Was Hunde wollen

Was Hunde wollen
Echte Knochenarbeit: Der "Hundeprofi“ ist demnächst in Österreich. Am Samstag startet die neue Staffel auf VOX.

Die Wiener Stadthalle ist seit Monaten ausverkauft. Das war sie auch 2011, als Hundetrainer Martin Rütter mit seinem Programm „Hund-Deutsch, Deutsch-Hund“ bei uns gastierte. Ende November kommt er mit „Der tut nix!“ nach Wien, Linz, Graz. Der Andrang war so groß, dass bereits fünf weitere Termine organisiert wurden. Was hat dieser Mann – 43, vierfacher Familienvater und kreuznormal –, das Hundehalter wie Nicht-Hundemenschen gleichermaßen anspricht? Der KURIER traf ihn vor seiner Show in Quakenbrück. Am Ende entschuldigt er sich: Er müsse noch rasch vorm Auftritt ans Telefon, Ehefrau und Kinder warten täglich um 19 Uhr daheim in der Küche auf seinen Anruf.

KURIER: Herr Rütter, leben wir in einer Hundewelt? In Österreich gewann ein Border Collie bei „Die große Chance“.
Martin Rütter: Das ist auch in Deutschland passiert. Der Jack Russell Terrier Prima Donna hat 2009 „Das Supertalent“ gewonnen. Für uns Hundetrainer war das, was er vorgeführt hat, eher profan. Ein bisschen „Dog Dancing“, eine Rolle um den Kopf. Ganz ehrlich: nichts Weltbewegendes. Wir fanden es dennoch schön, weil es den Stellenwert des Hundes in der Gesellschaft dokumentiert hat.

Genau um diesen Stellenwert dreht sich die Diskussion: Warum gewinnt ein Hund? Und nicht die Kinder oder Künstler?
Das ist ein mitteleuropäisches Phänomen. In Deutschland sagen die Fernsehmacher: Wenn du bei einer Sendung nicht sicher bist, ob’s gut geht, nimm mindestens einen Hund und ein Kind dazu, dann schaltet keiner weg.

Gibt es dafür eine Erklärung?
Erstens die, dass der Hund den Menschen seit 14.000 Jahren begeistert. „Lassie“ hatte in den Glanzzeiten höhere Einschaltquoten als Reden des Präsidenten. Derzeit kommt noch hinzu, dass sich die Menschen in ihren eigenen Bereich zurückziehen. Während der Wirtschaftskrise haben einige Branchen geboomt: Baumärkte, Tiefkühlpizza, Bier und Haustiere. Weil die dazu beitragen, dass man sich wenigstens daheim wohlfühlt. Außerdem spielt die Technisierung eine Rolle. In einer Zeit, in der man Freunde auf Facebook und nicht auf dem Spielplatz hat, sind Hunde ein willkommener Partner und Türöffner.

"Ich werde von Männern häufig abgelehnt, weil die keine Lust auf die Erziehungsgeschichten haben.“

Das klingt fast krank. Der Hund als Retter vor der Einsamkeit, als emotionaler Lückenbüßer?
Das ist mit Sicherheit ein Aspekt. Dennoch glaube ich nicht, dass Hunde inzwischen eine krankhafte Stellung einnehmen. Die Leute sind nicht so verrückt, dass sie nur noch mit Hunden klarkommen. Vor Kurzem hat mir ein Freund eine Spiegel-Ausgabe von 1974 geschenkt. In der Coverstory über Hunde wird schon damals diskutiert, ob jetzt alle bekloppt sind, weil der Pudel ein Krönchen frisiert bekommt.

Dennoch ist die aktuelle Wahrnehmung, dass die Hunde überhandnehmen. Auch Ihre Show „Der tut nix“ steht im zweiten Teil unter dem Motto: Hunde übernehmen die Städte. Gibt es so viele Hunde wie nie?
Rein von den Zahlen her nicht. Doch die Räume haben sich verschoben. Probleme gab’s auch früher. Aber wenn der Schäferhund auf dem Land den Postboten anbellt, kriegt er eine mit der Zeitung. Wenn ein Hund im Prater zwei Fußgänger anbellt, haben wir sofort ein gesellschaftliches Problem.

Und das nächste Problem haben wir, wenn ein Hundehalter die „Hundstrümmerln“ nicht beseitigt. Wie reagieren Sie, wenn Sie es sehen?
Ich ärgere mich sehr und sage das auch. Ich bin nicht bereit, mitten im Wald einen Kötel wegzuräumen. Aber wenn’s auf dem Gehweg passiert, muss ich es entsorgen.

Wie stehen Sie zu Geldstrafen?
Ich glaube, es funktioniert wie beim Schnellfahren: Erst als es richtig teuer wurde, bin ich langsamer gefahren. Ich bin ein Fan davon, dass man die Strafe ans Einkommen anpasst, also etwa: Einmal nicht wegräumen kostet zehn Prozent vom Monatsgehalt. Das soll echt weh tun, denn es ist eine Sauerei, vor allem gegenüber denjenigen, die es sehr wohl tun. Die meisten räumen es ja weg. So wie auch meisten Leute ihren Hund nicht den Joggern hinterherhetzen. Es sind immer einige wenige, die Negativstimmung produzieren.
Glauben Sie, dass ein toleranter Umgang zwischen Hundehaltern und Nicht-Hundebesitzern überhaupt möglich ist?
Ja, wenn beide Seiten ein bisschen dazu beitragen. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn ein Jogger sagt: „Können Sie bitte den Hund anleinen?“ Nicht aber, wenn er brüllt: „Köter anleinen!“ Das ist unverschämt und aggressiv. Umgekehrt erwarte ich von jedem Hundehalter, aktiv dafür zu sorgen, dass kein Jogger oder Fußgänger oder Radfahrer genervt wird.

Können Ihre Shows und TV-Sendungen zur Toleranz beitragen?
Bei den Sendungen haben wir 50 Prozent Nicht-Tierbesitzer, die haben nicht einmal ein Meerschweinchen. Nur 30 Prozent aller „Hundeprofi“-Zuseher haben einen Hund. Hier in der Show werden heute Abend etwa 30 Prozent Zuschauer sein, die keinen Hund haben.

Warum ist das so?
Weil inzwischen alle verstanden haben, dass es um Beziehungen geht. Ich habe eine sehr bildhafte Sprache, und so entstehen im Kopf Bilder, die auf Kindererziehung ebenso übertragbar sind wie auf Paarbeziehungen.

Mag sein. Aber ist Rütter nicht auch Beziehungssprengstoff?
Immer! Ich weiß, dass sich die Leute noch Monate nach der Show anstupsen und sagen: „Mensch, der Rütter hat doch gesagt, das sollst du nicht!“ Und um einiges derber geht es dann zur Sache, wenn Kunden mich persönlich buchen, denn die haben meist schon drei, vier Hundeschulen erfolglos besucht und einen enormen Leidensdruck. Bei denen knirscht es oft gewaltig.

Wie äußert sich das?
Sagen wir so: Ich werde von Männern häufig abgelehnt, weil Männer keine Lust auf diese Erziehungsgeschichten haben. Wenn also die Frau mitmacht, der Mann aber nicht, orientiert sich der Hund sehr schnell an der Frau. Und das irritiert wiederum den Mann. Männer denken bei einem Hund: „Wenn der mir blöd kommt, ruck ich mal an der Leine.“ Frauen sind kommunikativer. Sie möchten Dinge lösen, darüber reden, nachdenken.

Sind das Mann-Frau-Vorurteile auf Basis billiger Biologismen?
Das ist kein Macho-Gerede. Männer brauchen einen höheren Leidensdruck, das ist biologisch begründbar.

Haben Sie ein Beispiel aus der Praxis?
Es ist nicht lange her, da wurde ich zu einer Familie mit einem Rhodesian Ridgeback gerufen. Ich habe dort gesagt: „Meine Prognose ist, dass der Hund eure Kinder beißen wird. Das ist nicht lustig, da müsst ihr etwas ändern.“ Die Frau hat daraufhin gesagt: „Was können wir ändern?“ Der Mann hat gesagt: „Wenn er mein Kind beißt, fliegt er raus.“

Wenn Männer null Talent für Beziehungsfragen haben, wie können dann ausgerechnet Sie – ein Mann – die Beziehungsprobleme zwischen Mensch und Hund so erfolgreich aufzeigen?
Also wenn ich bei so Tests in Zeitschriften mitmache, kommt meistens raus: Entweder Sie sind eine Frau oder
homosexuell. Es ist völlig verrückt. Ich bin auch öfter in Fernsehshows, wie zum Beispiel „Typisch Frau – Typisch Mann“. Da fällt auf, dass ich relativ rasch eine weibliche Denkstruktur entwickle.

"Wenn ich bei Tests in Zeitschriften mitmache, kommt raus: Entweder Sie sind homosexuell oder eine Frau."

Was haben Sie noch, das andere nicht haben?
Ich kann gut beobachten. Menschen und Hunde. Meine Stärke ist es, schnell zu analysieren, was da gerade passiert, und darauf einen Trainingsplan aufzubauen. Verspielt bin ich nicht so sehr. Es gibt sicher Trainer, die einem Hund schneller Tricks beibringen können als ich.

Was geht in einem Hund vor, wenn er Sie kennenlernt?
Er kriegt ganz schnell mit: „O.k,, der versteht mich.“ Und das entspannt ihn. Das Blöde ist nur, dass er mit jemandem zusammenlebt, der ihn im Moment noch nicht ganz versteht, also beginnt der Hund, sich an mir zu orientieren, und dann kommt Frust beim Kunden auf. Daher trainiere ich Hunde so wenig wie möglich selbst, ich leite nur an.

Ist es ein Gag, dass Sie sogar in der Sauna von einer Hundebesitzerin angesprochen wurden?
Das ist tatsächlich passiert. In Schladming im Skiurlaub. Die Dame hat begonnen mit: „Herr Rütter, ich weiß, es ist gerade schlecht, aber ...“ Ich bin auch schon pinkelnd neben Männern am Pissoir gestanden, guckt einer rüber und sagt: „Ich weiß, es ist jetzt echt schräg, aber ich hab’ eine Frage zu meinem Hund ...“

Und kriegt der eine Antwort?
Nicht in der Sekunde. Aber er kriegt seine Antwort.

Ist es schwieriger, mit Promis zu arbeiten als mit unbekannten Hundehaltern?
Die ersten Promis haben nicht geglaubt, dass wir’s ernst meinen. Die dachten: „Och, geil, ein Promi-Format. Der Rütter kann mal meinen Hund trainieren, und ich erkläre, wie meine neue CD klingt.“ Da gab es Momente, in denen es schwierig wurde. Ich glaube, das Wichtigste war, dass ich sie behandelt habe wie alle anderen. Es darf nie der Eindruck entstehen, sie bekämen eine Extrawurst.

Zurück zum eingangs erwähnten Border Collie Esprit. Was sagen Sie, wenn Menschen – inspiriert durch die TV-Sendung – unbedingt so einen Hund wollen?
Ich sage sehr deutlich: Klar kann der Border Collie ein ganz toller Hund sein. Aber wenn Sie nicht die Zeit haben, den Hund drei Mal am Tag für mindestens eine Stunde zu trainieren, werden Sie nicht glücklich. Und, versprochen: Der Hund wird es auch nicht. Erinnern Sie sich an den Border Collie Rico, der in „Wetten, dass ..?“ 77 Stofftiere unterscheiden konnte? Die Halterin hat immer wieder gesagt: „Finger weg! Wenn ich mit dem Hund nicht sechs Stunden am Tag arbeite, reißt er das Haus ab.“

Und Sie selbst, werden Sie nach der Trauer um Ihre Hündin Mina wieder einen Hund haben?
Das ist auch über ein Jahr nach Minas Tod ein total ätzendes Thema. Ich vermisse diesen Hund derart, dass ich mich emotional auf keinen anderen einlassen könnte.

In welchen Momenten vermissen Sie Mina?
Zum Beispiel jetzt. Wenn wir noch fünf Minuten weiterreden, wird es schwierig, nicht zu heulen. Oder im Auto. Bei jedem Rastplatz denke ich: „Da lass ich den Hund noch mal raus zum Pinkeln.“ So lange das so extrem ist, kann ich einem anderen Hund nicht gerecht werden. Aber ich kann mir nicht vorstellen, langfristig ohne Hund zu sein. Der Tag wird kommen. Aber jetzt ist es noch nicht so weit.

Die Fans. Vergangenen Dienstag in Quakenbrück. Norddeutsche Provinz zwischen Osnabrück und Oldenburg. Die „Artland-Arena“ mit mehr als 3000 Sitzplätzen ist ausverkauft. 90 Minuten vor Beginn stürmen die Fans die Halle, sichern sich die besten Plätze. Dann heißt es warten. Zum Zeitvertreib werden Gack­sackerln aus Hosentaschen geholt („Hab’ ich immer dabei“); Smartphones mit Hundefotos herumgereicht; und – als die Salzbrezeln ausgehen – mitgebrachte Hunde­leckerlis zum Bier verkostet.

Manche Beziehung wird hier auf eine harte Probe gestellt. Und das klingt so:
SIE: „In der Broschüre steht, dass Rütter auch ernste Seminare hält. Körpersprache. Das interessiert mich.“
ER: „Lern du erst mal meine Körpersprache!“
SIE: „Wozu? Du bist undurchschaubar.“
ER: „Ich will nach Hause.“

Trockenfutterraucher

Dann kommt Rütter. Tosender Applaus. Anhand komischer Anekdoten prangert er die „Verharmlosungsstrategien“ an, mit denen sich Hundehalter ihre Probleme schönreden. Jeder Zweite fühlt sich ertappt. Kurze Selbstzweifel, dann entscheiden sich alle fürs Lachen – und erneut für den tosenden Applaus. So ist das bei Rütter: Egal, wie hart er sein Publikum anpackt, die Stimmung ist blendend.
Eine Gruppe sagenhaft gut gelaunter Hundetrainerinnen skandiert auf dem mittleren Rang: „Hundehütte, Hundehütte wauwauwau!“ Rütter hält inne, grinst und sagt: „Das kommt, wenn man zu viel Trockenfutter raucht.“ Lachtränen, Applaus.
Zweiter Teil. Aus der Bühne wurde „Dogs City“. Denn: „Wir sind kurz davor, dass die Hunde die Städte und dann die Weltherrschaft übernehmen.“ Rütter zeigt, was er nach dem legendär sinnlosen höhenverstellbaren Futternapf an neuen Unsinns-Utensilien im Web erbeutet hat.
Und warum heißt das Programm „Der tut nix!“? – „Weil das die unverschämteste und älteste Lüge aller Hundehalter ist.“ Doch
keine Panik. Wenn ein Jogger vor einem wild gewordenen Dackel auf eine Laterne flüchtet: Rütter rettet ihn.

Zur Person Martin Rütter, geboren 1970 in Duisburg, studierte Tierpsychologie in der Schweiz, ist verheiratet und Vater von vier Kindern (5, 7, 9, 13 Jahre alt). 1995 gründete er das erste „Zentrum für Menschen mit Hund“. Dort werden Hund und Halter nach der gewaltfreien Erziehungsmethode D.O.G.S. (Dog Oriented Guiding System) unterrichtet, die Rütter entwickelt hat. Er bildet Hundetrainer aus, die dann eigene D.O.G.S.-Zentren führen. Ab Februar gibt es in Wien, Mödling und St.Pölten „Zentren für Menschen mit Hund“.

Zur Karriere
Der Hundetrainer und Buchautor ist seit 2003 im TV präsent. „Eine Couch für alle Felle“ (WDR), „Ein Team für alle Felle (ARD) und „Unterwegs mit dem Hundeversteher / Volle Kanne“ waren erste Coaching-Formate, lange, bevor es Schuldnerberater und Supernannies im Fernsehen gab. 2008 startet auf VOX das Erfolgsformat „Der Hundeprofi“, 2010 gibt es erstmals den „V.I.P. Hundeprofi“: Nina Ruge, Martin Semmelrogge, Toni Polster, Sonya Kraus und viele andere ließen sich seither vor laufender Kamera von Rütter belehren. 2012 dann auf RTL die erste Samstag-Hauptabendshow: „Martin Rütter – Die große Hundeshow“. Die neue Staffel vom Hundeprofi startet am kommenden Samstag um 19.10 Uhr auf VOX.

„Der tut nix!“ Die November-Shows in Linz, Graz , Wien sind ausverkauft. Karten für die Österreich-Tour 2013 gibt es bereits:
26. Mai 2013: Schwechat, Multiversum
12. Dezember 2013: Villach, Stadthalle
13. Dezember 2013: Salzburg, Arena
14. Dezember 2013: Wien, Stadthalle
15. Dezember 2013: Graz, Stadthalle

Fachseminar Körpersprache 25. Mai 2013: Wien,
Austria Center (ganztägig).
Kommunikationstraining, Tierpsychologie, Videoanalyse.

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