Butter kaufen in Helsinki: Russen decken sich im Ausland ein

Russisches Embargo, so die Heim-Propaganda, soll die Agrarindustrie stärken – ein Wunschdenken.
Klein- und Mittelbauern produzieren zu wenig. Manche Lebensmittel werden knapp, die Preise steigen.

Der Termin für die Eröffnung des Heeres-Gefechtsausbildungszentrums in Mulino an der Wolga ist nicht gefährdet – trotz der EU-Sanktionen wegen Russlands Haltung in der Ukraine-Krise, so sieht das zumindest der für Rüstung zuständige russische Vizepremier Dmitri Rogosin.

Zu Jahresende will man wie geplant starten. Und das, obwohl dort Laser-Simulatoren eingesetzt werden sollen, die die deutsche Rheinmetall AG liefern sollte. Aber notfalls, so versprach Rogosin, könnte auch die Staatsholding Rostech die Produktion übernehmen. Die Deutschen werde man allerdings wegen Vertragsbruchs vor den Kadi zerren. Auch bei der Öl- und Gasförderung in der Arktis knirscht bisher kein Eis im Getriebe: Branchenführer wie Exxon Mobile oder Shell lassen sich das Geschäft nicht kaputtmachen. Einerseits.

Andererseits ging Russlands staatlicher Ölförderer Rosneft die russische Regierung bereits um ein Darlehen an. Der Westen hat den russischen Staatskonzernen den Kredithahn weitgehend zugedreht. Sollte Europa sein Embargo weiter verschärfen, werden dessen Finanzmärkte für russische Konzerne und Geldhäuser definitiv zur No-go-Area.

Zweckoptimismus

Doch das europäische Drehen an der Sanktionsspirale könnte für die EU zum Eigentor werden. Kreml und russische Regierung haben für diesen Fall bereits mit weiteren Einfuhrverboten gedroht. Auf der Negativliste sollen, wie russische Medien berichten, auch Maschinen, Anlagen und Autos stehen. Und das soll vor allem Europas Führungsmächte treffen: Deutschland und Frankreich.

Denn mit dem Einfuhrstopp für europäische Lebensmittel strafte Moskau vor allem jene, die am lautesten Sanktionen gegen Russland gefordert hatten: Polen und die baltischen Ex-Sowjetrepubliken. Deren Russland-Geschäft macht bis fast knapp zehn Prozent der gesamten Außenhandelsbilanz aus. Der mit Abstand größte Posten: Agrarerzeugnisse.

Das russische Lebensmittelembargo, so versicherte KremlchefWladimir Putin, sei keine Retourkutsche für westliche Sanktionen, sondern solle die einheimische Landwirtschaft und Agrarindustrie stärken und Schwellenländern den Zugang zum russischen Markt erleichtern. Wenn die zunächst auf ein Jahr befristeten Sanktionen fallen, tönte das Staatsfernsehen, müsste Europa hart kämpfen, um wieder den Fuß in die russische Tür zu bekommen. Kritische Experten sprachen von Zweckoptimismus. Und die Entwicklungen geben ihnen Recht. Die Importe aus Lateinamerika sollen zwar schon diesen Monat anlaufen. Der weite Weg dürfte aber für einen drastischen Preisauftrieb sorgen. Händler probieren in mehreren Regionen schon jetzt, was sie dem Geldbeutel von Iwan Normalverbraucher zumuten können. Bewohner grenznaher Regionen versuchen, sich auf eigene Faust zu versorgen. Notfalls sogar in Finnland, nicht gerade ein Tiefstpreis-Paradies. Doch Supermärkte in Helsinki bieten den Petersburgern Butterfahrten in bequemen Reisebussen. Gratis hin und zurück. Die Busse, so ein Teilnehmer, seien bis zum letzten Platz voll.

Erdäpfel aus Weißrussland

Butter kaufen in Helsinki: Russen decken sich im Ausland ein

Symbolbild.

Andere decken sich in Weißrussland mit lieb gewordenen Leckerlis wie Früchtejoghurt und Grundnahrungsmitteln wie Erdäpfeln ein. Dass die russische Landwirtschaft nach einer maximal einjährigen Anpassungsphase den Bedarf deckt, würde nur mit rentabel wirtschaftenden Großbetrieben klappen. Klein- und Mittelbauern produzieren zu wenig, zu ineffizient und daher zu teuer. Doch die meisten Kollektivwirtschaften und Staatsgüter aus der Sowjetära waren bereits bankrott, als Putin großzügige Agrar-Förderprogramme auf den Weg brachte, und viele Dörfer sind schon längst entvölkert. Auch gedeihen in der Arktis und weiten Teilen Sibiriens nicht mal Kartoffeln und Kohl.

Angesichts dieser Zwänge lockerte die Regierung ihr eigenes Einfuhrverbot bereits in aller Stille. Ausnahmen, so der für Wirtschaft zuständige Vizepremier Arkadi Dworkowitsch, soll es für "sensible Güter" wie Diabetiker-Nahrung, laktosefreie Lebensmittel und Saatgut geben.

Thailand

Auch Thailand hofft, vom Ukraine-Konflikt profitieren und mehr Lebensmittel nach Russland liefern zu können. "Russland hat großes Interesse am Import von Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Produkten aus Thailand gezeigt, nachdem es Importe aus der EU sowie den USA verboten hat", sagte die Staatssekretärin im Handelsministerium, Chutima Bunyapraphasara, am Dienstag der Zeitung "The Nation". Thailand ist Russlands größter Handelspartner unter den südostasiatischen Staaten.

Informationen über die aktuelle Situation in der Ukraine gibt es hier.

War der Apfel nur der Anfang? In Schladming wurden kürzlich Wanderer mit Gratis-Äpfeln versorgt, die wegen der Sanktionen an der Grenze liegen geblieben waren und wieder zurückgeschickt wurden.

Butter kaufen in Helsinki: Russen decken sich im Ausland ein
Employees sort and pack apples at RAJPOL company, near Grojec August 4, 2014. Russia officially closed its borders to Polish fruit and vegetables on August 1, depriving farmers and exporters of a market worth more than 300 million euros ($400 million) last year. Moscow blamed repeated sanitary infringements by Polish farmers, but the move was widely seen at the time as retaliation for Poland's staunch support of Ukraine in its fight with pro-Russian separatists and Warsaw's push within the European Union for tougher sanctions on Russia. Picture taken on August 4, 2014. To match story UKRAINE-CRISIS/POLAND-SANCTIONS REUTERS/Filip Klimaszewski (POLAND - Tags: POLITICS AGRICULTURE BUSINESS)
Eine Ausweitung der Sanktionen zwischen der EU undRussland hätte für Österreich jedenfalls weitreichendere Folgen als Überangebot und Preisverfall bei Obst und Gemüse. Laut Wirtschaftskammer (WKÖ) hängen rund 55.000 Jobs direkt oder indirekt am Handel mit Russland. Der bisherige Importstopp für Lebensmittel führte zwar vereinzelt zu Einbußen, blieb aber überschaubar. Viele Betriebe leiden aber unter indirekten Folgen wie Wirtschaftsflaute oder dem schwachen Rubel. Firmenpleiten blieben bisher aus.

Um für eine Verschärfung der Sanktionen gewappnet zu sein, fordert die WKÖ ein Krisenpaket für Österreichs Wirtschaft. Dieses soll etwa Garantien und Haftungen sowie Arbeitsstiftungen für gekündigte Mitarbeiter betroffener Betriebe beinhalten. "Wer andere sanktioniert, der sanktioniert sich selbst", so WKÖ-Chef Christoph Leitl, der einen Handelskrieg mit Russland strikt ablehnt.

Ein Grund - Österreich ist wirtschaftlich enger mit Russland verflochten als viele andere EU-Länder:

Exporte

Russland ist das zehntwichtigste Exportland, etwa 1200 heimische Betriebe liefern Waren nach Russland, zuletzt im Wert von knapp 3,5 Mrd. Euro. Neun Prozent davon waren übrigens Lebensmittel.

Tourismus

Nach den ersten Einbußen im Städtetourismus bangen nun die Skigebiete in Tirol und Salzburg um die russischen Wintergäste. Immerhin 70 Prozent der Nächtigungen finden von November bis April statt. Die Buchungen dafür beginnen im Oktober, weshalb eine Eskalation fatal wäre, heißt es beim Salzburger Land Tourismus: "Die Flug-Kontingente sind bereits gebucht, wir hoffen, dass die Flieger auch voll werden." Bei der Tirol Werbung, die bei den Olympischen Spielen in Sotschi um russische Gäste warb, betrachtet man weniger die Sanktionen als den schwachen Rubel mit Sorge. Dieser würde den Tirol-Urlaub deutlich verteuern.

Banken

Raiffeisen Bank International (RBI) und Bank Austria zählen zu den zehn größten Banken in Russland. 40 Prozent des Ertrags der RBI kommen von ihrer russischen Tochter. Noch spürt die RBI kaum Auswirkungen der Krise. Je weiter der Sanktionswettlauf fortschreite, desto schwerer werde es, wieder aufeinander zuzugehen, sagte RBI-Chef Karl Sevelda kürzlich. "Wir halten Russland nach wie vor mittel- und langfristig für einen attraktiven Bankenmarkt und werden in diesem Markt bleiben." Und die Angst-Szenarien? Darüber spricht niemand offen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Putin im Falle eines Wirtschaftskrieges darum kümmern könnte, ausländische Banken aus seinem Land hinauszudrängen. Niemand weiß, ob die österreichischen Institute dann nicht plötzlich ihre Banklizenz verlieren könnten.

Energie

Als Gegenreaktion auf Sanktionen könnte Russland aufs Gas steigen und damit Versorgungsängste auslösen. Österreich ist zu knapp 56 Prozent von Russen-Gas abhängig. Ein Lieferstopp durch die Ukraine könnte mit anderen Pipelines umgangen werden, bei einem völligen Ausfall würden die Vorräte zumindest ein paar weitere Monate reichen. Die Gasspeicher sind fast voll.

Bei der geplanten Verschärfung der Sanktionen gegen Russland sind nach Ansicht von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) auch die Gaslieferungen "ein Thema". Vorrangig seien aber politische Gespräche, eine Erhöhung des Drucks auf Putin "und etwa, keine Waffen mehr zu liefern", sagte Faymann am Dienstag im Ö1-Morgenjournal.

Gaslieferungen "sind ein Thema, aber man muss wissen, dass man bei Gaslieferungen die europäische Wirtschaft ebenfalls massiv trifft", sagte der Kanzler auf eine entsprechende Frage. Die Sanktionen gegen Russland "soll man verschärfen", unterstrich Faymann.

Die EU werde den Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin erhöhen und "klar machen, dass wir seine Salamitaktik durchschaut haben". Zu den Beteuerungen Moskaus, es sei militärisch nicht im Nachbarland Ukraine aktiv, sagte Faymann: "Das kann niemand glauben." Als militärische Intervention Russlands wollte der Kanzler die Vorgänge jedoch nicht bezeichnen. "Wir reden von Aktionen, die Präsident Putin bestreitet, nämlich von russischen Soldaten und von russischen Panzern, die in einem russlandfremden Land, nämlich im eigenständigen, vom Völkerrecht zu schützenden, Land Ukraine aufgetaucht sind."

Zugleich betonte Faymann, dass er nichts tun wolle, um die "militärische Logik" in dem Ukraine-Konflikt zu beschleunigen. "Ich halte viel von Worten und nichts von der Sprache der Waffen", sagte er. "Mich würde beunruhigen, wenn die NATO einen Beschluss fasst, dass sie ebenfalls militärisch interveniert."

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