Bremsspuren im VW-Konzern
Freundlich und gut gelaunt wie fast immer bei öffentlichen Auftritten zeigte sich Martin Winterkorn auch gestern, Montag, bei der Hannover Messe an dem Stand von Volkswagen. Seine Gäste waren ja mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Indiens Premierminister Narendra Modi nicht irgendwer.
Anlass war die Präsentation eines in Indien produzierten VW. Das große Medieninteresse galt aber nicht dem Auto, sondern dem VW-Chef. Schließlich steht er als Konzernboss seit Freitag auf der Abschussliste. Denn sein mächtiger Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch ging, wie berichtet, in einem Interview auf "Distanz" zu seinem langjährigen Weggefährten.
Der Vertrag des 67-Jährigen läuft noch bis Ende nächsten Jahres, eine Verlängerung (um wahrscheinlich zwei Jahre) wollte er bisher nicht ausschließen. Am wahrscheinlichsten galt aber, dass er Piëch als Aufsichtsratschef nachfolgt. Der gebürtige Wiener feiert kommenden Freitag bereits seinen 78. Geburtstag.
Audi-Vergangenheit
Auch wenn Winterkorn zahlreiche Unterstützer im Aufsichtsrat hat, setzt sich am Ende ohnehin immer Piëch durch (siehe Bericht unten). Schon einmal überging Piëch Winterkorn, als er nicht ihn, sondern Bernd Pischetsrieder zu seinem Nachfolger als Konzernchef machte. Ein Fehler, wie Piëch später eingestand. Schließlich kennt und schätzt man einander seit den späten 80er-Jahren, als er Winterkorn zum Leiter der Qualitätssicherung bei Audi berief.
Was Piëch zu dem Liebesentzug veranlasst hat, ist nicht ganz klar. Denn der Konzern schrieb im Vorjahr einen Rekord bei Absatz und Gewinn. Allerdings gibt es einige Problemfelder:
USA Am wichtigen US-Markt ist der Motor ins Stottern geraten. Trotz hoher Investitionen fährt VW hinterher, der Marktanteil bei Neuwagen ist mit 2,0 Prozent so niedrig wie 2009. Das Passat-Werk ist für bis zu 200.000 Autos konzipiert, es rollen aber nur rund 80.000 jährlich vom Band. "Piëch hat erkannt, dass es in den USA keinerlei Anzeichen für eine Trendumkehr gibt", sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer.
Niedrige Rendite Auch wenn der Gewinn weiterhin steigt, es könnte mehr sein. Denn die Rendite je verkauftem Fahrzeug ist zu niedrig. Während Toyota im Vorjahr pro Fahrzeug 1647 Euro Gewinn erzielte, sind es bei der Kernmarke VW nur 540 Euro. "Bei hohem Wachstum der Weltmärkte ein so schwaches Ergebnis zu erzielen, lässt erahnen, wie das Ergebnis aussieht, wenn Flaute im Autogeschäft vorliegt", sagt Dudenhöffer.
Seat Die spanische Marke schreibt seit Jahren Verluste, ein Ende ist nicht abzusehen. Der Konzerngewinn kommt großteils von den Premiummarken Audi und Porsche sowie aus China.
Sparprogramm Winterkorn erkannte die Probleme erst vor Kurzem und verordnete Einsparungen von fünf Mrd. Euro. Fraglich ist, ob die so schnell Wirkung zeigen. Das Ziel, bis 2018 Weltmarktführer vor Toyota zu werden, soll nicht nur mehr in Stückzahlen, sondern auch bei der Rendite erfüllt werden.
Die Aktionäre sind jedenfalls verunsichert, die Aktie fiel gestern um 1,4 Prozent und war damit Schlusslicht im deutschen DAX-Index.
Die Personalia Winterkorn könnte erneut zu einem Konflikt zwischen den Familien Piëch und Porsche werden. Die beiden Clans, angeführt von Ferdinand Piëch auf der einen und Cousin Wolfgang Porsche auf der anderen Seite, sind mit zusammen rund 45 Milliarden Euro die reichsten Österreicher. Porsche steht im Aufsichtsrat wie die Arbeitnehmerseite sowie die Vertreter des Landes Niedersachsen aufseiten Winterkorns. „Es wird einer auf der Strecke bleiben und das wird nicht Piëch sein“, sagte sein österreichischer Biograf Wolfgang Fürweger.
Schon bisher hat sich der Patriarch in Personalfragen immer durchgesetzt. Nicht nur hat er seinen Nachfolger als VW-Chef, Bernd Pitschetsrieder, wieder abgesetzt. Den größten Konflikt trug er mit Porsche-Chef Wendelin Wiedeking aus, als er 2009 versuchte, VW zu übernehmen. Am Ende übernahm Piëch den Sportwagenbauer.
Auch Winterkorns Nachfolger dürfte er mehr oder weniger im Alleingang bestimmen. Heißester Kandidat ist Herbert Diess, der im Juli als VW-Markenchef von BMW nach Wolfsburg wechselt.
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