Russlands Wirtschaft trotzt dem Westen

Russlands Wirtschaft trotzt dem Westen
Als Reaktion auf die Sanktionen sucht Russland neue Geldgeber in Asien und arabischen Ländern.

Die EU- und US-Sanktionen zeigen Wirkung – aber anders als erhofft: Russlands Wirtschaft koppelt sich vom Westen ab. So kündigte Sberbank, das größte russische Finanzinstitut, am Montag an, neue Bankomatkarten auszugeben. Weil die globalen Marktführer MasterCard und Visa Transaktionen russischer Banken gestoppt hätten, weite man das eigene Zahlungssystem Pro100 aus.

Schon im März hatte Kreml-Chef Wladimir Putin – als Reaktion auf die ersten US-Sanktionen – ein solches System beauftragt. Seitdem habe man 800.000 Karten hergestellt, die in ganz Russland akzeptiert würden.

Asiatische Anbieter wie das Japanese Credit Bureau (JCB) brennen ebenfalls darauf, den Riesenmarkt vor der Tür zu erobern. Union PAY, ein Zusammenschluss chinesischer Großbanken, rühmt sich, seine Karten würden in 140 Ländern akzeptiert.

Ist Russland gar nicht auf den Westen angewiesen? Der versperrte Zugang zu den Finanzmärkten sollte Moskau kurzfristig schmerzen. Immerhin müssen vier von Sanktionen betroffene Großbanken (VTB, Sberbank, VEB, Gazprombank) laut Bloomberg in den nächsten drei Jahren 15 Milliarden Dollar Altschulden neu finanzieren. Die Sanktionen erschweren zwar den Zugang zu frischem Geld, schreibt die Ratingagentur Moody’s. Eine Zahlungsunfähigkeit stehe aber nicht vor der Tür: "Die meisten Banken und Unternehmen haben gefüllte Geldpuffer."

Kredite aus China

Und sie orientieren sich um: Vor Wochen starteten die Banken Werbetouren, um Investoren etwa in Hongkong und Südkorea zu überzeugen.

Die Öl- und Gaskonzerne nahmen im ersten Halbjahr 2014 nur noch 2,6 Mrd. Euro Kredit bei westlichen Banken auf – um 82 Prozent weniger als im Jahr davor. Dafür gingen mit einem langfristigen Energiedeal in China üppige Kreditzusagen einher: Rosneft darf auf 11,1 Mrd. Euro, Transneft auf 7,4 Mrd. Euro hoffen. Und auch die Araber springen gerne in die Bresche: Abu Dhabis Staatsfonds Mubadala hat zugesichert, fünf Milliarden Dollar in russische Infrastruktur zu stecken.Dass Russland kürzlich mit Brasilien, Indien, China und Südafrika eine eigene Entwicklungsbank gegründet hat, passt ins Bild: Es ist ein Schuss vor den Bug für IWF und Weltbank, wo die USA und die EU dominieren.

In Russland schüren die Sanktionen patriotische Gefühle. "Was wir brauchen, können wir auf anderen Märkten suchen", sagte der Botschafter in Wien, Sergej Netschajew, im Ö1-Interview. Russland werde am Ende gestärkt und selbstständiger sein.

Pleite ist Moskau nicht so rasch. "Wenn Russland dazu entschlossen ist, hält es das sehr lange durch", sagt Christian Helmenstein von der Industriellenvereinigung. Ins Wanken geriete das Budget nur, wenn die Öl- und Gas-Einnahmen versiegen. Davor scheut Europa aber zurück, weil es das Gas braucht.

Helmenstein befürchtet, dass der Schaden die Sanktionen überdauern wird: "Wenn sich Russland in Richtung China umorientiert, lässt sich das nicht mehr umkehren."

Auch wenn es am Montag an einigen Börsen Europas wieder leicht aufwärts ging, der Trend zeigt zumindest für die nächsten Wochen nach unten. Zu unsicher ist die politische Lage im Nahen Osten bzw in der Ukraine bzw. die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland. Hinzu kommen maue Konjunkturdaten und teils schlechte Unternehmenszahlen (z. B. von adidas). „Die Stimmung ist weiter mau, viele rechnen mit einer baldigen Wiederaufnahme der Talfahrt“, sagte ein Aktienhändler.

In der Vorwoche büßte der Frankfurter DAX 4,5 Prozent auf 9210 Punkte ein. Das war ein Rückgang wie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr. Noch Anfang Juli lag der Index über der 10.000-Punkte-Marke. Nun dürfte er sich eher an der 9000er-Linie orientieren. „Deutschland hat im Zusammenhang mit den Sanktionen am meisten zu verlieren“, meint Phoebus Theologites von SteppenWolf Capital. Am Wochenende meldete bereits Daimler, dass sich die Krise beim Absatz bemerkbar mache.

„Auf eine schnelle Gegenbewegung zu setzen, erscheint riskant“, sagt Frank Weingarts, Experte bei UniCredit onemarkets. Viele Konzerne würden nun schon das zweite Quartal in Folge Schwächen beim Umsatz- und Gewinnwachstum zeigen.

Sanktionen, welche Sanktionen? Österreichs Emailschmuck-Hersteller FreyWille setzt seine Russland-Expansion munter fort. Am Dienstag wird ein neuer Shop im Moskauer Einkaufstempel Metropolis eröffnet. Es ist bereits das 20. Geschäft des heimischen Exportkaisers in Russland und schon bald sollen weitere Standorte – etwa in Wladiwostok – folgen.

„Ich gehe nicht davon aus, dass wir durch die Sanktionen ein Problem bekommen werden“, sagt Firmenchef Friedrich Wille zum KURIER. „Wir glauben an Russland und werden dort weiter investieren.“ Die Wirtschafts-Sanktionen hält er für falsch: „Russland braucht Europa und Europa braucht Russland. Sollte die politische Lage eskalieren, wird die ganze Weltwirtschaft zittern“, ist Wille überzeugt.

Kernmarkt

Russland ist für FreyWille einer der wichtigsten Märkte, 120 der 650 Mitarbeiter werden dort beschäftigt, rund 30 Prozent des Umsatzes wird mit russischen Kunden erwirtschaftet. Die schwierige wirtschaftliche Lage des Landes bekomme er auch als Luxusartikel-Hersteller zu spüren, erzählt Wille, allerdings weniger in Russland selbst als in Wien, wo die betuchte russische Klientel vermehrt ausbleibt.

Weniger gut läuft es auch in der Ukraine, wo FreyWille zwei Shops in Kiew und einen in Odessa betreibt. Seit Ausbruch der Krise habe man ein Viertel der Kundschaft verloren. Zusperren ist trotzdem kein Thema: „Wir haben unsere Shops auch während des Umsturzes offengehalten, das hat sich als richtig erwiesen.“ Rückgänge gäbe es vor allem am Flughafen, weil weniger Passagiere nach Kiew fliegen. Und Odessa? „Odessa wird als Einkaufsstadt davon profitieren, dass die Krim jetzt zu Russland gehört“, glaubt der Firmenchef.

Die indirekten Auswirkungen der Ukraine-Krise, vor allem die Konsumflaute, bekommt auch die heimische Immobiliengesellschaft Immofinanz zu spüren, an einen Strategiewechsel denkt Vorstandschef Eduard Zehetner deshalb noch nicht. „Wir investieren weiter, vor allem in Moskau und dem Moskauer Umfeld“, sagte Zehetner bei der Bilanz-Pressekonferenz.

Konkret nannte er Pläne für Einzelhandels- und Logistik-Immobilien entlang der neuen Stadtautobahn, die das Umfeld mit der russischen Hauptstadt verbindet: „Im Moskauer Umfeld liegen zirka 200 Städte mit einer Einwohnerzahl zwischen 15.000 und 200.000, da gibt es viel Potenzial für Einkaufszentren“, erläutert Zehetner. Durch die aktuelle Krise werde es aber schwieriger, die Projekte zu realisieren.

Wichtiger Markt

Für Immofinanz ist Russland ein wichtiger, aber schwieriger Markt. 25 Prozent des gesamten Immobilienvermögens entfällt auf das Land, den Netto-Verlust bei einem Totalausfall von Russland bezifferte Zehetner auf 12,5 Prozent. Aufgrund der Krise musste das russische Portfolio zwar massiv abgewertet werden, der Anstieg des Euro gegenüber dem Rubel machte diesen Effekt aber mehr als wett, sodass sich das sonstige Bewertungsergebnis sogar verbesserte. Einen Rückschlag gab es mit dem Shopping Center Goodzone in Moskau. Weil der Generalunternehmer pleiteging, wurde das Center viel später eröffnet als geplant und die Immofinanz fiel um Mieterlöse um.

Das Ergebnis der Immobilienentwicklung hat sich dadurch im Geschäftsjahr 2013/’14 weiter auf –39,9 Mio. Euro verschlechtert. Das operative Ergebnis sank um 19,5 Prozent auf 319 Mio. Euro, als Konzernergebnis weist die Immofinanz 180 Mio. Euro aus (+62,8 Prozent).

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