Container-Schifffahrt: "Mengen um 30 Prozent eingebrochen, das ist irre"
Wegen der Corona-Pandemie wurde der Frachtraum in den Container-Schiffen knapp und die Preise stiegen. Jetzt gebe es hohe Überkapazitäten, schildert ein Experte.
In der Containerschifffahrt hat sich im letzten Monat der Wind um 180 Grad gedreht. Der Frachtraum war davor knapp und die Reedereien haben nach vielen mageren Jahren seit 2020 Milliardengewinne geschrieben. Viel haben sie in Schiffe investiert, ihre Flotten um 25 Prozent aufgestockt. Diese werden bis 2025 ausgeliefert.
Es gleicht einem Treppenwitz, dass es just in dem Moment zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und zu jahrzehntelang nicht gekannten Inflationsraten kommt. Die Nachfrage nach Waren aller Art rasselte in den Keller, in der Containerschifffahrt herrscht Flaute. Ein Gespräch mit Alexander M. Till, Experte vom Hamburger Hafen.
KURIER:In der Containerschifffahrt gab es in den vergangenen Wochen nie da gewesene Umbrüche. Was ist passiert?
Alexander M. Till: Die Reedereien haben in den vergangenen 24 Monaten nach vielen nicht guten Jahren Rekordgewinne geschrieben. Maersk, die weltweit zweitgrößte Reederei, hatte 2021 ein Betriebsergebnis (Ebit, Anm.) in Höhe von 19,6 Milliarden US-Dollar. Die französische Reederei CMA/CGM, die Nummer drei auf der Welt, 17,9 Milliarden US-Dollar. Damit lag deren Ebit-Marge bei über 40 Prozent des Umsatzes. Normalerweise haben die Reedereien eine Ebit-Marge von zwei bis sechs Prozent, oder lagen in den letzten Jahren sogar im Minus. Das ist ein historisches Plus. Das hat 2020 begonnen und 2021 seinen Höhepunkt erreicht.
Doch dann kam Gegenwind?
Seit Anfang September sind die Raten für einen 40-Fuß-Container von 10.000 bis 12.000 Dollar im Sturzflug. Derzeit liegen sie bei 4.000 Dollar.
Wie kam es dazu?
In Asien sind die Ladungsmengen um 30 Prozent eingebrochen, das ist irre, total ungewöhnlich. Wahrscheinlich liegt das daran, dass die Importeure in Europa wegen der wackelnden Lieferketten wie verrückt importiert haben und jetzt nicht mehr bestellen, weil die Läger voll sind. Es ist sicherlich ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren.
Was bedeutet das für die Reedereien?
Für sie kommt es noch viel dicker. Die Reedereien haben davor auf Teufel komm raus Containerschiffe bestellt, um die vormals großen Frachtmengen besser bewältigen zu können. Sie haben ihre Flotten um rund 25 Prozent aufgestockt. Die Weltflotte hat derzeit 25 Millionen TEU (Zwanzig-Fuß-Standardcontainer, Anm.), zusätzlich bestellt wurden 5,5 Millionen TEU, die bis 2025 ausgeliefert werden. Das ist die größte Bestellung in der Geschichte, das gab es noch nie. Die Reedereien haben so viel Gewinn gemacht, sie konnten sich das leisten. Doch es gleicht einem Treppenwitz der Geschichte. Sie haben so viele Schiffe bestellt wie noch nie, gleichzeitig bricht die Nachfrage ein und die Raten verfallen. Und keiner weiß, wie es weitergeht.
Was sind die Gründe für den Einbruch der Nachfrage?
Es gibt mehrere Gründe. Die hohen Energiepreise, die sinkende Kaufkraft, die Leute haben keine Lust, einzukaufen. Vielleicht handelt es sich nur um eine kurze Delle, wie zu Beginn der Corona-Pandemie, und die Nachfrage springt bald wieder an. Es wird wohl auch am Krieg in der Ukraine und der hohen Inflation liegen. Jedenfalls wurde ab September schlagartig um 30 Prozent weniger importiert.
Wie kann man sich das weitere Szenario vorstellen?
Die Schifffahrt hat jetzt Überkapazitäten, die Containerpreise werden weiter fallen. Ob die Überkapazitäten nachhaltig sind, wissen wir erst in ein paar Monaten. Dann sehen wir, ob die Hilfsmaßnahmen der Regierungen greifen und die Leute wieder einkaufen. Wenn das nicht passiert, dann hat die Containerschifffahrt noch jahrelang Überkapazitäten. Das ist alles völlig neu, das haben wir bis vor ein paar Wochen noch nie gesehen. Derzeit steht in der Branche alles Kopf. Ob in Europa oder in den USA, überall ist die Nachfrage wie auf Kommando eingebrochen.
Wie können die Reedereien reagieren?
Die Reedereien haben nur ein Mittel. Die Schiffe, die sie bestellt haben, müssen sie abnehmen, das geht nicht anders. Ein Containerschiff hat eine Lebensdauer von 25 bis 30 Jahren. Die neuen Schiffe brauchen um bis zu 50 Prozent weniger Sprit als die alten. Das heißt, sie nehmen die Schiffe, die noch ein paar Jahre fahren könnten, raus und ersetzen sie durch die effizienteren. Darüber hinaus können sie eine künstliche Verknappung erzeugen. Wenn der Markt spürt, dass der Frachtraum knapp wird, dann gehen die Raten wieder hinauf.
Vor ein paar Wochen haben wir uns noch gefürchtet, dass die Hälfte der Regale leer sind und es einen Mangel an vielen Produkten gibt. Ist es jetzt so, dass die Regale voll sind, wir uns die Waren aber nicht mehr leisten können oder wollen?
In Europa ist wieder viel da, vereinzelt gibt es Schwierigkeiten und Mangelartikel, wie zum Beispiel bei Chips oder bei Kabelbäumen. Aber im Großen und Ganzen funktionieren die Lieferketten wieder. Es gibt noch Verspätungen, aber das pendelt sich gerade wieder ein. Die leeren Regale sind abgewendet, gewissen Produkte fehlen, aber Verbraucherprodukte oder Baumarktwaren, die sind da. Das ist ein 180-Grad-Schwenk im Vergleich zur Lage vor ein paar Monaten.
Der Welthandel auf den großen Ozeanen wird von wenigen großen Playern dominiert. Zwischen Asien und Europa gibt es nur noch drei Reederei-Allianzen, die 99 Prozent des Marktes beherrschen. Das sind The Alliance, 2M und Ocean Alliance. Unter jeder dieser Allianzen firmieren zwei bis vier Reedereien. Zwischen Asien und den USA haben sie 89 Prozent des Marktes, auch auf allen anderen wichtigen Routen sind sie dominant. Das bedeutet, dass der Welthandel in der Hand eines Oligopols ist.
Zur 2M zählen die dänische Maersk sowie MSC mit Sitz in Genf. Zur Ocean Alliance gehören unter anderem CMA/CGM, Evergreen und die chinesische Cosco, zu The Alliance zählen unter anderem Hapag-Lloyd, One und die taiwanesische Yang Ming.
Veritable Schifffahrtskrisen kennt die Seefahrt nicht erst seit der Corona-Pandemie, sondern seit ihrem Bestehen. Alleine im 20. Jahrhundert gab es zahlreiche Krisen. So sank nach dem Ersten Weltkrieg die Nachfrage nach Frachtraum stark ab, weitere Flauten gab es in der Weltwirtschaftskrise und Ende der 50er-Jahre, als der Neuaufbau japanischer, deutscher sowie indischer und israelischer Flotten für Überkapazitäten sorgten. In jüngerer Zeit sind die Finanz- und Wirtschaftskrise in Asien in den Jahren 1997 und 1998 zu nennen, die die Schiffspreise sinken ließen. Sowie die globale Schiffskrise, die 2008 in Folge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise aufzog, mit einer kurzen Unterbrechung bis 2018 anhielt und alle Segmente der Handelsschifffahrt traf.
Wie wird es weitergehen?
Es ist die Frage, ob die Kauflaune wieder zurückkommt. Und nicht zuletzt hängt der Krieg in der Ukraine wie ein Damoklesschwert über allem. Wenn es dort richtig scheppert, dann ist es zweitrangig, ob Mountainbikes gerade lieferbar sind oder nicht.
In den USA läuft auch alles wieder rund?
Da gibt es noch Probleme in den Häfen. Sie wurden in den vergangenen Jahren nicht so gut ausgebaut wie in Europa. Das läuft noch nicht ganz rund, es wird aber auch eine ruhigere Zeit kommen. Die Verspätungen werden sich von selber einpendeln, weil die Nachfrage zurückgeht. Die Überlastung der Häfen wird zurückgehen und wieder ein Normalzustand einkehren.
Wenigstens in der Logistik kehrt also langsam Normalität zurück?
Ja, und das ist für alle Beteiligten wichtig. Die Logistiker sind alle angeschlagen, sie haben zwar gut verdient, aber die Mitarbeiter sind erschöpft. Die haben mit dreifachem Aufwand gearbeitet, seit 2,5 Jahren sind sie am Anschlag. Davor ist die Containerschifffahrt jahrzehntelang wie ein Uhrwerk gelaufen.
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