Das "ganz normale Leben" von Thea Rosenbaum
Als Kind erlebte Thea Rosenbaum in den Bunkern Berlins den Zweiten Weltkrieg. Sie versteckte sich nach Kriegsende vor den Soldaten der Roten Armee und wurde später vom eigenen Großvater missbraucht. Die schwere Kindheit versuchte sie in den Folgejahren mit ihrem unbeugsamen Optimismus und viel Arbeit zu verdrängen.
Rosenbaum folgte ihrem Mann an die Front nach Vietnam und berichtete für die Deutsche Presseagentur (dpa) von den Schrecken des Krieges. Dabei entstanden Freundschaften, die ihr später im Weißen Haus zugutekamen. "Ich bekam Interviews, an die andere einfach nicht rankamen", sagt die mittlerweile 75-Jährige im KURIER-Interview.
In ihrem soeben auf Deutsch erschienenen Buch "No Place for a Lady – Mein ganz normales Leben" (Verlag Herbig, 22.70 Euro) erzählt die deutsch-amerikanische Journalistin ihre Lebensgeschichte. Ein Gespräch.
KURIER: Sie sind gerade auf Lesereise in Deutschland. Verfolgen Sie den US-Wahlkampf?
Thea Rosenbaum: Natürlich. Einmal Journalistin, immer Journalistin.
Wie ist Ihre Einschätzung zur "Witzfigur" Donald Trump?
Viele sehen Trump nicht als Witzfigur. Für sie drückt er aus, was viele seit acht Jahren fühlen. Große Wut, Ärger und Frust über Washington, über die Regierung und vor allem über den Kongress, der nichts zustande gebracht hat. Diese Unzufriedenheit kommt Donald Trump zugute.
Für welche Politik steht Donald Trump?
Er war ursprünglich kein rechter Republikaner, sondern eher liberal. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der weiß, wie man verhandelt. Seine Kontrahenten Marco Rubio oder Ted Cruz vertreten meiner Meinung nach wesentlich extremere Positionen. Sehen Sie sich an, woher die beiden kommen – von der Tea Party. Trump ist in puncto Idealismus gemäßigter, aber eben auch populistisch. Dass er eine Mauer zwischen den USA und Mexico bauen möchte, glaubt ihm ohnehin kaum jemand. Bernie Sanders sehe ich da übrigens ähnlich wie Trump, nur dass er auf der anderen Seite steht. Er spricht aus, was er denkt – und das ist teilweise auch ziemlich radikal.
Sie sind nach Vietnam gegangen, um über den Krieg zu berichten. Wie kam es dazu?
Ich war mit einem Journalisten verheiratet, mein Mann arbeitete für ABC News. Wir waren damals in New York. Eines Tags kam er nach Hause und sagte zu mir: "Wenn ich als Journalist etwas werden will, muss ich jetzt nach Vietnam gehen." Ich antwortete: "Kein Problem, aber ich komme mit." In Vietnam hat sich das dann mit der Deutschen Presseagentur entwickelt. Da ich nicht abschreiben wollte, was mir das Militär vorschrieb, ging ich raus aus dem Büro, sprach mit Leuten und machte mir selbst ein Bild vom Kriegstreiben.
Gab es Situationen, in denen Sie dachten, jetzt sterbe ich?
Ja. Dieser Angst habe ich in meinem Buch ein ganzes Kapitel gewidmet. Ich war bei der heiß umkämpften Schlacht von Khe-Sanh mit Süd-Vietnamesen unterwegs, und dabei kamen wir unter Beschuss. Vor lauter Angst musste ich mich in der Deckung irgendwie ablenken, und so nahm ich meinen Kassettenrekorder heraus und verfasste eine Art Live-Kommentar: "Die Sonne scheint, es ist drei Uhr nachmittags. Ich kann nicht sterben." Danach bekamen wir Luft-Unterstützung von den US-Amerikanern, die knapp neben uns ihre Bomben abwarfen. Das war schlimm.
Wie haben Sie diese Erlebnisse verarbeitet?
Man verarbeitet das nicht so einfach. Ich kam schon als Kind mit dem Krieg in Berührung, als die Bomben auf Berlin fielen. Ich hatte lange Zeit Albträume. Und psychologische Betreuung gab es damals noch keine. Über die sexuellen Übergriffe von meinem Großvater spreche ich zum ersten Mal in meinem Buch. Damit möchte ich andere Frauen, denen Ähnliches widerfahren ist, ermutigen, darüber zu sprechen.
Wie oft wurden Sie in Vietnam belächelt?
Ab und zu habe ich von den US-Soldaten gehört: "This is no place for a lady". Daher auch der Titel meines Buches. Hin und wieder wurde ich belächelt, aber ich bin selbstbewusst und zielsicher meinen Weg weitergegangen und habe mir den nötigen Respekt erarbeitet. Ich habe in Vietnam sehr viele Menschen kennengelernt, Kontakte zu namhaften Persönlichkeiten aufgebaut, die mir bei meiner Entwicklung als Journalistin geholfen haben.
Sie gingen bei der Berichterstattung an Ihre Grenzen. Reizt Sie das?
Eigentlich nicht. Als Kind war ich ganz anders: Mein Vater hat mal zu mir gesagt: "Du bist der phlegmatischste Mensch, den ich kenne." Als junge Frau bin ich dann aufgewacht: Ich war ein Spätzünder. Ich bin neugierig und habe mich immer für die Menschlichkeit hinter einer Sache interessiert.
Wie weit darf Journalismus gehen?
Aufdecken ist immer gut. Aber wenn eine Person an den Pranger gestellt wird, dann sollte man irgendwann einmal aufhören, ihn durch den Dreck zu ziehen. Aber in Deutschland lassen die Medien einfach nicht mehr los. Auf Skandale wird dann so lange herumgetrampelt, dass am Ende nur noch ein Blutfleck übrig bleibt. Wenn man einen Menschen als Mensch zerstört, dann habe ich ein Problem damit.
Wie hat sich die Kriegsberichterstattung über die Jahre verändert?
Im Irak-Krieg von 2003 hat sich der Embedded Journalism entwickelt. Das Problem bei dieser Art der Kriegsberichterstattung ist, dass für ausführliche Recherchen keine Zeit bleibt. Die intensive mediale Berichterstattung hat aber schon früher angefangen: Der Vietnamkrieg war der erste Wohnzimmer-Krieg. Da konnten die Amerikaner ihren Söhnen beim Fallen zusehen.
Wie wird sich die Syrien-Krise entwickeln?
Da muss man die US-Wahlen abwarten. Gewinnt ein Republikaner, dann schicken die Amerikaner eventuell Bodentruppen nach Syrien. Wenn Hillary Clinton gewinnt, wird sie ähnlich vorsichtig sein wie Obama. Denn sie weiß, welche Konsequenzen so ein Einsatz mit sich bringen kann.
Welcher US-Präsident ist Ihnen noch in guter Erinnerung? Welcher hat Sie enttäuscht?
Bush senior war besonders freundlich und nett. Er war Diplomat, und das merkte man ihm an. Wenn er Interviews gab, wichtige öffentliche Auftritte absolvierte, wirkte er gegenüber Journalisten stets freundlich, hilfsbereit und gelassen. Und enttäuscht?! Also aktuell bin ich es von Obama, weil er für diesen Job zu idealistisch agiert. In Washington muss man Realist und zu Kompromissen bereit sein.
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