"Unsere Aufgabe ist es, die Inszenierung zu entlarven"

"Klartext spezial": ÖVP-Wien-Spitzenkandidat Manfred Juraczka stellt sich im Gschwandner im 17. Bezirk den Fragen von ATV-Moderator und ROMY-Preisträger Martin Thür
ROMY-Preisträger Martin Thür befragt in der "Klartext spezial"-Reihe bei ATV zur Wiener Wahl die Spitzenkandidaten.

ATV geht seinen eigenen Weg bei Wiener Wahlberichterstattung. Während ORF und Puls4 am 5. Oktober gemeinsam die Spitzenkandidaten zur Elefantenrunde bitten, stellen diese sich ab heute, Montag, jeweils einzeln den Fragen von ATV-Moderator Martin Thür. Zum Auftakt von "Klartext spezial" am Montag (22.25 Uhr ) kommen Maria Vassilakou (Grüne), Manfred Juraczka (ÖVP) und Beate Meinl-Reisinger (Neos) zu Wort. HC Strache (FPÖ) folgt eine Woche später, Michael Häupl (SPÖ) am 4. Oktober.

KURIER: Der Wiener Wahlkampf ist dominiert vom Flüchtlingsthema. Wer am besten mit Emotionen spielt, gewinnt. Steht da sachlicher Journalismus nicht auf verlorenem Posten?

Martin Thür: Im Gegenteil. Gerade wenn die Polemik der Politik groß wird, muss der Journalismus den Nebel lichten. Es ist unsere Aufgabe die Inszenierung zu entlarven und mit Fakten dagegen zu halten.

Wie wird in "Klartext" mit Behauptungen umgegangen? Muss Ihre Vorbereitung den Reality-Check ersetzen?

Der schönste Moment für einen Journalisten ist es, wenn er eine falsche Behauptung sofort erkennt und am besten auch noch mit korrekten Zahlen und Daten dagegen halten kann. Deshalb sind, gerade in Wahlkampfzeiten, die drei wichtigsten Dinge für ein politisches Interview: Vorbereitung, Vorbereitung und Vorbereitung. Bei "Klartext" machen wir außerdem quasi einen Vorab-Fakten-Check. Am Beginn jeder Folge zeigen wir anschauliche Infografiken, die die Zuseher ins Thema der Sendung einführen sollen, damit sie die Aussagen meiner Gäste richtig einordnen können.

Die Gespräche werden aufgezeichnet. Wären Ihnen Live-Diskussionen oder -Gespräche lieber?

"Unsere Aufgabe ist es, die Inszenierung zu entlarven"
"Klartext spezial": Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) stellt sich im Gschwandner im 17. Bezirk den Fragen von ATV-Moderator und ROMY-Preisträger Martin Thür
Beides hat seine Vor- und Nachteile. Live-Sendungen haben mehr Kick, die Qualität ist dafür unvorhersehbar. Bei einer aufgezeichneten Sendung kann ich mich ganz auf das Interview konzentrieren, muss nicht ständig aus Zeitgründen unterbrechen und kann mich dann im Schnitt auf die wesentlichen Aussagen konzentrieren.

Was ist Ihr Anspruch an die Gespräche?

Gerade im Wahlkampf ist es besonders hart, die Mauer an Floskeln und Slogans zu durchdringen. Deshalb versuche ich, mich bei den bevorstehenden Wahl-Diskussionen noch mehr auf konkrete Sachfragen zu konzentrieren. Schön wäre es, wenn sich der eine oder die andere beim Fernsehen denkt: "Endlich fragt da mal wer genauer nach". Den Jackpot habe ich geknackt, wenn meine Zuseherinnen und Zuseher danach ein bisschen klüger sind und ihre Wahlentscheidung bewusster fällen können.

Sie sind sehr stark in den sozialen Medien vertreten. Wie sehr beeinflussen Themen dort Ihre Fragestellungen?

Soziale Medien und insbesondere Twitter sind für mich ein Ort, an dem ich frühzeitig interessante Geschichten entdecken kann. Deshalb ist die Nutzung für den Journalismus heutzutage unverzichtbar, gerade in der Vorbereitung. Aber diese Art der Recherche macht natürlich nur ein Teil aus. Ich und mein Kollege Timur Aksak verbringen schon auch mal Nachmittage in der Nationalbibliothek oder sprechen mit ExpertInnen.

Warum sind die gemeinsamen Wahl-Diskussionen mit ORF und Puls4 gescheitert und bedauern Sie das?

Ich war in die Gespräche nicht eingebunden, die wurden auf höchster Ebene geführt. Was ich aber mit zunehmender Sorge beobachte, ist, dass sich PolitikerInnen im Wahlkampf ihre TV-Auftritte immer häufiger selbst aussuchen und weniger genehme Formate boykottieren. Die TV-Sender haben sich hier viel zu oft gegeneinander ausspielen lassen und sollten sich schleunigst eine Gegenstrategie überlegen.

"Unsere Aufgabe ist es, die Inszenierung zu entlarven"
"Klartext spezial": Neos-Wien-Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger stellt sich im Gschwandner im 17. Bezirk den Fragen von ATV-Moderator und ROMY-Preisträger Martin Thür
Was denken Sie dann, wenn eine wahlwerbende Partei wie die Neos Medien mit Erfolgsprämien zu locken versucht? Wurde das angesprochen?

Ich habe Beate Meinl-Reisinger bei "Klartext" damit konfrontiert. Das Gespräch kann man heute, Montag, um 22.25 Uhr bei ATV sehen.

Sie sind seit mehr als einem Jahrzehnt bei ATV. Wie hat sich der Zugang der Politik zum Sender verändert?

Sehr. Anfangs stand die ATV-Nachrichtenredaktion auf der Rückrufliste der Pressesprecher ganz unten. Mittlerweile hat sich das Bild aufgrund der harten Arbeit und der unglaublichen Erfolg der Kollegen von "ATV Aktuell“ geändert. Auch die Seher honorieren die harte, kritische, aber faire und ausgeglichene Berichterstattung: Tagtäglich sehen über 100.000 Menschen die Hauptnachrichtensendung von ATV.

Für "Klartext" gab es im Vorjahr eine ROMY, nun wurden Sie mit dem Journalistenpreis Integration ausgezeichnet. Ist das für Sie relevant, ist das vielleicht auch ein Türöffner bei der Politik etwa für Interviews?

"Unsere Aufgabe ist es, die Inszenierung zu entlarven"
Preis der Jury (ex aequo mit W24)
Martin Thür - "Klartext"
„Klartext“ heißt der ATV-Polittalk und Klartext sprachen auch die Laudatoren, die Sendungsmacher Martin Thür und Redakteur Rusen Timur Aksak dafür den Preis der Jury überreichten: „Gute Journalisten an der Front, ein gutes Konzept und die mit Abstand beste Musik in der Geschichte des österreichischen Politik-Talks. Gefällt uns“, fanden die „Gebrüder Moped“.
DieROMYhat sicher dazu beigetragen, dass die Bekanntheit der Sendung gestiegen ist. Und auch der Journalistenpreis Integration ist eine besondere Qualitätsauszeichnung. Politiker zu Interviews zu bekommen, ist und bleibt aber für alle politischen Journalisten harte Arbeit, da sich Verantwortliche immer seltener offenen Interviews stellen und lieber auf inszenierte Events setzen, die für sie kontrollierbarer sind.

Sie sind ja laut Falter der "junge freche Journalist vom Privatfernsehen"

Der Kollegen haben wohl meine grauen Haare noch nicht entdeckt.

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