EU-Ranking: Vorarlberg ist die Nummer eins

EU-Ranking: Vorarlberg ist die Nummer eins
Studie: Von 283 Regionen profitiert keine stärker vom EU-Markt als das Ländle. Den "Ederer-Tausender" gab es, sogar in Euro.

Wer hätte das gedacht? Österreichs westlichstes Bundesland, Vorarlberg, ist der größte Gewinner durch den zollfreien und ungehinderten Handel im EU-Binnenmarkt. Und das unter immerhin 283 Regionen in ganz Europa. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die Autoren der Universität Sussex gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung erstellt haben.

Der Platz eins für Vorarlberg hat mehrere Gründe: Ein kleines Bundesland mit wenigen Einwohnern, zugleich aber hoher Industriedichte, das obendrein viele exportstarke Firmen beherbergt und zentral im Herzen Europas liegt. Dazu noch die geografische Nähe zu wichtigen Absatzmärkten wie Deutschland, Italien, Frankreich oder auch der Schweiz: Das ist eine fast unschlagbare Mischung.

Zumindest in Sachen Produktivitätszuwachs: Gemeint ist das, was ein einzelner Arbeitnehmer im Jahr erwirtschaften kann (die Bruttowertschöpfung). Hier verleiht die EU-Mitgliedschaft Vorarlberg einen jährlichen "Boost" von 3,856 Prozent, der Spitzenwert in ganz Europa (siehe Grafik).

Diese Vorteile lassen sich auch in bare Münze umrechnen. Bei den jährlichen Einkommensgewinnen pro Kopf in Euro liegt Vorarlberg zwar nicht mehr ganz an der Spitze, aber weit vorne.

Diese Rangliste ist übrigens politisch kurios. Die größten Einkommens-Gewinner sind nämlich Regionen, die gar nicht EU-Mitglieder sind, sondern "nur" über umfassende Verträge mit der EU am Binnenmarkt partizipieren.

Gewinner ist: Schweiz

Sieben von acht Top-Regionen gehören nämlich zur Schweiz. Allen voran liegt der Großraum Zürich, wo der EU-Binnenmarkt fast 3.600 Euro zu den jährlichen Pro-Kopf-Einkommen beisteuert. Nur Luxemburg kann sich in die helvetische Phalanx hineinschwindeln.

Und, nicht minder brisant: Schon auf Platz neun folgt die Region "Inner London-West", wo der EU-Einkommensbeitrag gut 2.700 Euro ausmacht. Platz zehn geht an die EU-Hauptstadt Brüssel und gleich dahinter, auf Platz elf, ist erneut Vorarlberg (mit jährlich 2.062 Euro Plus) zu finden.

Umgekehrt heißt das: Die Region, zu der die britische Hauptstadt gehört, hat durch das Ausscheiden aus dem EU-Binnenmarkt, das wohl mit dem "Brexit" einhergehen wird, besonders viel zu verlieren.

 

„Je stärker Industrie und Exportbranchen in einer Region verankert sind, desto höher sind in der Regel auch die Einkommensgewinne durch den Binnenmarkt“, erklärt Dominic Ponattu, Mitautor der Studie. „Auch Regionen mit einem starken Mittelstand und Zuliefererbetrieben, die viel in die EU exportieren, sind Gewinner“, so Ponattu.

Europaweit zeigen sich zwei Trends: Nicht die größten Volkswirtschaften profitieren am stärksten, sondern eher kleine, aber exportstarke Nationen. Und: Zentrum schlägt Peripherie.

Der andere "Ederer-Tausender"

Die größten Einkommensgewinne pro Person und Land können die Einwohner in der Schweiz (2.914 Euro pro Kopf und Jahr), Luxemburg (2.834 Euro) und Irland (1.894 Euro) verbuchen. Aber auch Belgien (1.627 Euro), Österreich (1.583 Euro) oder die Niederlande (1.516 Euro) zählen die Autoren zu den Top-Profiteuren.

Somit ließe sich behaupten, dass der EU-Beitritt den Österreicherinnen und Österreichern sehr wohl den umstrittenen "Ederer-Tausender" an Vorteil gebracht hat - und das sogar in Euro. Zur Erinnerung: Die damalige Europa-Staatssekretärin Brigitte Ederer hatte vor dem EU-Beitritt 1995 in Aussicht gestellt, dass sich eine vierköpfige österreichische Familie durch die gesunkenen Preise im Jahr 1000 Schilling ersparen würde. Weil die Preissenkungen nicht sofort spürbar wurden, galt (und gilt) der "Ederer-Tausender" manchen als Sinnbild für enttäuschte Erwartungen und Hoffnungen.

Unter Ökonomen gilt unterdessen als belegt, dass die ökonomischen Vorteile den Betrag mittlerweile bei Weitem übersteigen. Einerseits über tatsächlich niedrigere Preise, die der intensive Wettbewerb im offenen EU-Markt mit sich gebracht hat. Andererseits aber über Effizienzsteigerung, Produktivitätsgewinne und somit rascheres Wachstum, was wiederum höhere Löhne ermöglicht. Ob diese Gewinne bei allen Österreichern im selben Ausmaß angekommen sind (und ankommen), ist wiederum eine andere Frage.

Für Österreich ist die EU  "Gold wert"

„Die größten Gewinner sind kleine Länder, die viel Handel treiben und besonders international ausgerichtet sind“, kommentiert Ponattu. Diese Länder segelten häufig im Windschatten größerer Volkswirtschaften: „Für Länder wie beispielsweise die Niederlande oder Österreich ist der Binnenmarkt Gold wert, denn sie verfügen über wettbewerbsfähige Branchen, sind aber aufgrund kleiner Inlandsmärkte vom Export abhängig.“

Die Zuwächse in Südeuropa fallen hingegen auch aufgrund der geringeren Wettbewerbsfähigkeit niedriger aus. So etwa in Spanien (590 Euro pro Kopf und Jahr), Portugal (500 Euro) oder Griechenland (400 Euro).

Problematisch ist, dass wirtschaftlich ohnehin abgehängte, ländlich geprägte Regionen in Bulgarien, Rumänien, aber auch Griechenland die Vorteile des EU-Binnenmarktes um ein Vielfaches weniger ausschöpfen können. Allerdings müsse dabei berücksichtigt werden, dass die EU hier politisch gegensteuert und genau diese benachteiligten Regionen überdurchschnittlich viele EU-Gelder aus der Regional- und Strukturförderung erhalten.

Nord- und Süd-Gefälle

Ein weiterer, heikler Befund: In einigen Ländern gibt es eine gewaltige Schere zwischen den wirtschaftlich stärksten und schwächsten Regionen. Das betrifft Österreich kaum, weil zwischen Vorarlberg und Burgenland die Unterschiede vergleichsweise gering sind. Beträchtlich ist diese Kluft hingegen zwischen Nord- und Süd-Italien, aber auch zwischen dem Westen und Osten Deutschlands.

In Großbritannien profitiert London (2.700 Euro pro Kopf) besonders von der EU. Im Norden des Landes liegen die Einkommensgewinne mit 500 bis 600 Euro pro Kopf hingegen weit unter dem Landesdurchschnitt. Der komplette Ausstieg aus dem EU-Binnenmarkt würde neben dem Großraum London vor allem industrie- und innovationsstarke Regionen im Süden des Landes hart treffen, sagt Ponattu.

Interessanterweise hätten aber einige der Regionen, die am stärksten vom EU-Binnenmarkt profitieren, für den Brexit gestimmt. Dazu zählt etwa die südenglische Region Kent.

Wie die Rechnung zustande kommt

Für den Laien ist es oft schwer nachvollziehbar, wie die Wirtschaftsforscher zu ihren Berechnungen kommen. In der vorliegenden Studie verwendeten die Ökonomen Giordano Mion (University of Sussex) und Dominic Ponattu (Bertelsmann-Stiftung) ein sogenanntes regionalökonomisches "Gravitationsmodell", das berücksichtigt, dass der Handel zwischen nahe gelegenen Ländern in der Regel stärker ausfällt als zwischen weiter entfernten. Das erklärt zum Teil, warum zentrale Regionen stärker profitieren.

Dazu flossen ergänzend die Daten über die tatsächlichen internationalen Handelsströme sowie über die regionale Wirtschaftsentwicklung in den EU-Regionen ein, um die Auswirkungen des Binnenmarktes auf die Einkommen, Preise und Produktivität zu ermitteln. Im Gegenzug wurde ebenso simuliert, was eine hypothetische Abschaffung des EU-Binnenmarktes bewirken würde.

Diese hätte nämlich höhere Kosten durch Zölle und nichttarifäre Hürden wie mehr Bürokratieaufwand, erforderliche Genehmigungen und Einfuhrkontingente zur Folge. Der Verlust an Wettbewerb hätte höhere Preise zur Folge und würde sich negativ auf die Produktivität und somit das Wachstum niederschlagen.

Die Differenz aus den Modellrechnungen ergibt die "Gewinne" für die Länder und Regionen durch die Teilnahme am EU-Binnenmarkt - oder, vice versa, auch die drohenden Verluste im Falle eines Ausscheidens.

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