Christoph Leitl: "Zeit des Durchwurstelns ist vorbei"

Kammerpräsidenten Leitl (re.) und Ruck (Wien) auf Besuch im KURIER.
Wunsch nach Wohnbau-Offensive und Gesprächen statt Russland-Sanktionen.

Die Zeit des Schönredens und Durchwurstelns ist vorbei", sagt Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl. Er, der vor der Nationalratswahl 2013 die Wellen hochgehen ließ, indem er den Wirtschaftsstandort als abgesandelt bezeichnete, fühlt sich nun bestätigt. "Damals ging es um ein Abrutschen auf den Durchschnitt. Mittlerweile sind wir schon deutlich unterdurchschnittlich, wenn man die neue Wachstumsprognose der EU-Kommission betrachtet."

Es gebe Handlungsbedarf im Wohnbau und bei der Exportförderung, auch der Handwerkerbonus laufe im Sommer aus – Weiterfinanzierung ungeklärt. "Wir leben in unsicheren Zeiten: Das ist Gift für die Wirtschaft."

Derzeit finden übrigens gerade wieder Wahlen statt – nächste Woche wird über die Zusammensetzung der Wirtschaftskammern in Bund und Ländern für fünf Jahre entschieden. Allein in Wien treten 23 Listen an.

Christoph Leitl: "Zeit des Durchwurstelns ist vorbei"
Christoph Leitl, in der Kurier Redaktion, Interview, Martina Salomon
In Sachen Steuerreform ist der Kammerpräsident auf ÖVP-Linie und lehnt neue Vermögenssteuern ab. In der Vergangenheit habe die ÖVP ohnehin bereits Konzessionen an den Koalitionspartner gemacht, sagt Leitl: Kapitalertragssteuer auf Wertpa-pier-Erträge, Abschaffung der Spekulationsfrist bei Aktien, Solidarabgabe für Besserverdiener. Der SPÖ unterstellt er, Besserverdiener aus dem Land "rauszuprügeln" und in Wahrheit den Mittelstand zu belasten. "Aber jetzt müsste endlich der Staat dran sein", fordert Leitl Reformen ein.

"In Geiselhaft"

Die Russland-Sanktionen lehnt Leitl ab. Da werde die Wirtschaft, besonders die (hier besonders engagierte) österreichische, "in Geiselhaft" genommen, kritisiert er. Bisher hätten diese Maßnahmen nicht einmal etwas gebracht, sondern nur die Fronten verhärtet. "Russland krallt sich in die Erde ein, und die Russen halten alles aus." Das bereite nicht nur den österreichischen Banken Probleme, sondern zum Beispiel auch den Schweinebauern. Die langfristigen Auswirkungen könnten schlimm sein: Vertrauensverlust der russischen Geschäftspartner und Russland könne sich von Europa ab- und China zuwenden.

Der deutschen Kanzlerin Merkel hält Leitl aber zugute, dass sie einen "übermenschlichen Einsatz" für den Frieden leiste und "es sich nicht verdient hat, vom österreichischen Bundeskanzler kritisiert zu werden".

45.000 Jobs in Gefahr

Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO hat für das Wirtschaftsministerium eine Studie über die Folgen der Russland-Sanktionen verfasst: Im Extremfall sind bis zu 45.000 Jobs in Österreich gefährdet, so das Ergebnis. Droht ein hoher Wertschöpfungsverlust? Schwer zu prognostizieren, sagen die Forscher. Allein bei den zahlungskräftigen russischen Tourismusgästen in Österreich habe man im November und Dezember einen deutlichen Einbruch gesehen. "Nicht so schlimm" habe sich hingegen der Warenaußenhandel mit Russland entwickelt. Die am meisten betroffenen Branchen bei einem vorübergehenden Exportausfall sind Maschinenbau, Großhandel und Landwirtschaft.

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