"Elf EU-Kommissare reichen vollkommen"

Kolm: Ein Markt, rivalisierende Regionen und eine schlanke EU dazu.
"Europa war immer dann stark, wenn es fragmentiert war", sagt Barbara Kolm, Kämpferin für eine liberale Wirtschaft.

30 Städte in acht Wochen: Von Skandinavien in die Türkei, von Spanien zur Ukraine tourte die "Free Market Roadshow 2014" quer durch Europa, um die Trommel für freie Marktwirtschaft zu rühren und über die EU zu diskutieren. Barbara Kolm, die mit der Denkfabrik Austrian Economics Center die Tour seit 2008 organisiert, schilderte dem KURIER ihre Eindrücke.

So sei im Baltikum spürbar, wie sehr die Menschen vor dem russischen Nachbarn zittern. Länder wie Frankreich hindere das nicht, Kriegsgerät an Moskau zu verkaufen. Europa sei eben nicht so weit, nationale Interessen für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hintanzustellen. Kolms Ideal: "Ein Europa der Regionen, die im Wettbewerb stehen. Europa war immer am stärksten, wenn es fragmentiert war; wenn die Märkte größer als die Landesgrenzen waren." Ein Signal für schwächelnde Nationalstaaten sieht die Anhängerin freier Märkte darin, dass sich Regionen von Katalonien bis Schottland abspalten wollen. "Das zeigt, wie unzufrieden die Menschen mit ihren Hauptstädten sind, weil die Umverteilung ein unerträgliches Ausmaß erreicht hat."

Euro mit Golddeckung?

Auch bei der EU fürchtet sie Tendenzen in Richtung Superstaat. So seien etwa die 28 EU-Kommissare eindeutig zu viele: "Dadurch werden Aufgaben kreiert, wo gar keine sind. 11 oder 12 Kommissare könnten die Arbeit auch erledigen."

Falsch lag Kolm mit ihrer Prognose, der Euro werde scheitern: "Ich habe die politische Hartnäckigkeit unterschätzt." Ihre Kritik bleibt aufrecht: Europa habe die Chance verpasst, die einzige wertgedeckte Währung zu schaffen. Ein Euro mit Goldstandard. Würde das nicht die Exporte und Kreditvergabe abwürgen? Kolm: "Ich sage nicht, dass das einfach wäre. Aber man sollte Unkonventionelles durchdenken."

KURIER: Was ist die EU? Was sollte sie sein?

Barbara Kolm: Das Friedensprojekt der EU-Gründerväter ist wichtiger denn je, siehe Ukraine. Allerdings spricht die EU mit gespaltener Zunge: Die Franzosen verkaufen Kriegsgerät an die Russen, während die Menschen auf dem Baltikum vor dem mächtigen Nachbarn zittern. Europa muss erwachsen werden.

KURIER: Woran scheitert das? Nationale Interessen? Hilflosigkeit gegenüber Putin?

Kolm: Starke Nationalstaaten und eine starke EU schließen einander aus. Mein Ideal wäre deshalb ein Europa der Regionen, die im Wettbewerb stehen. Europa war immer am stärksten, wenn es fragmentiert war; wenn die Märkte größer als die Landesgrenzen waren.

KURIER: Offene Märkte und Handel erzeugen aber auch Abhängigkeit – in guten wie schlechten Zeiten. Siehe EU und Russland.

Kolm: Darum sage ich: Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik werden wir noch lange nicht schaffen. Warum konzentrieren wir uns nicht auf die Aufwertung der Regionen und setzen den gemeinsamen Binnenmarkt völlig um?

KURIER: Woran mangelt es da noch?

Kolm: Vor 20 Jahren wurden wichtige Schritte zur Öffnung der Märkte gemacht und die alten Monopole im Telekom- oder Energiebereich aufgebrochen. Jetzt schwingt das Pendel in Richtung Regulierung. Der EU-Emissionshandel allein hat den Unternehmen in den ersten drei Jahren 93 Milliarden Euro Zusatzkosten verursacht. Das belastet die Wirtschaft und wird auf den Konsumenten abgewälzt. Das könnte man sich sparen.

KURIER: Die Überverwaltung ist ein Mythos der EU-Gegner: Das EU-Beamtenheer ist kleiner als in den meisten Staaten, das EU-Budget macht nur 1 Prozent von Europas Wirtschaftsleistung aus.

Kolm: Stimmt, es gibt hoch qualifizierte Beamte, die hervorragende Arbeit leisten. Aber wozu braucht es 28 Kommissare, für die es gar nicht genügend Geschäftsbereiche gibt? Es werden Aufgaben kreiert, wo keine sind, um Positionen zu rechtfertigen. 11, 12 Kommissare könnten die Arbeit auch erledigen. Das EU-Budget ist relativ gering, aber ich sage: Gar nicht erst in diese Richtung starten. Wir dürfen nicht bei einem EU-Superstaat landen, der großzügig umverteilt, wo schon die Umverteilung auf nationaler Ebene am Limit ist. Kein Wunder, wenn sich Regionen abspalten wollen – siehe Italien mit der Lombardei und Venetien, siehe Katalonien in Spanien, siehe das Votum der Schotten.

KURIER: Separatismus, ein Zeichen schwächelnder Nationalstaaten?

Kolm: Ein Signal der Unzufriedenheit gegenüber der jeweiligen Hauptstadt, weil die Umverteilung ein Maß erreicht hat, das für die Menschen der jeweiligen Region nicht mehr attraktiv ist.

KURIER: Wären die Schotten alleine überhaupt wirtschaftlich überlebensfähig?

Kolm: Wenn sie Zugriff auf das Nordseeöl erhalten, dann sicher.

KURIER: Ist nicht die Lehre aus der Krise, dass ein gemeinsamer Markt starke überstaatliche Strukturen braucht – siehe Bankenunion, siehe Fiskalpakt? Die Disziplinierung durch die Marktkräfte hat jedenfalls offenkundig nicht funktioniert.

Kolm: Die Maastricht-Kriterien wären absolut positive Vorgaben gewesen, das stimmt. Sie wurden aber leider gebrochen, zuerst von Deutschland, dann von Frankreich.

KURIER: Die EU als Zuchtmeisterin der Nationalstaaten?

Kolm: Absolut, ja. Das treibt die Staaten voran.

KURIER: Es ist aber nichts, was die Menschen zu glühenden Europäern macht oder an die Urnen treibt.

Kolm: Darum ist die EU ja so unbeliebt. In Madrid oder Athen gibt es nicht die Einsicht: „Wir müssen sparen, weil wir über die Verhältnisse gelebt haben und unser Haus aufräumen müssen.“ Sondern: Wir müssen, weil die Bösen in Brüssel uns das sagen.

KURIER: Wie wollen Sie die EU dann zu einem Herzensanliegen machen? Der Binnenmarkt spricht bestenfalls das Hirn an.

Kolm: Die Menschen haben das Vertrauen verloren, das lässt sich nur mit Transparenz und wirtschaftlichem Aufschwung wiedergewinnen. Das EU-Parlament gehört aufgewertet. Es wurde durch den Lissabon-Prozess gestärkt, ist aber immer noch ein zahnloser Tiger. Dazu gehört aber alles offengelegt – vom Abstimmungsverhalten der Parlamentarier bis zu den Kosten.

KURIER: Braucht es nicht für eine funktionierende Währungsunion jedenfalls eine enge Koordinierung, wenn nicht gar Fiskalunion?

Kolm: Gegenfrage - kam die Währungsunion vielleicht zu früh oder war sie schlecht durchdacht? Ich stehe dem Euro weiterhin kritisch gegenüber. Wir sollten eine Währung haben, die durch feste Werte gedeckt ist.

KURIER: Das ist eine Kritik an allen Fiat-Währungen, nicht am Euro.

Kolm: Es hätte die Möglichkeit gegeben, mit dem Euro etwas Eigenständiges, Neues zu schaffen.

KURIER: Der Euro als einzige Goldstandard-Währung? Das wäre nicht nur die härteste Währung der Welt, es würde jegliche Exporttätigkeit ersticken. Und es würde die Kreditvergabe und damit die Wirtschaftstätigkeit strangulieren.

Kolm: Ich sage nicht, dass das einfach ist und die einzig seligmachende sofortige Lösung wäre. Aber man sollte Unkonventionelles durchdenken. Sonst landet man bei Angela Merkels Aussage: „Es gibt keine Alternative zum Euro.“ Damit tut sie dem deutschen Steuerzahler nichts Gutes.

KURIER: Es gibt den Euro aber immer noch.

Kolm: Ja, da habe ich mich geirrt. Ich habe die politische Hartnäckigkeit unterschätzt.

KURIER: Man könnte auch sagen: Der Euro war gefestigt genug, um solche Stürme zu überstehen.

Kolm: Aber zu welchem Preis? Wir schaffen es ja nicht einmal in Österreich unser Budget in Ordnung zu bringen oder strukturelle Reformen umzusetzen. Mit dem ESM wurde die nationale Umverteilung jetzt teilweise auf die europäische Ebene gehoben.

KURIER: Man könnte den ESM auch als Europäischen Währungsfonds sehen. Umverteilung oder eine Fiskalunion findet dadurch noch nicht statt.

Kolm: Dann müsste man den ESM aber anders ausgestalten.

KURIER: Haben Sie Sympathien für die britische Position? Den Markt nehmen wir gerne, sonst hätten wir gerne Kompetenzen von der EU zurück?

Kolm: Das ist zweischneidig, die Briten könnten in „splendid isolation“ landen. Aber sie haben es geschafft, ihren Rabatt zu wahren und überweisen weniger nach Brüssel als die anderen. Und der Finanzstandort London kommt ungeschoren davon. Kompliment, die Briten haben ihre Interessen gewahrt – auf Kosten der anderen.

KURIER: Klingt nicht nach großen Europäern.

Kolm: Das waren die Briten nie. Aber wenn wir erwarten, dass wir alles aus einem Guss haben werden, lügen wir uns in die Tasche. Europas Stärke ist die Diversität, die vielen Sprachen, die unterschiedlichen Ideen. Nur muss man den Wettbewerb untereinander zulassen.

KURIER: Braucht es da nicht Minimalstandards, auch bei Steuern? Sonst gibt es einen verzerrten Wettbewerb - und Nullbesteuerung kann wohl auch nicht das Ziel sein.

Kolm: Wer hindert Österreich, ein einfaches, attraktives Steuersystem zu beschließen und die Körperschaftsteuer und Einkommensteuer zu reduzieren? Dann würden viele Unternehmen sehr gerne bleiben.

KURIER: Trotzdem werden wir nicht bis auf 12,5 oder 10 Prozent Unternehmenssteuer runterkommen wie Irland oder Zypern.

Kolm: Wenn ich die Staatsaufgaben reduziere, kann ich mir das leisten. Klein und fragmentiert, das war vom Mittelalter aufwärts und sogar noch nach dem Wiener Kongress Europas Erfolgsgeheimnis. Wenn ein Nachbarstaat bessere Konditionen bot, ist der Unternehmer dorthin gewandert.

KURIER: Eine seltsame Vorstellung: Mit Kleinstaaterei und Strukturen wie zur Zeit der Hanse soll man im Zeitalter der Globalisierung Erfolg haben?

Kolm: Wer sind die erfolgreichsten Länder der Welt? Singapur und Hongkong – Kleinstaaten mit attraktiver Wirtschaftspolitik, niedrigen Steuersätzen, wenig Korruption. Sie haben das größte BIP pro Kopf und intelligente Dienstleistungsprodukte.

KURIER: Sie haben aber auch die großen asiatischen Wachstumsmärkte vor der Tür. Ein Europa des Wettbewerbs spricht die Herzen eher wenig an. Deshalb wird mit einem sozialeren Europa geworben.

Kolm: Sozial heißt aber nicht umverteilen, sondern solidarisch sein und Eigenverantwortung zulassen. Wir haben vergessen, dass Solidarität in der Nachbarschaft und Familie gelebt werden kann. Das haben wir an den Staat ausgelagert, der uns dafür das Geld aus der Tasche zieht. Ich glaube, jeder weiß selbst am besten, was er mit seinem Geld tun sollte. Für jene, die sich nicht selber helfen können, stehen wir natürlich in Haftung. Aber die Mehrheit der Menschen sollte imstande sein, sich selbst zu helfen. Alles andere ist eigentlich entwürdigend.

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