Caritas: „Strom und Gas nicht abdrehen“

Ob er als Geheimwaffe des Katholizimus gehandelt wird? Der steirische Caritas-Direktor Franz Küberl sagt dazu nichts, aber einer Sache ist er sich jedenfalls sicher: „Der Papst ist ein Provokateur.“
Franz Küberl über zu hohe Mieten und Energiepreise und warum Österreich die Reichen braucht.

Der KURIER sprach mit dem langjährigen Caritas-Präsidenten Franz Küberl abseits der Asyl-Debatte über seine Forderungen an die Wirtschaftspolitik.

KURIER: Die Mieten steigen wesentlich stärker als die Reallöhne. Was muss die Politik tun, damit sich die Bezieher kleiner Einkommen Wohnen leisten können, ohne in die Armutsfalle zu geraten?
Küberl:
Die Wohnbauförderung muss ein fixer Posten zwischen Bund und Ländern werden. Alle Bundesländer müssen die Rückzahlungen wieder für den Wohnbau verwenden. Und Teile der Wohnbauförderung müssen für den sozialen Wohnbau zweckgewidmet werden. Die Zahl der leistbaren Gemeindewohnungen ist in den letzten Jahren gesunken, gleichzeitig können sich immer mehr Menschen die Mieten am freien Markt nicht leisten. Wohnen ist die zweite Haut des Menschen.

Caritas: „Strom und Gas nicht abdrehen“

Aber von der Wohnbauförderung profitiert der Mittelstand.
Sie dürfen nicht den geförderten mit dem sozialen Wohnbau verwechseln. Der soziale Wohnbau ist für Menschen, die sich Wohnen nicht leisten können. Selbst Gemeindewohnungen sind oft nicht billig. Entscheidend ist, dass es genug leistbaren Wohnraum gibt.

Zu den teuren Mieten kommen noch die hohen Energiepreise.
Energie ist ein ganz starker Kostenfaktor. Da braucht es für die ärmsten Einkommensgruppen mehrere Maßnahmen. Diese Menschen haben meist jene Wohnungen, die am schleißigsten isoliert sind. Hier müssten die Länder mit ihren Förderungen ansetzen. Wir haben mit Unterstützung des Verbunds inzwischen 1500 Leute beraten. Erstaunlich, wie viel Energieberatung bringt – durchschnittlich 300 Euro im Jahr Ersparnis. Das könnte man gesetzlich regeln.

Also ein Gesetz: „Billiger Strom für Arme“?
Das Energieeffizienzgesetz liegt schon im Parlament und wird hoffentlich bald beschlossen. Darin werden die Energielieferanten zu Effizienzmaßnahmen verpflichtet. In der Kundenbetreuung halte ich eine sozialarbeiterische und energieberatende Kompetenz für sehr wichtig. Unser Projekt mit dem Verbund ist nur ein Beispiel, das aber zeigt, was möglich ist. Außerdem müssten die unterschiedlichen Heizkostenzuschüsse vereinheitlicht werden. Und wir brauchen ein Abschaltverbot im Winter.

Wer seine Strom- oder Gasrechnung nicht zahlt, dem darf die Energie nicht abgedreht werden?
Genau. Viele Menschen überlegen, ob sie heizen oder kochen sollen. 219.000 Menschen in Österreich können ihre Wohnungen nicht angemessen heizen. Das ist schon ein großes Drama. Ganz wichtig: Das eine sind gesetzliche Voraussetzungen, wobei das Energieeffizienzgesetz ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist. Zudem brauchen wir die soziale Kompetenz der Verantwortlichen in den großen Energieunternehmen. Wenn niemand mehr Kälte leiden muss, ist das zwar noch nicht der Himmel. Aber auch die Hölle kann ganz schön kalt sein.

Was sind die größten Probleme der Leute, die sich an die Caritas um Hilfe wenden?
Jährlich kommen rund rund 60.000 bis 70.000 Menschen zu unserer Sozialberatung. Die häufigsten Probleme sind Arbeitslosigkeit, Wohnraum, Energiekosten und die Lebensmittelpreise. Die Menschen brauchen eine Arbeit, von der sie leben können. Die Frage nach dem gerechten Lohn wird leider nicht mehr diskutiert.

Wie definieren Sie den gerechten Lohn?
Ich halte mich an die Formel, die Papst Leo XIII. vor 130 Jahren aufgestellt hat. Von einem gerechten Lohn muss man sich und die Seinen erhalten können, vernünftig wohnen, für die Kinder und deren Ausbildung sorgen und fürs Alter vorsorgen können.

Entsprechen die Mindestlöhne diesem gerechten Lohn?
Diese werden von den Sozialpartnern ausgehandelt. Eine vernünftige Erhöhung wäre notwendig.

Will sich die Caritas jetzt in die Lohnpolitik einmischen?
Nein. Aber die Caritas will, dass weniger Menschen arm sind. Die Mindestlohnvereinbarungen liegen jetzt bei etwas über 1000 Euro. Damit jemand davon leben kann, müsste der Mindestlohn auf 1400 Euro angehoben werden. Das ist aber noch nicht der gerechte Lohn, der wird wohl noch eine Kategorie darüber sein.

Aber Österreich ist doch ohnehin ein hervorragend ausgebauter Sozialstaat.
Das ist auch richtig so. Ohne Transferleistungen wären bis zu 42 Prozent der Leute armutsgefährdet. Wir können nur empfehlen, handeln müssen die Verantwortlichen.

Welche Steuerwünsche haben Sie an die nächste Regierung?
Die Caritas wird in Vorwahlzeiten keine Steuervorschläge abgeben. Ich möchte aber eines sagen: Das Solidaritätsgefüge in dieser Republik ist etwas sehr Wichtiges. Wir brauchen auch die Reichen. Wenn etwas redlich verdient ist, muss man das auch als Wert sehen. Denn natürlich wissen wir, dass diejenigen, denen es besser geht, mehr zum Gemeinwohl beitragen. Wir sollten froh darüber sein, dass es Leute gibt, denen es gut geht.

Wie ist das in Zusammenhang mit der Diskussion über Vermögenssteuern zu interpretieren?
Nochmals: Ich habe mir vorgenommen, im Wahljahr keine Steuerbeispiele zu nennen. Ich bin überzeugt davon, dass die Finanzministerin in ihrer Schublade ohnehin ein Konzept liegen hat, wie sie das Gesamtwohl des Staates finanzieren kann.

Sehr diplomatisch formuliert.
Naja, etwas beschäftigt mich schon. Ein Teil der Steuergerechtigkeit müsste darin liegen, dass die Besteuerung von Vermögenserträgen und von Erwerbsarbeit gleichwertig ist.

Wie zufrieden sind Sie mit der Mindestsicherung?
Ein großer Fortschritt, aber es gibt noch Korrekturbedarf. Die Harmonisierung der Wohnbeihilfen und -zuschüsse ist noch offen. Die Wartezeiten sind oft noch verdammt lange, drei Monate sind keine Seltenheit. Weit über 80 Prozent der Bezieher brauchen die Mindestsicherung als Ergänzungshilfe, beispielsweise zusätzlich zu einer geringfügigen Beschäftigung. Ich hoffe, die Mindestsicherung wird weiter ausgebaut und nicht nur zwölf Mal im Jahr, sondern als Zwischenschritt 13 und letztendlich 14-mal im Jahr ausbezahlt.

Vergessen Sie, dass Österreich ein Budgetproblem hat?
Diese Summen sind ein Klacks verglichen mit dem, was für die Bankenrettung ausgeben wurde.

Gehen auch Sie jetzt auf die Banken los?
Nein, aber man muss schon wissen, wie billig die Mindestsicherung ist. Sie kostet gleich viel wie vorher die Sozialhilfe – 2011 waren es 438 Millionen – aber die Länder ersparen sich durch die günstigere Krankenversicherung 116 Millionen Euro.

Welcher Punkt muss noch auf den Wunschzettel?
Die Pflege. Die Mittel reichen bei Weitem nicht aus. Vor allem kleine Gemeinden schnaufen ganz ordentlich und der Druck wird immer größer. Da wird man sich eine andere Finanzierungsform durch die Gebietskörperschaften überlegen müssen. Pflege ist ein Risiko wie Arbeitslosigkeit und Krankheit, das nicht ein Einzelner tragen kann, sondern nur die Gesellschaft. Kaufkraftbereinigt ist das Pflegegeld heute um 29 Prozent niedriger als 1993.

Aber warum soll die Gesellschaft zahlen, wenn oft Vermögen vorhanden ist?
Sie müssen auch nicht Ihr Haus verkaufen, um sich operieren zu lassen. Die eine Familie hat die Last der Pflege, die andere hat Glück und keinen Pflegefall. Das ist eine Gerechtigkeits- und Fairnessfrage. Im Generationenvertrag zahlen die mittleren Generationen für die Jungen und die Alten. Aber es gibt auch eine vertikale Funktion: Die, denen es besser geht, tragen jene ein Stück mit, denen es schlechter geht.

Alle Interviews zur Serie "Was braucht Österreich? Aufträge an die Politik" finden Sie HIER.

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