Experte über China: "Die Stimmung kippt schon im Land"

Auslage eines Luxusgeschäftes in Peking: Die Wirtschaft verliert an Fahrt
Noch sei alles im grünen Bereich. Sinke das Wachstum in Richtung sechs Prozent, werde Peking aber nervös, sagt Max Zenglein.

Wie dramatisch ist Chinas wirtschaftliche Situation einzuordnen? Darüber sprach der KURIER mit Max Zenglein, Programmleiter für Wirtschaft von MERICS (Mercator Institute for China Studies) in Berlin.

KURIER: Chinas Wirtschaft ist im Vorjahr um 6,6 Prozent gewachsen. Wie würden Sie dieses Plus einordnen?

Max Zenglein: Aufs gesamte Jahr betrachtet ist noch alles in Ordnung. Das liegt durchaus im Rahmen des Wachstumsziels, das sich die chinesische Regierung gesetzt hatte. Allerdings haben wir im dritten und vierten Quartal eine deutliche Verlangsamung gesehen - und um die geht es im Kern.

Einerseits wäre  ein etwas langsameres Wachstum Chinas durchaus gewollt: Man will weniger von Krediten und Investitionen abhängig sein, setzt mehr auf Inlandskonsum und Dienstleistungen. Andererseits gibt es die Angst vor einer „harten Landung“. Wo stehen wir da aktuell?

Noch ist alles im grünen Bereich, aber die Unsicherheit hat zugenommen. Es hat sich das externe Umfeld verändert, während die Umbaumaßnahmen beginnen, sich auf das Wachstum auszuwirken. Allzu sehr darf das Wachstum nicht absinken. Auch wenn sich diese Zahl hoch anhört: Die Regierung wird sehr nervös, wenn es auf die sechs Prozent zugeht. Die Stimmung kippt schon im Land. An den Aussagen der Regierung erkennt man die Sorge, dass sich das Wachstum zu schnell verlangsamen könnte.

Woran machen Sie die kippende Stimmung fest?

Die Auftragslage für Exporte im produzierenden Gewerbe sieht im Moment schlecht aus. Wir sehen eine Verlangsamung im Einzelhandel, der bisher ein Garant für Stabilität war. Er wächst noch, aber es gibt im Konsumverhalten eine zunehmende Zurückhaltung. Man sieht es bei den Investitionstätigkeiten; private Unternehmen fragen auch weniger Kredite nach. Das hat vordergründig noch gar nichts mit dem Handelsstreit zu tun.

Experte über China: "Die Stimmung kippt schon im Land"

Max Zenglein ist Programmleiter Wirtschaft am MERICS (Mercator Institute for China Studies), Berlin

Apropos, welche Rolle spielt dieser Zollkonflikt mit den USA? Bildet sich dieser in den Wirtschaftsdaten bereits ab?

Wir sehen im vierten Quartal erste Anzeichen dafür. Aufgrund der Verunsicherung halten sich die Unternehmen zurück oder bewegen sich aus der Schusslinie. Sie investieren eher in Ländern wie Vietnam, um ihre Lieferketten weniger dem politischen Risiko auszusetzen. Wie erwähnt gehen weniger Auslandsaufträge ein. Man sieht die Anzeichen, aber es ist noch relativ minimal. Das ist noch nicht der treibende Faktor der Verlangsamung. Sollte der Handelskrieg eskalieren, sähe das natürlich ganz anders aus.

Für wie realistisch halten Sie eine Lösung in dem Konflikt vor Ablaufen der Frist am 1. März?

Für China steht viel auf dem Spiel, aber es ist ein sehr undurchsichtiges Szenario. Die Trump-Administration ist sehr schwierig zu lesen. Es ist alles möglich - und nichts. Es zeichnet sich aber durchaus ab, dass sich die Art und Weise, wie man mit China umgeht, generell verändert hat. Und zwar weit über diesen reinen Handelskrieg hinaus. Man wird zu strategischen Rivalen. Selbst wenn man jetzt eine Lösung findet – die Möglichkeit, dass einige Streitigkeiten wieder hochkommen, ist sehr stark gegeben. Auch unabhängig von Trump.

Die Streitpunkte im Handelskonflikt sind sehr komplex. Wie könnte da ein Kompromiss überhaupt aussehen?

Dass es in kurzer Zeit zu einem so komplexen Abkommen kommt, ist extrem unwahrscheinlich. Aber China könnte durchaus Zugeständnisse machen: das Handelsdefizit verringern, indem mehr aus den USA geordert wird. Anzeichen für eine Marktöffnung geben, Fortschritte in Hinblick auf erzwungene Technologietransfers und den Schutz des geistigen Eigentum signalisieren. So könnte man die Zollanhebung ab 1. März womöglich vermeiden – mit der Gefahr, dass es irgendwann später wieder aufkocht. Selbst wenn es jetzt zu einer Lösung kommt, wird es Folgen für die chinesische Wirtschaft haben. Die Unternehmen werden sich anders positionieren, um sich diesen Risiken nicht auszusetzen.

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Jubiläum 40 Jahre Wirtschaftsreformen: Studenten verfolgen im Dezember 2018 die Ansprache von Präsident Xi Jinping

 

Die chinesische Regierung steuert gegen die Abschwächung an, hat Steuersenkungen angekündigt; die Zentralbank hat die Reserveanforderungen für die Banken verringert. Wie umfassend sind diese Maßnahmen? Erreicht das schon ähnliche Dimensionen wie 2009 nach der Finanzkrise?

Es ist in einem wesentlich kleineren Maßstab. Und man versucht, das sehr gezielt zu machen. Die Geldpolitik will erreichen, dass vor allem private mittelständische Unternehmen mehr investieren. Die Steuererleichterung will den Konsum anheizen. Die Infrastrukturaktivitäten hingegen sind eher dem alten Wirtschaftsmodell zuzuordnen.

Ist der geplante langfristige Umbau der Wirtschaft und Abbau der Verschuldung damit obsolet? Das wirkt ein wenig wie ein anlassbezogenes Hin- und Her-Hüpfen.

Das ist eine Gratwanderung. Es zeigt, wie nervös die chinesische Regierung ist, wenn das Wirtschaftswachstum allzu sehr abfällt. Wenn Sie sich in die Lage einer Lokalregierung hineinversetzen: In einem Moment kommt die Ansage aus Peking: ‚Ihr müsst weniger ausgeben und sparen.‘ Und dann kommt die Ansage: ‚Jetzt bitte wieder investieren, baut eine U-Bahn.‘

 

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Die Ein-Kind-Politik wurde 2016 beendet

Detail am Rande: Heute gab es Meldungen, dass die Geburtenrate in China auf dem tiefsten Stand seit 1949 gefallen ist. Worauf ist das zurückzuführen? Die Ein-Kind-Politik wurde doch vor zwei Jahren abgeschafft?

Ja, das ist richtig. Aber ein Kind zu haben ist sehr teuer. Ein soziales Netz ist in China nur sehr bedingt vorhanden, und gerade im städtischen Bereich könnten sich viele Familien wohl gar kein zweites Kind leisten. Deshalb werden sich viele dagegen entscheiden. Da ist es für die Regierung nicht so ganz einfach, den Hebel umzulegen.

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