Kaindorf: Klimaneutral mit Humus
Von Hartberg gelangt man über die Bundesstraße nach Kaindorf. Vor der Ortstafel erstrecken sich grüne Felder, nach der Ortstafel kommt der erste Kreisverkehr, zwei Wirtshäuser später der zweite. Ein klassischer Durchfahrtsort in Richtung Graz. Einen echten Hauptplatz sucht man hier vergebens. Das macht nichts, denn das geheime Zentrum von Kaindorf bei Hartberg ist der Boden.
In die Schlagzeilen geriet der Ort zuletzt durch die Insolvenz des Wurstfabrikanten Schirnhofer Anfang 2016. 70 der rund 270 Mitarbeiter wurden beim AMS angemeldet, derzeit läuft ein Sanierungsverfahren. Eigentümer Karl Schirnhofer hat turbulente Zeiten hinter sich: Kooperationspartner Zielpunkt wurde von Pfeiffer übernommen, das Russland-Embargo bremste den Export, der Aufbau einer LED-Dienstleistungsfirma blieb hinter den Erwartungen zurück. Jeder hier in der Region kennt jemanden, der "beim Schirnhofer" gearbeitet hat. Viel habe er für die Belegschaft getan, hört man. Die Mitarbeiter sagten stets stolz: "Ich bin ein Schirni."
Grosse Hoffnung
Es tut schon sehr weh. Für die Region ist es ein Wahnsinn", sagt Bürgermeister Thomas Teubl, während er nachdenklich an seinem Kaffeebecher nippt. Und meint damit auch die finanziellen Einbußen für die Gemeinde. In etwa 1000 Euro pro Vollzeit-Mitarbeiter fließen über die Kommunalsteuer jährlich in die Gemeindekasse – oder eben nicht. "Die Hoffnung ist groß, dass es mit Schirnhofer wieder bergauf geht", so Teubl. Auch die Gemeindezusammenlegung im Jahr 2015 bedeutete weniger Geld für Kaindorf: der Nachbarort Hartl wurde selbst zur Großgemeinde, die Abgaben des dort ansässigen Obst- und Gemüseproduzenten Frutura mit rund 300 Mitarbeitern fließen nun dorthin. Hinzu kommen für Kaindorf die um 120.000 Euro höheren Sozialausgaben pro Jahr wegen der Abschaffung des Pflegeregresses in der Steiermark.
Ökoregion
Schirnhofer ist auch ein wichtiger Partnerbetrieb der Ökoregion Kaindorf, derzeit fällt er als Sponsor aus. Die Ökoregion hat sich als gemeinnütziger Verband der Gemeinden Kaindorf, Ebersdorf und Hartl ein Ziel gesetzt: nämlich bis 2020 klimaneutral zu werden und sich mit erneuerbarer Energie selbst zu versorgen. "Der Initiator Rainer Dunst wollte zeigen, dass man nicht warten muss, bis die da oben etwas in Sachen Klimaschutz verändern", erzählt der heutige Geschäftsführer Thomas Karner. Seit 2007 hat man einen Umsatz von 827.000 Euro erwirtschaftet, das alljährliche 24-Stunden-Biken brachte laut Bürgermeister Teubl einige hunderttausend Euro an EU-Förderungen. Die Einnahmen fließen in diverse Klimaschutzprojekte.
Neben plastiksackerlfreien Geschäften, Fotovoltaikanlagen und thermischer Gebäudesanierung ist der Humus der Nährboden für den Klimaschutz. Die Ökoregion verkauft CO2-Zertifikate an Unternehmen – die Hofer KG etwa nimmt jährlich 3000 Tonnen ab. Die Erlöse fließen an Landwirte, die Humus produzieren. Der Humus bindet nämlich CO2 und sorgt auch noch für mehr Ertrag. "Der Erlös der Zertifikate fließt also direkt in den Klimaschutz", erklärt Karner. 70.000 Euro hat man bisher österreichweit an 120 Landwirte ausbezahlt, 1300 Hektar Ackerfläche werden mit Humus bewirtschaftet. "Das Projekt ist europaweit einzigartig", sagt Karner. Das bisherige Wissen gibt man an die Partnerregionen in Slowenien, Kroatien und Ungarn weiter.
Das Öko-Bewusstsein leben mittlerweile diverse Betriebe der Region vor: Der Malerbetrieb Herbsthofer in Hartl etwa wurde als europaweit erster klimaneutraler Betrieb seiner Zunft 2013 mit dem European CSR Award ausgezeichnet.
Bei der Baumschule Loidl in Kaindorf, die je nach Saison 60 bis 80 Mitarbeiter aus der Region beschäftigt, setzt man möglichst auf Pflanzenschutz und Nützlinge als auf Pestizide. "Wir wollen CO2-neutral werden, ich warte nur noch auf technologisch sinnvolles Fotovoltaik", sagt Chef Peter Loidl. In Planung sei auch ein Humusfeld.
Humus-Pionier
Zu den Humus-Landwirten der ersten Stunde zählt Hans-Peter Spindler. Weil er Besucher und Kamerateams aus halb Europa nach Hartl lockt, stellten Nachbarn die Ortstafel "Klein-Hollywood" vor seinem Hof auf. In der Ökoregion selbst sind bisher nur 20 Landwirte am Humus-Aufbau beteiligt, das soll sich ändern: Mit den jährlichen Humusfachtagen holt Thomas Karner schon jetzt Experten aus Europa in die Region, ab Anfang 2017 soll die Humusakademie Landwirten und Hobbygärtnern Wissen vermitteln. Die Gemeinden sind derzeit dabei, ein Konzept auszuarbeiten, um weitere Unternehmen in die Ökoregion zu locken. Auch den Tourismus will man in die Region holen. "Wir planen für 2017 Erlebnis-Touren zu diversen Betrieben", sagt Thomas Karner.
Mitglieder Die Ökoregion Kaindorf wurde 2007 gegründet, Mitglieder sind die Gemeinden Kaindorf, Ebersdorf und Hartl.
Ziele Mit diversen Projekten will die Region bis 2020 CO2-neutral sein.
Region in Zahlen 6150 Einwohner hat die gesamte Ökoregion, 2864 sind es in Kaindorf. 120 Betriebe sind in der Ökoregion angesiedelt.
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