Bund der Steuerzahler: "Kalte Progression als Etikettenschwindel"

Oliver Ginthör, Bund der Steuerzahler
Steuerexperte Oliver Ginthör kritisiert das Entlastungsmodell der Regierung scharf.

Das war zu erwarten. Scharfe Kritik übt der "Bund der Steuerzahler" an der Reduzierung der kalten Progression, die von der Regierung in ihrem Arbeitsprogramm als "Ausgleich" verkauft wird. "Das ist Etikettenschwindel, ein Gebrauchtwagenhändler-Schmäh. Wer’s glaubt, ist selbst schuld", empört sich Oliver Ginthör, sonst eher sachlich diskutierender Chef des Steuerzahler-Bundes.

Da nur die beiden unteren Steuerstufen automatisch an die Inflation angepasst werden, gehe die Schere zwischen Vielzahlern und jenen, die keine Lohnsteuer zahlen, noch weiter auf, argumentiert Ginthör. Jetzt schon würden 40 Prozent der Erwerbstätigen keine Lohn- und Einkommenssteuer zahlen. Dafür finanzieren 25 Prozent der Steuerzahler 80 Prozent des gesamten Aufkommens. "Dass mit dem Regierungsprogramm 80 Prozent der kalten Progression automatisch ausgeglichen und alle Steuerzahler entlastet würden, stimmt einfach nicht" (Ginthör). Der Steuer-Experte rechnet anders als die Regierung. Er meint, dass jene Betroffenen, die keine Steuer entrichten, nicht mit eingerechnet werden dürfen. Wenn man die kalte Progression wirklich abschaffen wolle, "muss man sie in allen Stufen abschaffen".

Günter Stummvoll, Sprecher der bunt zusammen gewürfelten "Initiative Mittelstand" (von der Industriellenvereinigung bis zu den Land- und Forstwirten), befürchtet "eine weitere Umverteilung". Mit seiner Beurteilung des Koalitionsprogrammes ist Stummvoll allerdings nicht so kritisch wie der Bund der Steuerzahler, der auch Mitglied der Plattform ist.

Positiv vermerkt Stummvoll die Forschungsprämie, die Lohnnebenkosten-Entlastung, die vorzeitige Abschreibung und Arbeitszeitflexibilisierung sowie Deregulierung. Aber: "In Jubel brauchen wir nicht auszubrechen. Die Stunde der Wahrheit wird sich vor dem Sommer zeigen." Dann nämlich, wenn die Absichtserklärungen der Regierung im Parlament in Gesetzestexte gegossen werden sollen. Den Mittelständlern, die sich als breit aufgestellte Interessensvertretung für "Leistung und Eigentum" verstehen, sind beispielsweise die Punkte zur Deregulierung jetzt schon zu vage formuliert.

Sozialpartner

Dass die Regierung die Flexibilisierung der Arbeitszeit an die Sozialpartner delegiert, hält der ehemalige ÖVP-Politiker Stummvoll für nicht sehr Erfolg versprechend: "Die Regierung hätte das Gesetz des Handelns nicht aus der Hand geben sollen." Interessant, war doch Stummvoll selbst als Wirtschaftskämmerer viele Jahre lang ein hochrangiger Vertreter der Sozialpartner.

Einig sind sich die Mittelständler, dass langfristige Weichenstellungen wie die Themen Pensionen, Staatsreform und Gesundheitswesen auf die Tagesordnung gehören. Ginthör: "Es wirkt so, als ob Pensionisten und Beamte die letzte SPÖ-ÖVP-Bastion wären. Beide Gruppen kommen mit Einsparungen nicht vor." Stummvoll: "Wäre mutig, wenn die Regierung im Herbst mit den langfristigen Reformen beginnt." Beide verweisen auf Deutschland. Die Lohn- und Abgabenquote in Österreich liegt um zehn Prozent höher als bei den Nachbarn.

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