Schirmherr der Kammer

Leitl: "Das bringt's ja nicht"
Nach dem Reförmchen der Gewerbeordnung steht der Wirtschaftskammer-Boss bei der Unternehmerschaft stark unter Druck, die Interessensvertretung zu modernisieren.

Gerade noch davongekommen. Die vergangene Woche von der Regierungsspitze präsentierte Reform der Gewerbeordnung ist ein Reförmchen, "enttäuschend" war noch die höflichste Formulierung der Opposition. Wirtschaftskammer und Gewerkschaft hatten gemeinsam erfolgreich gegen eine substanzielle Entrümpelung lobbyiert. Der oberste Bau-Gewerkschafter, Josef Muchitsch, sorgte sich plötzlich um die Qualität des Friseurberufs und die Kammer zahlte ein ganzseitiges Inserat im Boulevard, wo ÖGBler und Unternehmer Stimmung gegen eine Liberalisierung machten.

Zwar droht noch kleineres Ungemach, weil das Reförmchen der SPÖ zu wenig ist, aber ein großer Wurf wird’s nicht mehr. Eine Reform, die diesen Namen auch verdient, wäre für die Kammer finanziell schmerzhaft geworden. Die Umlage wird pro Gewerbeschein fällig. Je weniger Gewerbeberechtigungen, desto weniger Geld für das Kammersystem.

Die Zahl der Scheine stieg seit 2004 beachtlich, um ein Drittel auf mehr als 795.000 Berechtigungen. Bei rund 500.000 Mitgliedern. Auf 20 Millionen Euro schätzt Christoph Leitl, Chef der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und des Kammer-dominierenden ÖVP-Wirtschaftsbundes, den Ausfall durch die Mini-Reform. Müsste bei jährlichen Gesamteinnahmen von mehr als 870 Millionen Euro nicht allzu schwer zu verkraften sein.

Der "Erfolg" dürfte auf Leitl wie ein Adrenalinstoß gewirkt haben. Beobachter hatten schon länger den Eindruck, Leitl interessiere sich nicht mehr sehr für die Kammer und fahre lieber repräsentierend in der weiten Welt umher. Jetzt aber wirke er wieder unglaublich motiviert, erzählen Teilnehmer der letzten Präsidiumssitzung des Wirtschaftsbundes. Auch das Verhältnis zu ÖVP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner sei harmonischer.

Die Motivation wird Leitl brauchen. Der Druck aus der Unternehmerschaft wird immer stärker und dem Oberösterreicher ist durchaus klar, dass das kämmerliche System dringend modernisiert werden muss.

Zwei interne Reformen hat Leitl bereits durchgezogen. Die erste setzte der spätere Flughafen-Vorstand Christian Domany um. Der Mitarbeiter-Abbau wurde aufgrund sehr großzügiger Handshakes äußerst kostspielig. Trotzdem ersparten sich die Mitglieder 30 Prozent. Mit der nächsten Reformstufe gelang es dann dem damaligen Vizepräsidenten Hans Jörg Schelling, die Fachorganisationen zu verschlanken.

Jetzt werken vier Arbeitsgruppen im Wirtschaftsbund an einer Neu-Aufstellung. Da während des dreimonatigen Murksens mit der Gewerbeordnung pausiert wurde, dürften sich die Ergebnisse verzögern und erst im Frühsommer 2017 dem Wirtschaftsparlament, der Vertretung aller politischen Fraktionen, zur Abstimmung vorgelegt werden.

Am wichtigsten sind die Finanzen. Mehr als 60 Prozent der Mitglieder sind sogenannte EPU (Ein-Personen-Unternehmen), da wird ebenso wie für Kleinunternehmer nicht mehr viel drin sein. Die niedrigste Grundumlage liegt derzeit unter 100 Euro im Jahr. Die Beiträge (Kammerumlage KU1, KU2) errechnen sich aus dem Vorsteuer-Umsatz und der Lohnsumme der Unternehmen.

Profitieren dürfte vielmehr die Industrie, die sich längst kritisch auf die Sozialpartnerschaft eingeschossen hat. 0,1 Prozent der Mitglieder – Österreichs größte Betriebe – zahlen ein Drittel der gesamten Umlagen. Ein Konzern mit einigen Tausend Mitarbeitern kommt da schon auf drei bis vier Millionen Euro im Jahr und mehr. Das zweite Drittel wird von einem Prozent der Unternehmen finanziert. Da sind die großen Mittelbetriebe dabei. 99 Prozent finanzieren das letzte Drittel. Die Großen zahlen für die Kleinen – und alle fühlen sich benachteiligt.Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit "Struktur und Prozesse". Eine von Leitls Standardforderungen an die Regierung ist – völlig zu Recht – die Verwaltungsreform, doch im eigenen Haus sieht’s auch nicht besser aus. Neun unabhängige Landeskammern, eine Bundeskammer und zig wirtschaftlich und organisatorisch autonome Fachorganisationen, denen von oben nix diktiert werden kann. Abgesichert per Verfassungsgesetz. Nicht einmal die IT-Systeme sind abgeglichen. "Eine Reform ist längst überfällig, die ,Kammer der gewerblichen Verhinderung‘ ist noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen. Aber Leitl kann sich bei den Ländern nicht durchsetzen", wettert der Hotelier und Neos-Politiker Sepp Schellhorn, ehemaliges Wirtschaftsbund-Mitglied. Auch die Grünen fordern die Abschaffung der Landeskammern.

Sollte die FPÖ in die Regierung kommen, droht die Pflichtmitgliedschaft zu fallen. Dann wird’s wirklich ungemütlich. Auch die Neos stellen den Zwang zur Kammer-Mitgliedschaft in Frage. Auf freiwilliger Basis müssten die Funktionäre "um ihre Mitglieder rennen und nicht nur die Gulasch-Kanonen für die nächste Lohnrunde aufwärmen" (Schellhorn). Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier ist ganz anderer Meinung: "Im Gegensatz zu den politischen Parteien konnte die Sozialpartnerschaft die Vertrauenswerte im positiven Bereich halten". Je stärker die Regierung polarisiere, desto mehr steige das Image der Sozialpartnerschaft. Da die Wirtschaftskammer nicht so breit in der Bevölkerung vertreten sei wie die Arbeiterkammer, sei das Grundvertrauen enorm. Politisch klug findet er, dass die Sozialpartner-Chefs nicht mehr im Parlament sitzen.

Die Pflichtmitgliedschaft schaffe "Stabilität und Berechenbarkeit", die Kammer werde als "Vertretungsmonopol" anerkannt. Davon würden alle Branchen und auch die kleinsten Unternehmer profitieren. Der Nachteil sei die enge Verflechtung mit den Institutionen.

Anders in den USA. Die zahlreichen Unternehmerverbände "werden als Verhandlungspartner ernst genommen oder auch nicht. Da geht’s nach dem Prinzip, jeder gegen jeden und wer lobbyiert am besten", meint Filzmaier, der persönlich das österreichische System dem Wettbewerbsmodell vorzieht.

Eine vorzeitige Personaldiskussion um Leitl, dessen (vierte) Funktionsperiode 2020 abläuft, gibt’s derzeit übrigens nicht. Er selbst kündigte an, Ende 2018/Anfang 2019 zu gehen. Noch steckt niemand den Kopf heraus. Die Schar der Nachfolge-Kandidaten ist ohnehin überschaubar. Ernsthafte Chancen werden ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer, dem steirischen WK-Präsidenten Josef Herk, seinem Wiener Kollegen Walter Ruck sowie dem Transport-Unternehmer Alexander Klacska attestiert. Außenseiter-Chancen haben Hauptverbands-Präsidentin Ulrike Rabmer-Koller und die oö. Wirtschaftsbund-Chefin Doris Hummer.

Kommentare