Chaos im Flugverkehr zum Urlaubsbeginn

Passagiere werden heuer gute Nerven brauchen
Zu wenig Piloten, zu wenig Flugzeuge, zu dichte Flugpläne – Verspätungen und Flugausfälle

Wer demnächst in die Ferien fliegt, braucht gute Nerven. Vor allem wenn die Tickets bei Billig-Airlines gebucht wurden. Im Sommer haben die Fluglinien Hochsaison und die Kapazitäten können schon mal knapp werden. Doch was sich seit Anfang Juni abspielt, gab’s in dieser Heftigkeit noch nie.

Die Airlines reden sich auf die häufigen Unwetter, den fragmentierten Flughimmel in Europa und die Streiks der französischen Fluglotsen aus, die jedes Wochenende den Luftraum über Frankreich blockieren. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die anderen Gründe für die zahllosen Verspätungen und Flugstreichungen sind hausgemacht: Zu wenig Crews, zu wenig Flugzeuge, zu knapp getaktete Flugpläne und zu kurze Zeiten auf dem Boden, die selbst im Normalbetrieb nicht eingehalten werden könnten. Und die Nachfrage boomt. „Alles, was fliegen kann und darf, fliegt derzeit auch. Es zeichnet sich ab, dass dieser Sommer auf jeden Fall bei Verspätungen und Flugausfällen kritisch wird“, sagt Gerald Wissel, Airline-Experte von Airborne Consulting.

Laudamotion

Die größten Probleme hat Laudamotion. Die Billig-Fluglinie von Niki Lauda und Ryanair kämpft mit heftigen Startschwierigkeiten.

In den ersten beiden Juniwochen waren 40 Prozent aller Flüge ab Wien entschädigungspflichtig. Die Quote ist derzeit bei 28 Prozent, errechnete das Passagierrechte-Portal Fairplane. In der ersten Junihälfte wurden ab Wien von 145 Abflügen laut Flugplan nur 100 durchgeführt. Sechs Flüge wurden kurzfristig gecancelt, der Rest einige Tage vorher. 12 Prozent aller Flüge landeten mit mehr als drei Stunden Verspätung in Wien. Was KURIER–Redakteurin Yvonne Widler erlebte (siehe eigener Bericht), ist kein Einzelfall.

Er sei todunglücklich und könne sich nur bei jedem Passagier entschuldigen, reagiert Lauda gegenüber dem KURIER. Anfangs habe es Systemprobleme durch die Umstellung von Condor auf Ryanair gegeben, jetzt aber seien die Unwetter und vor allem die Lotsenstreiks schuld. „Immer am Wochenende wird gestreikt, unsere Flugpläne nach Spanien werden ununterbrochen gestört.“

Gerüchte, er habe zu wenig Piloten, dementiert Lauda. Der ehemalige NIKI-Chefpilot Frank Glander wechselte als General Manager Operations in Wien zur spanische Billig-Airline Vueling und warb Lauda 40 Piloten ab. „Wir haben die Pilotengehälter erhöht und konnten die Abwanderung stoppen“, so Lauda. Er bestätigt den eklatanten Pilotenmangel in der Branche, Laudamotion allerdings sei die einzige Billig-Airline, die „mehr als genügend Piloten hat“.

Chaos absehbar

„Dieser Sommer wird ein Sommer der Verspätungen und Annullierungen. Das reine Chaos, das ist jetzt schon absehbar. Aber nicht nur für Laudamotion, für alle Billig-Airlines“, sagt Fairplane-Chef Andreas Sernetz. Piloten und Flugzeuge würden fehlen, im Markt seien zu viele Flüge. Gut fürs Geschäft der Passagier-Portale, Sernetz zählt doppelt so viele Reklamationen wie im Vorjahr.

Die Verspätung eines Fluges zieht einen Rattenschwanz an Problemen nach sich. Die Maschine schafft die folgenden Flüge nicht mehr pünktlich. Besonders unangenehm wird’s, wenn das Flugzeug den abendlichen Zielflughafen wegen der Nachtflugverbote nicht mehr erreicht. Dann beginnt der nächste Tag bereits mit Verspätungen. Irgendwann sind die Arbeitszeiten der Crews an ihrer Grenze, neue Teams müssen eingeflogen werden. Bei kleinen Airlines kann das System rasch kollabieren und der Flugplan gerät heillos durcheinander.

Im touristischen Geschäft seien Flugausfälle problematischer, erklärt AUA-Sprecher Peter Thier. Von einer griechischen Insel „gibt es nun mal nicht so viele Alternativ-Flüge wie von einer Business-Destination“. Seit Mai verschlechterte sich auch die Pünktlichkeits-Quote der AUA. Von 90 auf 80 Prozent aller Flüge. „Die Qualität einer Airline zeigt sich nicht beim Gratisessen, sondern an ihrer Zuverlässigkeit und wie man mit den Kunden bei Verspätungen und Flugausfällen umgeht“, betont Thier.

Reisebüros protestieren

In Deutschland revoltieren die Reisebüros gegen die Lufthansa-Tochter Eurowings. Mehr als 100 Reisebüros äußern ihren Unmut in einem Brief an den Vorstand und drohen mit Konsequenzen. Auch der Österreichische Reiseverband (ÖRV) schließt sich den Protesten an. Die täglichen Flugzeitenänderungen und -streichungen hätten ein Ausmaß erreicht, das weder für die Kunden noch für die Reisebüros tragbar sei, heißt es. Eurowings-Chef Thorsten Dirks gab zu, dass das rasche Wachstum die Airline vor Probleme stelle. Bei Eurowings fallen derzeit täglich rund 25 Flüge aus.

Ryanair streiche Flüge überhaupt sofort, um ja keine Verspätungen ins System zu bekommen, beobachtet Sernetz. Eurowings, easyJet und Co. hätten sich bei der Pleite von Air Berlin und NIKI übernommen und ihre Sommer-Flugpläne zu dicht geplant: „Jeder wollte das größte Stück vom Air-Berlin-Kuchen, aber keiner hat einen Teller dafür, der groß genug ist.“

„Die Taktung der Flugpläne wird enger und die Auslastung der Crews geht bis an die rechtlichen Rahmenbedingungen“, analysiert Experte Wissel. Anders als im Winter könnten die Airlines im Sommer keine Kapazitäten von anderen Anbietern anmieten. Daher ist sogar um die mehr als 30 Jahre alten Flugzeuge der Bulgarian Air Charter noch ein G’riss, die von Condor angemietet wurden. easyJet least die ähnlich alten „Jumbolinos “ der deutschen WDL Aviation.

Vueling

Vueling, Tochter des IAG-Konzerns (Iberia, British Airways) kündigte eine Basis in Wien und den Start des Flugbetriebs im Frühjahr an. Die Spanier verloren das Rennen um NIKI auf den letzten Metern gegen Lauda. Vueling gründete in Wien den Ableger Anisec Luftfahrt GmbH. Um den spanischen Kollektivvertrag zu umgehen, kritisiert die Pilotengewerkschaft laut austrianaviation.net. Doch noch sitzen die zahlreichen Piloten am Boden. Der Start des Flugbetriebs ist erst für Mitte Juli angesagt, Konzernchef Willie Walsh will persönlich nach Wien kommen. andrea.hodoschek

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