Bombardier Wien unter Zugzwang

Bombardier Wien unter Zugzwang
Das Wiener Werk für Straßen- und Stadtbahnen steht an der Kippe, wenn Wien nicht weitere U6-Züge kauft.

Der kanadische Schienenfahrzeugkonzern Bombardier erhöht den Druck: Wenn die Wiener Linien nicht spätestens bis Jahresende weitere 20 Fahrzeuge für die U6 bestellen, droht dem Wiener Werk mit 600 Mitarbeitern in einem Jahr das Aus. Germar Wacker, Geschäftsführer der Bombardier Transportation Austria GmbH und verantwortlich für das weltweite Geschäft mit leichten Schienenfahrzeugen, sieht darin keine Erpressung.

Bombardier Wien unter Zugzwang

KURIER: Wie stark sind die Arbeitsplätze in Wien tatsächlich gefährdet, wenn die Wiener Linien die Fahrzeuge nicht bestellen?
Germar Wacker: Wenn der Auftrag nicht bis Ende 2011 kommt, fahren wir 2012 in eine gewaltige Unterauslastung in der Produktion. Dadurch wären Ende 2012 rund 300 Arbeitsplätze in der Produktion gefährdet.

Wenn die Wiener Linien die Züge bestellen, verschieben Sie damit die Auslastungslücke ja nur ins nächste Jahr und dann geht es wieder von vorne los ...
Nein. Wenn die U6-Fahrzeuge bestellt werden, wäre es möglich, mit internationalen Folgeaufträgen, über die bereits verhandelt wird, die Produktion und den Standort in Wien nachhaltig abzusichern.

Das klingt aber schon sehr nach Erpressung ...
Ich sehe das anders. Erstens gibt es einen Bedarf für die Fahrzeuge, das steht außer Streit auch bei den Wiener Linien und in der Politik. Die Wiener Linien haben Kapazitätsprobleme auf der U6, es gibt praktisch keine Fahrzeugreserven mehr, wenn Züge ausfallen oder gewartet werden müssen. Neue Fahrzeuge, die alle klimatisiert sind, würden auch mehr Komfort für die Fahrgäste bedeuten. Und hier schließt sich der Kreis zu den Interessen der Stadtpolitik, die den öffentlichen Verkehr attraktiver machen will. Das Interesse von Bombardier ist es, die Arbeitsplätze in der Produktion zu sichern und vor allem im Bereich Forschung und Entwicklung zu halten. In Wien werden ja nicht nur Straßenbahnen gebaut, der Standort ist auch ein internationales Kompetenzzentrum für leichte Schienenfahrzeuge, also Straßen- und Stadtbahnen, wo sehr viel entwickelt wird. Der Großteil des Engineerings für die Straßenbahnen in Toronto, die in Werken in Kanada und Mexiko gebaut werden, erfolgt etwa in Wien.

Warum kann dann ein Auftrag um insgesamt 66 Millionen Euro das ganze Werk gefährden?
In erster Linie sind natürlich die Arbeitsplätze in der Produktion betroffen. Aber in unserem Geschäft gibt es eine enge Verzahnung von Entwicklung, Konstruktion und Produktion. Das heißt, ich brauche die Produktion als Basis für das Know-how in der Konstruktion. Fällt die Produktion aus, betrifft das daher auch den Status von Wien als Kompetenzzentrum für diese Sparte.

Und das hängt wirklich an einem einzigen Auftrag?
Wir sehen derzeit einen hohen Bedarf am Ausbau des öffentlichen Verkehrs weltweit, in erster Linie in den großen Städten. Aber als Folge der Wirtschaftskrise sind vor allem die Budgets der Kommunen stark belastet, viele Investitionen wurden in die Zukunft verschoben. Diese Investitionslücke hat zu der derzeitigen Unterauslastung geführt. Mittelfristig gibt es aber eine gute Perspektive für weitere Aufträge.

Um welche konkreten Aufträge geht es da?
Wir haben etwa für 2013 bereits einen Folgeauftrag in Großbritannien, wo wir Straßenbahnen für Blackpool und Manchester bauen. Weitere Projekte gibt es auch für Linz und Karlsruhe, für diese Städte bauen wir ebenfalls Fahrzeuge. Es gibt auch einen Auftrag in der Schweiz, an dem Wien einen Anteil hat. Dafür aber ist es wichtig, die Arbeitsplätze für die Zeit der Unterauslastung abzusichern. Qualifizierte Mitarbeiter sind ein wesentliches Asset in unserer Branche, weil viel per Hand und nicht automatisiert gefertigt wird. Daher ist der U6-Auftrag so wichtig.

Die Schuldenkrise hält aber an, dadurch könnten Aufträge noch weiter nach hinten geschoben werden ...
Für 2013 sieht es aus derzeitiger Sicht gut aus. Auf eine neue Hochphase, die wir vor drei, vier Jahren gesehen haben, werden wir wegen der knappen Mittel in den öffentlichen Budgets aber noch eine Zeit lang warten müssen. Wie lange, ist offen.

Wie optimistisch sind Sie, dass der Auftrag kommt?
Die Signale sind positiv, Vizebürgermeisterin Renate Brauner hat ja bereits angekündigt, dass der Auftrag nach der Entscheidung über die Tarifreform kommt. Für diese Unterstützung sind wir sehr dankbar. Und mit den Wiener Linien gibt es konstruktive Gespräche.

Werden Sie Wien beim Preis entgegenkommen oder bieten Sie eine Vorfinanzierung der Garnituren an?
Über Details der Gespräche kann ich nichts sagen. Aber die 66 Millionen Euro werden ja nicht auf einmal fällig, sondern abhängig von der Auslieferung der Fahrzeuge. Wir haben da schon eine gewisse Flexibilität gezeigt. Es gibt sicher Möglichkeiten, über die Größe der Tranchen und über den Zeitpunkt, zu dem sie fällig werden, zu reden.

Transportriese: Züge und Flugzeuge

Verkehrskonzern Der kanadische Konzern baut Flugzeuge und Schienenfahrzeuge. 2010 setzte Bombardier mit 65.200 Mitarbeitern weltweit 17,7 Milliarden US-Dollar (12,9 Mrd. €) um und erzielte einen Nettogewinn von 769 Millionen Dollar. Die Bahnsparte fuhr im Vorjahr mit 34.900 Mitarbeitern 9,1 Milliarden Dollar Umsatz ein. Das operative Ergebnis (Ebit) betrug 602 Millionen Dollar. Bei Schienenfahrzeugen hat der Konzern Aufträge für 35,5 Milliarden Dollar in den Büchern. Die Palette reicht von Hochgeschwindigkeitszügen bis zu Niederflur-Straßenbahnen.

Bombardier Wien Das Werk mit 600 Mitarbeitern ist Kompetenzzentrum für Straßen- und Stadtbahnen. Bisher wurden 124 U6-Fahrzeuge gebaut. Im Wiener Werk werden derzeit unter anderem Straßenbahnen für Linz, Innsbruck und Graz sowie für Blackpool (Großbritannien), Valencia (Spanien) und Karlsruhe gebaut.

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