Wie China Teleshopping neu erfindet und was ein Österreicher damit zu tun hat
Xiaohongshu bedeutet aus dem Mandarin übersetzt "kleines rotes Buch" und ist in China das nächste große Ding unter den Social-Media-Apps. Mehr als 300 Millionen Menschen nutzen die 2013 gegründet Anwendung, die gerne mit Instagram verglichen wird.
Anders als ihr US-amerikanisches Pendant hat Red Note, wie die App außerhalb Chinas genannt wird, einen Marktplatz integriert. Influencer, die auf der Plattform Produkte in die Kamera halten, verkaufen sie dort auch gleich. Das Angebot reicht von Labubus über Handtaschen bis zu Winterjacken. Es ist eine Art modernes Teleshopping, das statt auf dem TV-Gerät am Handybildschirm läuft.
Werbung für die Social-Media-App Xiaohongshu (Red Note).
Mit Livestreams auf Kundenfang
Livestreaming ist in chinesischen Social-Media-Netzwerken, aber auch auf Online-Shopping-Plattformen wie Taobao oder Pinduoduo, der chinesischen Schwester der Billigplattform Temu, weit verbreitet. "Es gibt viele Leute, die jeden Tag ein paar Stunden livestreamen und Supergehälter verdienen. Es ist ein eigenes Geschäftsmodell geworden", erzählt Robert Strobl.
Der 37-jährige Oberösterreicher, der mit Unterbrechungen seit fast zehn Jahren zunächst in Peking und später in der 200 Kilometer entfernten Stadt Zhengzhou lebt, hat gemeinsam mit zwei chinesischen Freunden vor Kurzem das Start-up waylora gegründet. Mit dem Unternehmen will er im Online-Handel über die chinesischen Social Media-Plattformen mitmischen und auch internationale Firmen beim Verkauf ihrer Produkte in den sozialen Netzwerken zur Hand gehen.
Robert Strobl lebt seit mehreren Jahren in China.
"Schnelllebig"
"Die Plattformen sind sehr schnelllebig", sagt Strobl. Red Note sei gerade der Aufsteiger. Über die App und über Douyin, der chinesischen Version von Tiktok, könne man derzeit die meisten Leute erreichen.
Auf Douyin würden auch ihre Eltern einkaufen, erzählt Yidan Wang. Die Mittzwanzigerin arbeitet als Redakteurin und Übersetzerin bei einem großen chinesischen Medienunternehmen und zählt zur zentralen Zielgruppe der App. Die ist urban, zwischen 20 und 30 Jahre alt und hat auch Geld zum Ausgeben übrig.
Das Konsumverhalten habe sich gewandelt, erzählt Strobl. Die jüngeren Leute kaufen fast nur noch in sozialen Medien. In China müsse man mitschwimmen und flexibel bleiben. Auch der Konkurrenzdruck sei groß. Von einem Produkt gebe es sicher hundert Leute, die das gleiche verkaufen.
Von Temu und Shein haben die meisten Leute in China noch nie etwas gehört. Während Temu der Auslandsableger des chinesischen Online-Handelsgiganten Pinduoduo ist, ist Shein - von Logistikzentren in Guangzhou und Shenzhen abgesehen - in China gar nicht präsent. Die Fast-Fashion-Marke lebt ausschließlich vom Exportgeschäft. Das ist in den vergangenen Jahren auch in Österreich explosionsartig gewachsen.
Gemeinsam haben die beiden Plattformen hierzulande zuletzt mehr als 550 Mio. Euro pro Jahr erwirtschaftet. Das rasante Wachstum der Anbieter könnte bald einen Dämpfer erfahren. Die EU will die Zollfreigrenze von 150 Euro früher als ursprünglich geplant 2028 zu Fall bringen, auch eine Gebühr für aus Drittstaaten importierte Pakete soll verrechnet werden.
Ob die Rechnung aufgeht, ist fraglich. Denn in den USA konnten ähnliche Maßnahmen, wie Analysen von Zahlungsdaten des Handelsblatts zeigen, die chinesischen Billiganbieter nicht wirklich bremsen. Trotz des Fallens der US-Zollfreigrenzen und deftigen Zusatzzöllen legten Temu und Shein nach einem Umsatzrückgang im Frühjahr zuletzt wieder zu.
Dazu hat auch die Errichtung von Lagerkapazitäten vor Ort und das Abgehen vom Direktversand beigetragen. Daneben nutzen zunehmend US-Händler die Marktplätze aus Fernost. Technologisch dürften sie nach Experteneinschätzungen ihre US-Pendants voraus sein.
Auch international auf dem Vormarsch
Zuletzt konnte Red Note auch viel internationales Publikum anziehen. Als in den USA Anfang des Jahres eine Sperre der chinesischen Social-Media-App TikTok drohte, luden Hunderttausende Nutzerinnen und Nutzer in den USA die App herunter. Dazu trug auch der Hashtag "TikTok Refugees" ("TikTok Flüchtlinge") bei, der innerhalb weniger Tage Hunderte Millionen Mal aufgerufen wurde. Red Note reagierte schnell. Automatische Übersetzungen gehören mittlerweile zum Standard.
Online-Shopping ist in China weit verbreitet. Der Anteil am Gesamtumsatz im Handel beträgt zwischen 45 und 50 Prozent. In Österreich sind es im Vergleich dazu etwas mehr als 15 Prozent. Zuletzt wurden in China mehr zwei Billionen Dollar jährlich mit E-Commerce umgesetzt. In Großstädten sieht man allerorts die Boten auf Elektrorollern. Sie werden pro Lieferung bezahlt, mehr als 20 bis 30 Cent pro Fahrt bekommen sie nicht. Dennoch verdienen sie zwischen 8.000 und 12.000 Yuan (umgerechnet zwischen 1.000 und 1.500 Euro pro Monat, heißt es.
Schnelle Lieferung
Geliefert wird in der Regel innerhalb von ein bis zwei Tagen, es werde auch viel zurück geschickt, sagt Strobl. Dazu kommen Liefer-Apps wie Meituan, in denen auch in vielen Geschäften bestellt werden könne. "Dort bekommt man fast alles innerhalb von 24 Stunden."
Straßenszene in Peking: Pakete werden für die Zustellung sortiert.
Mit seinem Start-up will der Gründer, der auch lange im Außenwirtschaftscenter der Wirtschaftskammer Österreich als Projektmanager tätig war, auch heimische Firmen beim Verkauf in China unterstützen. Welche Chancen sieht er für österreichische Produkte?
Einige österreichische Konsumgüterhersteller haben sich nach Corona vom chinesischen Markt zurückgezogen. Preislich könnten europäische Produkte in China nur schwer mithalten, meint Strobl. Weine aus Chile oder Australien bekomme man um drei bis vier Euro, auch weil sie zollfrei eingeführt werden könnten. Österreichische Weine seien im Vergleich dazu ab 12 oder 13 Euro zu haben. Außerhalb der Metropolen sei auch der Markt für europäische Produkte kaum gegeben.
Langfristiges Potenzial
Derzeit ist die Situation allerdings schwierig. Weil die Löhne gesunken und die Unsicherheit groß ist, sparen viele Konsumentinnen und Konsumenten. Ein Drittel des Gehalts werde zurückgelegt. In den nächsten zehn Jahren werde aber die Mittelschicht in China von derzeit 400 Millionen auf 800 Millionen Leute anwachsen, sagt Strobl: "Langfristig ist durchaus Potenzial für europäische Konsumgüter gegeben, weil die Einkommen wieder steigen werden und dann auch das Interesse für Güter aus dem Ausland größer wird."
Europa habe in China trotz politischer Differenzen kulturell und qualitativ immer noch einen sehr hohen Stellenwert. Der Ruf sei immer noch hervorragend, meint Strobl. Das gelte auch für den Tourismus. "Wenn wieder mehr Geld im Umlauf ist, werden auch wieder mehr Leute höherpreisige qualitativ hochwertige Produkte kaufen und auch gerne nach Europa reisen."
Hinweis: Die Reisekosten nach China wurden von der China Media Group (CMG) und Huawei übernommen.
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