Baustellen-Razzia: Auf der Jagd nach Schwarzarbeitern
Mittwoch, 8 Uhr, im Finanzamt Wien-Kagran: Generalstabsmäßige Einsatzbesprechung bei der Finanzpolizei. Mehr als 40 Betrugsbekämpfer der Finanz und der Wiener Gebietskrankenkasse sowie Mitarbeiter der Baupolizei (MA 37) erhalten ihre Einsatzbefehle. Mit dabei sind auch Experten der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) und des Büros für Sofortmaßnahmen der Stadt Wien.
Eine knappe Stunde nach der brisanten Besprechung schwärmen fünf "gemischte" Ermittlungsteams zu Razzien auf Wiener Baustellen aus. Im Mittelpunkt der Schwerpunkt-Aktion steht die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping, das Aufdecken von Abgaben-Hinterziehungen und das Aufspüren illegal beschäftigter Ausländer. Oder anders gesagt: Es geht um den schwierigen Kampf gegen die gut organisierte Baumafia - insbesondere aus Ost- und Südosteuropa.
"Wir kontrollieren in Wien jährlich rund 300 Baustellen", sagt Franz Kurz, der eloquente Chef der Finanzpolizei Wien, zum KURIER. "Auf großen Baustellen finden wir immer etwas." Diesmal werden rund ein Dutzend Bauprojekte kontrolliert.
Auf der ersten Baustelle in der Jedleseer Straße in Wien-Floridsdorf arbeiten rund 20 Polen. Der Chef der Firma ist nicht vor Ort – nur sein Vater. Er fungiert laut eigenen Angaben als eine Art "Kontrollor". Die österreichische Firma seines Sohnes, erzählt er, betreibe fünf Baustellen in Wien mit etwa 40 polnischen Arbeitern, ein inländischer Baumeister ist wegen der Gewerbeberechtigung für 20 Stunden angestellt. Damit wird offenbar die gesetzliche Mindestanforderung erfüllt. Der Baumeister komme einmal in der Woche vorbei.
"90 Prozent ist hier in Ordnung", sagt der freundliche Pole in gebrochenem Deutsch zum KURIER. "Welche Baustelle ist 100 Prozent in Ordnung, man kann ja ein paar Sachen vergessen." Mithilfe ihrer Computerdatenbanken überprüfen die Ermittler die Anmeldungen der 20 Polen bei der Sozialversicherung und Finanz.
"Es gibt Arbeiter, die in einem Jahr zehn bis zwölf Mal die Firma wechseln", fügt ein Beitragsprüfer der Wiener Gebietskrankenkasse hinzu. Dabei kommt es häufig vor, dass ausländische Bauarbeiter bei Einvernahmen angeben, dass sie gar nicht wissen, bei welcher Firma sie tatsächlich beschäftigt sind. Oft sei das auch nur eine Schutzbehauptung, sagen die Ermittler.
Doch die erste Baustelle ist im Großen und Ganzen sauber. Die Firma hat zwar bei der Krankenkasse und der Finanz einen erklecklichen Rückstand, doch es wurden bereits Ratenzahlungen vereinbart. Aber die Baupolizei hat Beanstandungen. Das Mehrparteien-Haus "wird von den bewilligten Plänen "stark abweichend umgebaut". Am Ende der Aktion schließt die Baupolizei zwei der geprüften Baustellen. Es fehlen Unterlagen über die Statik.
Baufirma zahlt nach
Chefermittler Franz Kurz chauffiert den KURIER zum nächsten Bauprojekt in die Groß-Enzersdorfer-Straße in Wien-Aspern. Die örtliche Baufirma steht mit rund 20.000 Euro bei der Finanz in der Kreide. Die Razzia zeigt sofort Wirkung. Diese offene Forderung und die überfälligen Lohnabgaben für April werden von der Baufirma umgehend an die Finanz überwiesen. Auf dem Weg zur nächsten Baustelle plaudert Wiens höchster Finanzpolizist aus dem Nähkästchen. "Wir wissen aus diversen Kontrollen, dass ausländische Beschäftigte von den rund 1200 Euro, die sie nach dem österreichischen Kollektivvertrag erhalten, oft ein Drittel einem Boss in ihrem Heimatland geben müssen", sagt Kurz. "Die werden schon in der Heimat gebrieft, was sie zu sagen haben, wenn die Finanzpolizei kommt."
Apropos Lohndumping: Auf einer weiteren Baustelle werden die Kontrolleure fündig. Bei sechs Mitarbeitern zweier slowenischer Baufirmen ergibt sich "der Verdacht auf Unterentlohnung". Die Prüfung dieses Falles wird von der zuständigen Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) in den nächsten Tagen noch vertieft werden.
Auffällig ist bei dieser Razzia auch, dass auf den Baustellen zum Teil kein Österreicher oder nur ein, zwei einheimische Bauarbeiter tätig sind. Dieser Eindruck ist eher die Regel, bestätigen die Ermittler im Gespräch mit dem KURIER.
48.000 Euro Strafe
Auch auf einer Baustelle in der Stadlauer Straße werden die Finanzpolizisten fündig. Acht polnische Bauarbeiter werden angetroffen, für die keine Lohn- und Sozialversicherungsunterlagen vorgelegt werden können. Außerdem liegen für diese acht Polen keine korrekten Entsendemeldungen vor.
Laut Gesetz müsste spätestens eine Woche vor dem Arbeitsantritt in Österreich die Entsendung dieser Polen auf dem elektronischen Weg dem Wiener Finanzministerium gemeldet werden. Die Polen, die nicht Deutsch sprechen, legen veraltete Formulare vor, die handschriftlich ausgefüllt sind. Diese Papiere dürfen nicht mehr verwendet werden, weil sie früher in großem Stil gefälscht wurden.
Dieser Gesetzesverstoß wird teuer. Seit Jänner 2016 haften die Auftraggeber für alle offenen Beitrags- und Abgabenschulden von dubiosen Subunternehmen, sprich Scheinfirmen.
Die Finanzpolizei verlangt in diesem Fall 48.000 Euro als Sicherheitsleistung für die anfallende Verwaltungsstrafe. "Die Tatsache, dass die Unterlagen am Bauort nicht vorliegen, ist strafbar", sagt Kurz. "Wenn der Verantwortliche die Unterlagen binnen 48 Stunden nicht nachreicht, erhält er nochmals eine Strafe in selber Höhe."
Da bei der Polen-Firma nichts zu holen ist, ordnet die Finanzpolizei beim Auftraggeber des Bauprojektes einen Zahlungsstopp an. Er darf an die Polen kein Geld mehr auszahlen, bis die Strafe bei der Finanz beglichen ist.
Vier Schwarzarbeiter
Zu guter Letzt gehen den Ermittlern auf einer Baustelle in Wien-Simmering vier Schwarzarbeiter aus Serbien ins Netz: ohne Sozialversicherung und ohne Arbeitsbewilligung. Die Wiener Gebietskrankenkasse wird die Beiträge samt Strafzuschlägen einfordern und Anzeige erstatten. Der Auftraggeber dieser Serben wird noch am Mittwochnachmittag von den Ermittlern der Finanzpolizei und der Krankenkasse zur Einvernahme geladen.
106 Millionen Euro Nachforderungen
Die Gebietskrankenkassen und Finanz prüfen im Zuge der Gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) wechselseitig bei Firmen die Steuern, die Sozialversicherungsbeiträge und die Kommunalabgaben. Alleine in Wien wurden im Jahr 2015 rund 53,67 Millionen Euro an Beiträgen von der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) und 52 Millionen Euro von der Wiener Finanz nachverrechnet. Macht unterm Strich somit fast 106 Millionen Euro. Das Eintreiben dieser offenen Forderungen dauert oft mehrere Jahre. Schlittern die geprüften Firmen aber in die Pleite, müssen sich beide Institutionen mit der Gläubigerquote begnügen.
Kommentare