Die Lehman-Pleite von Wien

Warum die neuen Bankenregeln nicht die nächste Krise verhindern werden: US-Ökonom Barry Eichengreen im Dialog.

Die „Lehman-Pleite“ des Jahres 1931 passierte in Österreich. Damals umrundeten die Schockwellen durch den Kollaps der Creditanstalt den Globus. Der Versuch, die größte Bank des Landes mit Garantien zu stabilisieren, ging fürchterlich nach hinten los: Der Staat geriet unter Pleiteverdacht (wie Irland 2008). Ausländische Hilfskredite halfen ebensowenig, die Krise zu stemmen (siehe Griechenland 2010ff).

Die Parallelen der Crashes von 1929 und 2008 sind verblüffend. Damals flog Charles Ponzis Milliardenbetrug auf, 2009 jener von Bernard Madoff. Boomende Hightech-Aktien gab es auch in den 1920ern – nicht von Apple, aber von der Radio Corporation of America.

Detailreich, fundiert, trotzdem gut lesbar: US-Starökonom Barry Eichengreen hat in seinem soeben auf Deutsch erschienenen Standardwerk "Die großen Crashs" (siehe unten) die Krisen von damals und heute und die Reaktion der Wirtschafts- und Zentralbankpolitik analysiert. Sein Fazit: Die ärgsten Fehler der 1930er, die letztlich den Zweiten Weltkrieg vorbereiteten, wurden zwar nicht wiederholt. Dennoch wurden große Fehler gemacht - welche, verrät er im Dialog mit dem KURIER.

KURIER: Warum war die Pleite der österreichischen Creditanstalt 1931 so ein bedeutsames Ereignis?

Barry Eichengreen:Sie war bis zu diesem Zeitpunkt die wichtigste Bank, die kollabiert ist. Die Bank of United States, die 1930 gescheitert ist, war zwar annähernd gleich groß, aber nicht so eng mit der Industrie oder dem Staat vernetzt. Mit der Creditanstalt-Krise wurde offenkundig, dass die Verantwortungsträger sehr wenig Spielraum hatten, um einen Run auf eine große Bank zu verhindern - der Geldpolitik waren die Hände durch den Goldstandard gebunden und es gab keinen Geldgeber der letzten Instanz.

Wo liegen da die Parallelen zu Lehman 2008?

Die Krise der Creditanstalt hat aufgezeigt, wie rasch die Probleme einer Bank und an einem Finanzplatz auch andere Institute und Länder anstecken können. Diese Faktoren haben wir bei Lehman auch gesehen - mit einer Ausnahme: Der Fed (US-Notenbank Federal Reserve, Anm.) waren nicht die Hände durch einen Goldstandards oder andere Restriktionen gebunden und sie konnte dadurch stabilisierend eingreifen.

Hätten der Crash 2008 und die folgende Wirtschaftskrise verhindert werden können?

Sicherlich hätte eine stärkere Finanzaufsicht und Regulierung in den USA vor 2007 viele der Exzesse bei den Subprime-Hypothekenkrediten verhindert oder zumindest begrenzt. In Europa hätte eine schlagkräftigere Regulierung verhindert, dass sich die europäischen Banken so viele giftige Immobilienpapiere aufbürden. Strengere Regeln hätten die Probleme in Island, Irland, bei den Banken Dexia und Fortis verhindert. Aber die Ideologie der "zurückhaltenden Regulierung" (light-touch regulation) war weitverbreitet. Das hatte katastrophale Folgen.

Politik und Zentralbanken haben versucht, nach 2008 die richtigen Lehren aus der Großen Depression von 1929 zu ziehen und die Fehler von damals zu vermeiden. Trotzdem sind heute 25 bis 26 Prozent der Griechen und Spanier ohne Job. Was ist da schief gelaufen?

Die Lehman-Pleite von Wien
Die Maßnahmen, die verhindert haben, dass wir in eine neue Große Depression versinken, wurden zu früh abgesetzt. Die Regierungen haben einen scharfen Schwenk in Richtung Sparkurs vollzogen, angefangen mit dem Jahr 2010. Die Zentralbanken waren erpicht, zu einer normalen Geldpolitik zurückzukehren, bevor wir noch annähernd eine normale Wirtschaftslage hatten. Die EZB hat zum Beispiel Ende 2009 voreilig gefolgert, dass ihre Arbeit erledigt sei und sie die unkonventionelle Geldpolitik auslaufen lassen könne. Es hat volle sieben Jahre seit dem Ausbruch der Krise gedauert, bis die EZB sich schließlich doch zu geldpolitischer Lockerung (Quantitative Easing) durchgerungen hat. Aber besser spät, als gar nie, könnte man sagen. Und es wurde nur sehr widerwillig akzeptiert, dass einige Schuldenlasten nicht tragfähig sind und restrukturiert werden müssten. Da waren Schuldenschnitte sogar in den 1930ern noch weiter verbreitet.

Wären wir denn heute auf eine Krise besser vorbereitet?

Ich denke, wir haben Reformen umgesetzt, die die vorangegangene Krise verhindern würden, aber nicht die nächste. Die großen Bank sind noch größer geworden. Sie haben immer noch gefährlich wenig Eigenkapital. Probleme gibt es weiterhin mit den Verbriefungen. Wir haben zwar den Handel mit Derivaten zu Clearinghäusern verschoben, aber das konzentriert dort das Ausfallsrisiko noch stärker, anstatt es zu reduzieren. Derivate sollten an elektronischen Börsern gehandelt und abgewickelt werden. Wenn nun ein bestimmtes Derivat dafür zu komplex oder undurchsichtig ist, wäre das ein guter Grund, dieses Wertpapier zu verbieten. Nicht zuletzt vertraut die Regulierung noch immer auf die Bewertungen der Kreditwürdigkeit durch eine Reihe von Ratingagenturen, die sich als notorisch unzuverlässig erwiesen haben. Die Regulierung muss vollkommen unabhängig von Ratingagenturen werden - davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt.

Stichwort "Grexit": Viele Beobachter in Deutschland und Österreich sind überzeugt, dass die Eurozone heute ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro einfacher handhaben könnte als noch vor ein paar Jahren. Was denken Sie?

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich persönlich habe da so meine Zweifel. Aber das ist eine jener Fragen, deren Antwort man besser nicht herausfinden möchte . . .

Barry Eichengreen ist Professor für Ökonomie und Politologie an der Berkeley Universität von Kalifornien. Er gilt als einer der profiliertesten Analytiker der Weltwirtschaft und profunder Kenner der Eurozone.

Die Lehman-Pleite von Wien
Wie konnte es zum Crash von 1929 und zur Großen Depression kommen? Welche Schlussfolgerungen müssen daraus gezogen werden? Sind wir klüger geworden, um Finanzkrisen zu verhindern? Damit beschäftigt sich Eichengreens neues Standardwerk der Wirtschaftskrisen-Geschichte.

Barry Eichengreen: Die großen Crashs 1929 und 2008. Warum sich Geschichte wiederholt. FinanzBuch Verlag München, 560 Seiten, Hardcover, 36 Euro.

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