"Die Zahlen sind gnadenlos"

Thomas Weber ist seit 2006 Herausgeber von The Gap, einem Magazin für "Glamour und Diskurs".
Thomas Weber, Herausgeber des Magazins The Gap, über zukünftige Herausforderungen im Journalismus und Trends im Internet.

Thomas Weber ist seit 2001 bei The Gap journalistisch und seit 2006 als Herausgeber tätig. Das Magazin für „Glamour und Diskurs“ mit Sitz in Wien und einer Auflage von 40.000 Stück wurde im Jahr 1997 als kopiertes Fanheft ins Leben gerufen – die erste Coverstory mit einer Auflage von 1.000 Stück widmete man der Britpop-Band Blur. 18 Jahre danach liegt nun die 150. Ausgabe des Gratis-Magazins mit dem Titel „Queer Vienna – über Manderln, Weiberln und alles dazwischen“ auf. Musik spielt auf den 84 Seiten nur mehr eine Nebenrolle.

"Die Zahlen sind gnadenlos"
The Gap, Ausgabe 1
KURIER: Wie hat sich das Magazin inhaltlich verändert?
Thomas Weber:Mir war immer wichtig, dass sich The Gap nicht nur als Fanzine oder reines Musikmagazin präsentiert, was ja Anfangs der Fall war. Mit den Jahren hat man sich dann gegenüber anderen Kulturbereichen geöffnet – aktuell sind wir aber breit aufgestellt: Wir widmen uns neben Design auch verstärkt der Kreativwirtschaft und Start-up-Szene.

Welche journalistischen Herausforderungen stehen The Gap in den kommenden Jahren bevor?
Die Frage lautet: Wie bereite ich Themen lesenswert, breit und informativ auf, ohne mich stilistisch lächerlich zu machen oder nur den Boulevard zu bedienen? Dann erachte ich noch den Auftritt und Umgang mit Social Media als wesentlich und essentiell. Bei The Gap online kommen ungefähr 30 Prozent aller Zugriffe über Facebook und Twitter. Beim Buhlen um die Leserschaft auf Facebook sollte man sich keinen Bauchfleck leisten.

Mit welchen Zwängen ist man als Herausgeber eines Magazins über die Jahre konfrontiert?
Die Finanzierung anspruchsvoller journalistischer Inhalte ist im Laufe der Jahre nicht leichter geworden. Als wir 2001 vom Kioskverkauf auf eine Gratis-Distribution umgestellt haben, waren wir neben dem SKIP, das ja eher ein Kundenmagazin einer Kinokette war, das vielleicht erste Gratis-Magazin des Landes. Mittlerweile werden jeden Tag mehrere Tageszeitungen verschenkt - und 99,9 Prozent aller journalistischen Inhalte sind online gratis von fast jedem Ort der Welt rund um die Uhr erreichbar. So gesehen gibt es viel mehr Mitbewerber als früher, weshalb es neue Arten zu entwickeln gilt, um auf sich aufmerksam zu machen ohne dabei komplett an Seriosität und Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Kann man mit einem Magazin wie The Gap überhaupt Gewinn erzielen?
The Gap ist hauptsächlich ein journalistisch motiviertes Projekt, bei dem es natürlich auch ökonomische Notwendigkeiten gibt. Aber wenn es uns von Anfang an primär um eine finanzielle oder ökonomische Ausrichtung gegangen wäre, hätten wir das Magazin nie machen dürfen. Im Vordergrund stand und steht vielmehr die Umsetzung eines Mediums, das man selber gerne lesen möchte.

"Die Zahlen sind gnadenlos"
Cover, The Gap - 50., 100., 150. Ausgabe

Wird es aus heutiger Sicht eine 300. Ausgabe von The Gap geben?
Keine Ahnung, ob es je die 300. Ausgabe von The Gap in gedruckter Form geben wird, aber das ist ja auch kein Muss. Mir geht es darum, spannende Geschichte umzusetzen, zu veröffentlichen. Ob diese dann gedruckt werden oder nicht, ist mir egal. Ich muss dafür nicht jeden Monat Bäume fällen lassen. Wichtiger ist mir, dass die Leute, die das machen, dafür honoriert werden können.

Wie sieht das Journalismus-Zukunftsmodell aus?
Die Leitimpulse kommen 2015 zu 100 Prozent von Online. Print hat eher die Funktion der reflektierten Nachlese, von viel Kontext, Überblick und fundierter Meinung. Nicht, dass es das alles bei uns auf der Webseite nicht geben würde, aber viel weniger mit dem Anspruch einen allgemeinen Status Quo zu erfassen.

Setzt The Gap online auf Schnelligkeit, oder eher auf Analysen und Meinungselemente?
Im Idealfall auf beides, aber dass sich das zeitgleich in einer Story ausgeht, ist oftmals nicht möglich, da braucht man schon Glück. Man muss bei einer Geschichte entweder der Erste sein, Zweiter ist schon wieder uninteressant, oder man hat einen besonderen Zugang oder Hintergrund zu diesem Thema. Man sollte in manchen Bereichen schnell sein, in anderen sich von der Getriebenheit nicht diktieren lassen. Generell gilt: Die Zahlen sind gnadenlos. Man hat ja anders als noch vor ein paar Jahren die exakten Zugriffszahlen, die einiges über die Interessen der Leser aussagen.

Welche Artikel werden bei The Gap Online besonders häufig aufgerufen?
Was extrem gut angenommen wird, sind Geschichten zur Wiener Clubkultur, über Architektur sowie über meinungsstarke, aber auch manchmal sehr ernüchternd seichte Themen, die einem dann schon einmal das journalistisch schlagende Herz brechen. Aber die Getriebenheit des Netzes begünstigt ganz klar den Boulevard und den boulevardesken Zugang.

Dazu gehört auch der Listen-Journalismus (Zehn Gründe, warum...). Wie schätzten Sie diese Entwicklung ein?

Listen können auch gut sein und komplexe Themen übersichtlich gliedern. Aber diesem anbiedernden Buzzfeed-Journalismus schenke ich persönlich keine Aufmerksamkeit, solche Artikel bekommen von mir keine Klicks. Denn ich habe mich noch jedes einzelne Mal, wenn ich auf so einen Artikel im Internet aufgerufen habe, betrogen gefühlt und angewidert abgewandt. Ehrlicherweise frage ich mich schon öfters, wer die Idioten sind, die da dauernd hinklicken. Denn irgendwann müsste das Potenzial eigentlich erschöpft sein. Vor allem steht hinter 90 Prozent der Geschichten heiße Luft, da ist nichts dahinter. Dementsprechend ist es heutzutage schwieriger, sich journalistische Reflektion zu leisten, wenn diese nur mehr wenige interessiert.

Muss man online zwangsläufig boulevardesker sein?
Eines unserer Mottos von früher war „Wir haben auch keine Ahnung“. Aber im Ernst: Wenn man Inhalt kostenlos zu Verfügung stellt, wird es wohl auf diese inhaltliche Ausrichtung hinauslaufen. Andere Modelle haben sich vor allem in Österreich noch nicht bewährt. Für The Gap kommt eine Paywall, also eine Bezahlschranke, nicht infrage.

Auf ein Jobangebot habt ihr rund 300 Bewerbungen bekommen. Was haben Sie daraus gelernt?
Es gibt aktuell einfach zu viele Journalisten für zu wenig Jobs, wobei der Branche die großen Probleme erst bevorstehen – aber nicht nur im journalistischen Bereich, sondern generell. Es wird in Zukunft einfach weniger Jobs geben. Wir jedenfalls werden Jobs so schnell nicht wieder öffentlich ausschreiben, sondern uns wie bisher auf persönliche Empfehlungen verlassen.

Stichwort: Generation Praktikum. Wie ist ihre Meinung dazu?
Ich habe mir schon überlegt, jungen Leuten zu raten, keine Praktika mehr zu machen. Aber bei uns haben sowohl Stefan Niederwieser als auch Thomas Stollenwerk als Praktikanten angefangen und nun sind beide Chefredakteure – der Stefan bei The Gap, der Thomas beim Biorama.

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