Borealis-Chef: "Elite ist zum Schimpfwort geworden"

Borealis-Vorstand Stern liegt Recycling am Herzen: Edding-Stifte aus Alt-Kunststoff
Vorstand Alfred Stern beklagt das Fehlen von Spitzen-Universität und Top-Forschern in Österreich.

Wer von Wien mit dem Auto zum Flughafen fährt, kann den Kunststoffkonzern Borealis nicht übersehen: Gleich neben den Öltanks der OMV-Raffinerie Schwechat stehen die beachtlichen Produktionsanlagen des Unternehmens. Polyolefine werden dort erzeugt – aus dem Rohstoff Öl. 350 Forscher am Standort Linz von Borealis sorgen dafür, dass in Schwechat die Innovation nicht stehen bleibt. Mit 100 Innovations-Anmeldungen im Jahr machen sie Borealis regelmäßig zum Patentkaiser. Warum dies in Österreich gar nicht einfach ist, erzählt Borealis-Vorstand Alfred Stern im Gespräch mit dem KURIER.

KURIER: Herr Stern, 350 Forscher in Linz. Können Sie die alle in Österreich finden?

Alfred Stern: Wir haben in den Aufbau dieses Forschungszentrums 200 Millionen Euro in den vergangen acht Jahren investiert. Aber Investition hat noch nie eine Innovation gemacht. Diese wird von Menschen gemacht. Die müssen etwas können. Es ist nicht möglich alle diese Leute in Österreich zu finden.

Warum? Wir haben doch genug Uni-Absolventen?

Ja. Aber die Experten, die wir brauchen, sind nicht am Markt. Wir müssten international suchen. Das hat auch Vorteile. Die internationale Diversität ist für Kreativität und Innovation essenziell.

Ist Österreich für internationale Top-Forscher attraktiv?

Ich habe noch kaum Experten getroffen, denen es in Österreich nicht gefällt. Aber es gibt Mängel.

Welche?

Die Leute kommen mit ihren Familien, sie brauchen eine internationale Schule. Mittlerweile gibt es eine in Linz. Die Menschen haben Anforderungen, damit sie kommen. Das ist nicht überall in Österreich gegeben.

Und heimische Forscher?Wir brauchen Chemiker, Physiker, Kunststoff- und Verfahrenstechniker. Mit dem notwendigen Fachhintergrund und der internationalen Erfahrung gibt es sehr wenige in Österreich. Borealis arbeitet mit der Uni Linz gut zusammen, wir haben dort einen Kunststoff-Studienzweig aufgebaut. Aber Österreich muss den Fokus verstärkt auf Qualität und Internationalität im Ausbildungsbereich legen, speziell an den Unis. Da hinken wir nach.

Bräuchten wir eine Top-Uni?

Wenn man Spitzenforscher anziehen will, schafft man das nur, wenn man eine Top-Uni hat. Wenn sie internationale Rankings anschauen, ist keine österreichische dabei. Andere kleine Länder wie die Schweiz oder die Niederlande sind schaffen das.

Mehr Geld für die Unis?

Die Forschungsförderung ist gut in Österreich. Mir wäre lieber, das Geld würde in die Unis fließen. Wir sind ein Hochlohnland. Wir können die Zukunft nur gestalten, wenn wir das Wissen, die Kreativität und die Innovationsfähigkeit der Menschen nützen. Es ist eine Illusion, dass wir uns durch Abkapselung auf Dauer gut weiterentwickeln könnten.

Sehen Sie eine Tendenz in diese Richtung?

Eine gewisse Gefahr ist da. Österreich braucht aber die Offenheit. Wir müssen uns dazu bekennen, dass Wissenschaft nichts Böses ist, sondern dass wir uns dadurch als Gesellschaft und Land entwickeln können. Wir nutzen alle Smartphones, alle wollen Photovoltaik-Module, wollen Erdwärme nutzen oder Wärmepumpen. Das funktioniert alles nicht ohne Forschung und ohne ordentliche Ausbildung. Aber Elite ist bei uns ein Schimpfwort geworden. Dabei bedeutet das: Leute, die durch Leistung etwas schaffen.

Bei den kleineren Unternehmen finden sich aber durchaus viele Pioniere ...

Die sind auch die, die Österreich retten. Die duale Berufsausbildung ist international ein Vorbild. Und davon profitieren die Klein- und Mittelbetriebe. Aber auf der großen Ebene – bei den Unis – da hinken wir nach.

Kunststoffe, wie sie Borealis erzeugt, werden durchaus kritisch gesehen. Plastik verseuche die Weltmeere ...

Polyolefine sind sehr leicht und schwimmen daher oben. Global sind etwa zehn Prozent des Mülls Kunststoffe. Das ist ein Riese-Problem. Aber ohne Kunststoffe ist unsere Welt nicht vorstellbar. Zu lösen ist das nur, indem wir den Kreislauf schließen. Borealis hat daher auch eine Recyclingfirma gekauft. Die Probleme im Recycling erkennt man am besten, wenn man es selbst macht. Probleme sind zum Beispiel: verschmutzte Plastikverpackungen.

Lässt sich das vermeiden?

Ja. Wir designen Verpackungen so, dass möglichst wenig hängen bleiben. Wir tragen aber auch mit anderen Innovationen zur Bewältigung der größten Herausforderung bei, vor denen die Welt steht: den Klimawandel. Wir liefern Folien für Solarpaneele, Ummantelungen für Stromleitungen, damit sie hohe Spannungen vertragen und Leichtbauteile für Autos, damit sie weniger Treibstoff verbrauchen oder Verpackungen von Lebensmitteln, damit sie länger haltbar sind.

Von der Borealis-Produktion sind vor drei Jahren Plastikteilchen in die Donau geschwemmt worden. Könnte das wieder passieren?

Im Werk Schwechat produzieren wir eine Million Tonnen Kunststoffe im Jahr. Wir haben viel gemacht, damit aus dem Werk kein Kunststoff mehr ins Wasser geht. Das Werk ist "kunststoff-dicht". Wir haben ein mehrstufiges Abscheidesystem mit Filtern und Auffangkörben eingebaut. Sollten Kunststoffteile drin sein, werden sie rausgenommen.

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