirt schenkt nicht nur ein gepflegtes Bier aus, sondern kennt auch den neuesten Ortstratsch. Leuten, die ihm sympathisch sind, erzählt er diesen sogar. Der Tradition entspricht auch, dass man hier nicht nur einkehren, sondern auch einzahlen kann. Denn der Franzlwirt beherbergt einen Sparverein.
Standardausstattung
Der gehörte früher zur Standardausstattung jedes guten Gasthauses. „Der Sparverein ist ein historischer Teil der Wirtshausgeschichte“, sagt Franz „Franzlwirt“ Sebestik. Gegründet wurde jener in seinem Haus schon in den 30er- Jahren vom Großvater. „Das war damals mehr ein geselliges Zusammensein, aber wer nicht regelmäßig einzahlte, musste sogar mit Strafen rechnen. Mit dem Erlös hat man dann meist einen Ausflug finanziert“, erzählt Sebestik. Sogar die Wirren des Zweiten Weltkrieges konnten die Sparmeister im Wirtshaus nicht bremsen: „Da wurde illegal ein Schwein gekauft und zu Weihnachten gab es statt der Auszahlung dann für alle Schweinsbraten“, sagt der Franzlwirt.
Lebendige Tradition: 1977 hat er dann das Wirtshaus und damit auch den Sparverein übernommen. „Das war immer eng miteinander verbunden.“ Einschreib- und Strafgebühr wurden ebenso abgeschafft wie der fixe Einzahlungstermin. „Das war früher immer am Freitag zwei Stunden lang möglich, aber mittlerweile kann jederzeit eingezahlt werden.“
Zinsen
Ungebrochen ist die Beliebtheit des Sparvereins. Trotz der relativ geringen Zinsen von aktuell 0,75 Prozent registriert man derzeit 128 Mitglieder. „Bei vielen ist es eine Gewohnheit, weil schon die Großeltern beim Sparverein dabei waren. Wir erben auch immer wieder Leute von Wirtshäusern, die zusperren. Es handelt sich um Geld, das man sonst nie auf die Seite gelegt hätte, denn wer geht schon jede Woche auf die Bank und zahlt 20 Euro ein?“, sagt Sebestik.
Erfolgsgeheimnis
Dabei ist hier alles möglich: Die Einzahlung beginnt schon bei fünf Euro, die Auszahlung ist jederzeit möglich. „Die Älteren verwenden das Geld noch immer gerne für Weihnachten, die Jüngeren eher für den Urlaub. Und manche konsumieren es auch gleich im Wirtshaus.“ Darin liegt vielleicht auch das Erfolgsgeheimnis des Sparvereins: Mit gutem Gewissen – und mit guter Ausrede – ins Wirtshaus gehen zu können.
53 ... 20 Euro, 54 ... 20 Euro, 55 ... nix. Wo woa die Nummer 55, weil er net einzahlt hat?“ Ingrid und Gerhard Wolf bewachen den Sparverein im Gasthaus „Zum Schreiber“ in Gablitz (NÖ, Bezirk Wien-Umgebung) namensgerecht. Sie wissen ganz genau, wann wer wie viel einzahlt, und sorgen sich, wenn jemand einmal auslässt.
Die Spargemeinschaft beim Schreiber ist eine im Vergleich sehr junge. Denn sie besteht erst seit vier Jahren. Die Gäste haben sich das gewünscht und „die Wölfe“, wie die beiden Sparmeister genannt werden, haben den Wunsch natürlich in die Tat umgesetzt.
50 Sparer waren es in den Anfangszeiten, mittlerweile zählt man 70. Eingezahlt wird wöchentlich. 10, 20, 50, 100 Euro, je nachdem wie viel die Wirtshausgäste übrig haben.
Jeden Freitag wird das fleißig Ersparte aus dem Blechkasten ausgeleert, gezählt, die Beträge notiert und auf die Bank gebracht. „Hektisch werden’s immer erst, wenn’s wissen, dass ma auf die Bank gengan. Dan kumman’s und fragen, ob’s eh nicht zu spät is“, erzählt Gerhard Wolf. Meistens ist es nicht zu spät, denn die Wölfe warten auf ihre Schäfchen.
Zuschuss
Für die meisten im Verein ist das Sparen im Wirtshaus ein Zuschuss für die Weihnachtsgeschenke: „Meine älteren Damen sagen immer, das ist das Weihnachtsgeld für die Enkelkinder“, erzählt Annemarie Starnberger, die mittlerweile die Seniorchefin im Gasthaus „Zum Schreiber“ ist und auch selbst jede Woche einzahlt.
Im Jahr 2012 haben die Sparmeister in ihrem Wirtshaus knapp 60.000 Euro zusammengespart. Das war ein besonders gutes Jahr. Diese Woche hat das neue Sparjahr auch schon wieder begonnen – und das entwickelt sich in der kurzen Zeit schon ziemlich gut. Denn schon jetzt sind drei neue Mitglieder zum Sparverein dazugestoßen.
Auch diese werden von den „Wölfen“ beim Schreiber wieder wöchentlich motiviert werden, ihr „Weihnachtsgeld“ auch wirklich zu sparen.
Geschichte
Organisierte Gemeinschaften von Sparern in Gasthäusern haben Tradition. Die ersten fanden sich im späten 19. Jahrhundert zusammen. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebten die österreichischen Sparvereine eine Blütezeit.
Verband
In Österreich gibt es aktuell bis zu 16.000 Sparvereine. Im Jahr 1966 wurde der Verband der österreichischen Sparvereine (VÖS) ins Leben gerufen. Bereits im ersten Jahr haben sich hier 177 Sparvereine mit rund 23.000 Sparern zusammengeschlossen.
Zwei Milliarden Euro
Heute ist der VÖS die größte Dachorganisation und betreut rund 3800 Vereine mit 260.000 Einzahlern. Rund zwei Milliarden Euro werden verwaltet.
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