Aus Appetitverderbern gelernt
Blutschokolade und Läusejoghurt. Das waren die – längst widerlegten – Schauermärchen über die Warenfreiheit in der EU in den 90er-Jahren. Heute wissen wir: Die Horrorgeschichten der EU-Gegner wären nicht nötig gewesen. Die echten Lebensmittel-Skandale sind schockierend genug, sie hören auf Namen wie BSE, Analogkäse, Dioxin, Listerien, Sägespäne-Joghurt oder, aktuell, Pferdeburger. Die Bilder torkelnder vom Rinderwahnsinn befallener Tiere haben sich ins Gedächtnis der Konsumenten eingebrannt.
Diese Skandale treffen alle. Die Handelsketten, die Millionenstrafen zahlen müssen – ein Diskonter wurde kürzlich wegen des Listerien-Skandals zu 1,5 Millionen Euro-Geldbuße verurteilt –, die Nutztiere natürlich, die zu Tausenden notgeschlachtet werden müssen, aber vor allem die Verbraucher. Denn Essen in Europa kann mitunter lebensgefährlich sein. Sieben Menschen starben an den Folgen der Lebensmittelvergiftung durch Listerien-Quargel.
Bei vielen Skandalen geht es um die Langzeitwirkung, ausgelöst durch falsche Angaben zu einer Ware, die Natürlichkeit oder feine Qualität vortäuscht. „Die Gefahr der Irreführung wird unterschätzt“, sagt Konsumentenschützerin Birgit Beck vom VKI. Erklärung: „Das Hauptrisiko für unsere Gesundheit ist die Fehlernährung, zu salziges und zu fettes Essen.“
Peak Meat
Geht man die Skandal-Chronik durch, dann bereitet Fleisch die größten Probleme, sei es als „Gammel-Fleisch“, als „Schimmel-Schinken“, als wieder in Verkehr gebrachte Geflügelabfälle oder indirekt, durch verseuchtes Tierfutter. Für Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler www.futurefoodstudio.at keine Überraschung: „Fleisch steht am Ende der Nahrungskette und daher im Fokus“, sagt die Trendforscherin. Sie sieht allerdings den „Peak Meat“, den Zenit des Fleischkonsums in Europa, erreicht. „Bei den unter 40-Jährigen ist Fleisch seit etwa zehn Jahren nicht mehr die Lieblingsspeise.“ Die Bewegung der Flexitarier (Teilzeitvegetarier, die gelegentlich fleischfrei essen, Anmerkung) zeige deutlich, „dass eine Generation nachkommt, die sagt ,Es muss nicht immer Fleisch sein‘. Den Nimbus des Seltenen und Edlen hat das Fleisch verloren.“ Für diese qualitätsbewusste Generation gebe es eine „moralische Untergrenze“ beim Fleisch-Preis.
Es klingt abwegig, aber die Lebensmittelqualität und -sicherheit in Europa ist wegen der aufgeflogenen Malversationen besser geworden. Der BSE-Schock führte zu einer besseren Kennzeichnung und Registrierung der Rinder (Ohrenmarke); nach dem Skandal um Analogkäse – 2009 tauchte Käse aus Pflanzenöl auf –, führte der VKI den Lebensmittelcheck ein (www.konsument.at). Zwei Mal pro Woche wird überprüft, ob der Inhalt hält, was das Etikett verspricht. Der Weinskandal von 1985 wird heute als Segen angesehen, „weil sich die Weinbauern neu erfinden musste. Heute ist der Weinbau international und qualitätsorientiert“, sagt Rützler. Schwarze Schafe werde es immer geben.
Und die Zukunft? „Der nächste Trend ist das Produkt selbst. Nach dem Produktionsverfahren (Bio, Anm.) und der Herkunft (Region) rücken Eigenschaften und Geschichte ins Zentrum.“ Eine Chance für Mangalitzaschwein, Schneebergrind und Co.
Der Unterschied zwischen Original und Imitat sind selbst für Experten oft nicht immer einfach feststellbar. Dennoch: "Mogelpackungen" in der Nahrungsmittelbranche sind beileibe keine Einzelfälle. In den vergangenen Jahren gab es in Europa immer wieder Aufregung um Produkte, die nicht das enthielten, was ihre Erzeuger versprachen.
Im Spätsommer 2006 überschattete der "Gammelfleisch"-Skandal den halben Kontinent. Vor allem in Deutschland wurden hunderte Tonnen verdorbenes Fleisch sichergestellt. Mehrere Tonnen gelangten auch über die Grenze nach Österreich und wurden - zumindest teilweise - verzehrt. Kriminalisten beschlagnahmten besonders in Bayern große Mengen Fleisch, die umetikettiert und bei denen die Haltbarkeitsdaten geschwärzt bzw. überklebt worden waren.
Anfang 2009 startete die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) eine Schwerpunkt-Untersuchung zum Thema "Analogkäse". Dabei handelte es sich um Produkte ohne echte Milch. Bei der Inhaltsangabe muss nämlich der am meisten verwendete Bestandteil zuerst genannt werden, die restlichen folgen in absteigender Reihenfolge. Typische Angabe für einen unechten Käse: Wasser, Fett, Eiweißerzeugnis, Stärke usw. Bei echtem Käse beginnt die Aufzählung mit Roh- bzw. pasteurisierter Milch. Achten sollte man diesbezüglich auf die Angabe "F.i.T." für "Fett in Trockenmasse", die nur für Milchprodukte verwendet werden darf. Besonders wichtig: Wenn auf der Zutatenliste Milch nicht als erster Bestandteil angeführt wird, handelt es sich nicht um echten Käse.
Etwa zur selben Zeit tauchte auch der Begriff "Schummelschinken" auf der Bildfläche auf. Dabei handelt es sich um Schinken mit zu hohem Wasseranteil und zu vielen beigemengten Bindemitteln. Das im Großhandel als "Pizzablock" bekannte Lebensmittel ist laut Konsumentenschützern keineswegs gesundheitsschädlich, sollte jedoch nicht als Schinken bezeichnet werden dürfen.
Juli 2009: Der Verein für Konsumentenschutz (VKI) testete in Supermärkten Zitronensäfte, Fleischprodukte, Erdbeerjoghurt, Pesto, Garnelen und Schafskäse - mit teils erschreckenden Ergebnissen. Denn sowohl bei Billig- als auch für Markenprodukte stellte sich heraus, dass der Inhalt nicht notwendigerweise mit den Versprechungen auf der Verpackung übereinstimme. So bestanden die angepriesenen Garnelen zum Teil vollständig oder zu einem großen Prozentsatz aus Surimi.
Probleme machten auch Chicken Nuggets, Schnitzel oder Rindsrouladen. Die Fertig-Produkte bestanden nämlich aus Formfleisch. Und das entsteht so: Geschnittenes, walnussgroßes Muskelfleisch wird gewürzt, bevor es unter Druck in Form zu einem scheinbar natürlich gewachsenen Fleischstück zusammengefügt wird. Auch hier monierten die Verbraucherschützer: Diese Produkte seien nicht gesundheitsschädlich, doch führe die viel zu kleine Kennzeichnung und die damit verbundene mögliche Täuschung die Konsumenten in die Irre.
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