"Es ist nicht cool, Frauen zu kaufen"

Daniela Golpashin als Prostituierte, die in der Gewalt ihres Zuhälters steht: Tatort "Angezählt".
Sabine Derflingers Österreich-"Tatort" "Angezählt" erzählt von brutalem Frauenhandel + Interview mit Adele Neuhauser.

Sabine Derflinger war die erste Frau, die nach 40 Jahren einen Österreich-„Tatort“ drehen durfte. „Angezählt“, der heute (20.15, ORF 2, ARD) ausgestrahlt wird, ist nach „Falsch verpackt“ (2012) bereits ihr zweiter „Tatort“. Er spielt im Wiener Prostituierten-Milieu, wo ein Zuhälter Frauen in die Sexarbeit treibt. Für Adele Neuhauser als Bibi Fellner wird es lebensbedrohlich.

KURIER: Frau Derflinger, Sie erzählen eine Geschichte von Frauenhandel und Prostitution. Haben Sie sich das Thema selbst ausgesucht?
Sabine Derflinger:
Ja. Ich wollte etwas über Prostitution machen und das Thema als Backstory von Kommissarin Bibi Fellner erzählen, die ja von der Sitte kommt. Es sollte ein Fall sein, der mit ihrer Vergangenheit zu tun hat.

"Es ist nicht cool, Frauen zu kaufen"
Sabine Derflinger
Wie authentisch ist diese sehr brutale Geschichte?
Sehr authentisch. Zum einen hat mein Drehbuchautor Martin Ambrosch im bulgarischen Milieu recherchiert, zum anderen habe ich mit Adele Neuhauser mit den zuständigen Polizeibeamten gesprochen. Es gibt dieses Segment von bulgarischen Zuhältern, die junge Türkinnen oder Roma-Frauen nach Wien bringen. Halbe Dörfer wurden in die Prostitution geschickt. Das sind unterdrückte Frauen, die als Kinder verheiratet werden, mit 16 Jahren ihren Zuhälter kennenlernen und hergebracht werden. So läuft das.

Der bulgarische Zuhälter ist in Ihrem Film extrem brutal. Haben Sie nicht Sorge, dass Sie Klischees vom kriminellen Ausländer bedienen?
Darüber haben wir natürlich nachgedacht, vor allem angesichts der schrecklichen FPÖ-Wahlplakate. Aber man sollte das umgekehrt betrachten: Das sind Frauen bei uns im Land, die versklavt und gehalten werden wie Tiere – und weil sie nicht von hier sind, ist es allen wurscht.

Es fällt der Satz: „In Wien müssen Minderjährige im Nobelpuff arbeiten, und alle gehen hin.“ Ist zu Prostituierten gehen bei uns eine Kavaliersangelegenheit?
Kann man so sagen. Für manche Männer ist es genauso normal, einen Champagner zu öffnen wie Frauen zu kaufen. Ich weiß das – wenn ich auf Festivals als einzige Frau in einem Kreis von Männern unterwegs bin, dann werden halt Frauen bestellt. In manchen Nobelhotels liegen auf der Pudel Visitenkarten vom Escort-Service herum, das müsste nicht sein.

Halten Sie ein Prostitutionsverbot für sinnvoll?
Nein. Aber die Nachfrage an Frauen, die billigen Sex verkaufen, ist viel größer als das Angebot – deswegen muss man Frauen verschleppen, vergewaltigen und zur Prostitution zwingen. Es gibt einfach nicht so viele, die freiwillig Sexarbeit machen. Ich glaube auch, dass es eine Haltungssache ist: wenn es nicht cool wäre, Frauen zu kaufen, und dadurch die Nachfrage sinken würde, wäre das auf jeden Fall besser.

Welche Reaktionen erwarten Sie auf Ihren „Tatort“?
Als ich ihn selbst das erste Mal gesehen habe, dachte ich mir: „Boa, das ist hart!“ Ob er der Fan-Gemeinde zu hart ist, weiß ich nicht. Aber ich bin schon sehr neugierig.

Die neue "Tatort"-Saison nimmt Fahrt auf. Nun wurde bekannt, dass der neue Kölner "Tatort" aus dem Hauptabendprogramm gestrichen wird. Der Grund: Die Folge mit dem Titel "Franziska" sei zu brutal. Der Krimi soll erst nach 22.00 Uhr ausgestrahlt werden.

Gestorben wird also auch in der neuen "Tatort"-Saison, die vergangenes Wochenende mit dem Schweizer "Tatort" noch verhalten startete.

KURIER: In Ihrem neuen "Tatort" „Angezählt“ geht es hart zur Sache. Sogar ein Verbrechen mit einem Kind wird diesmal auf schockierende Weise gezeigt.
Adele Neuhauser: Ja, und das ist leider nicht alles erfunden. Die Frage ist nur, wie geht man mit so einem Kind um? Ab wann ist es strafmündig? Das ist schon ein äußerst heikles Thema.

Wenn man an den etwas betulichen Inspektor Marek zurückdenkt, hat sich der österreichische "Tatort" doch reichlich verändert seit Sie und Harald Krassnitzer ermitteln.
Ja, das ist uns auch ein Anliegen, weil wir nicht nur Geschichten erzählen wollen, die eine rein fiktionale Grundlage haben, sondern wahre Begebenheiten, die die Menschen auch ein bisschen aufrütteln sollen.

Wen dieser "Tatort" nicht berührt, den kann vermutlich nicht mehr viel beeindrucken.
Ja, dieser "Tatort" ist auch mir sehr nahe gegangen, ich habe die Geschichte nicht schnell ablegen können, bis heute nicht.

Hat es geholfen, dass die Regie von einer Frau, Sabine Derflinger, gemacht wurde?
Ich bin davon überzeugt, dass es für den ganzen Stoff geholfen hat, das Sabine eine Frau ist. Hätte ein Mann Regie geführt, wäre am Drehort sicher eine ganz andere Stimmung gewesen und wir hätten andere Gespräche geführt. In der Umsetzung selber hätte man vermutlich keinen Unterschied gesehen, es ist ja kein rein weiblicher Film geworden, im Gegenteil, ich finde ihn sehr brutal.

Bibi Fellners Sitzung bei der Psychologin gibt dem Film nochmal eine neue, emotionalere Dimension.
Wir haben im Gespräch mit einem Kriminalbeamten und einer Kriminalbeamtin erfahren, dass man sich nicht pragmatisch mit einem Fall befassen kann, weil man das Emotionale nicht vom tatsächlichen Geschehen trennen kann. Wobei der Beamte meinte, er nähme nichts von all dem mit nachhause, weil es ein Job wäre wie jeder andere. Die Beamtin hat darauf allerdings nur den Kopf geschüttelt und das Ganze verneint, sie meinte, dass man natürlich etwas mit nachhause nehmen würde. Immerhin hat ihr Kollege dann doch noch eingeräumt, dass es etwas anderes wäre, wenn ein Kind involviert ist.

Im "Tatort" sind Sie oft die Starke. Können Sie in der Realität auch gut für Ihre Interessen eintreten?
Ich bin grundsätzlich sehr vorsichtig und glaube nicht, dass man weiterkommt, wenn man anderen die Wahrheit schonungslos um die Ohren haut. Ich gehe da etwas sensibler vor und versuche für vieles Verständnis zu haben oder zu verzeihen. Ich weiß wie viel ich von mir und anderen verlange, und wie viel ich letztendlich davon in meinem Leben umgesetzt bekomme, das sind dann manchmal schon zwei Paar Stiefel. Außerdem mag ich Grobheiten nicht. Wenn ich allerdings in einem Gespräch andauernd auf Unverständnis, Arroganz und eine ablehnende Haltung stoße, werde ich sauer. Aber bis dahin dauert es schon sehr lange, erst mal habe ich viel Geduld.

Und wie gehen Sie mit Machos um?
In Griechenland, wo ich geboren bin und viel Zeit verbracht habe, findet man schon sehr viele Machos. Ich mag sie sogar, wenn sie geistreich sind. (lacht) Wenn es sich aber eher um dümmliche und primitive Machos handelt, dann macht das natürlich überhaupt keinen Spaß.

Die Machos im "Tatort" sind dagegen doch eher Kriminelle.
Ja, das sind schon mehr Kriminelle, da hat man keine Chance. Aber ich bin in Wien im 10.Bezirk aufgewachsen und habe damals so manche Situation erlebt, wo argumentieren nicht geholfen hat, mit solchen Menschen kann man nicht sprechen. Das ist auch etwas, was mir große Angst macht, weil diese Typen wirklich nur eine Sprache verstehen, Brutalität gegen andere, und die passt so gar nicht in mein Weltbild. Wenn erst mal ein bestimmtes Stadium erreicht ist, gehört wirklich eine unglaubliche Zivilcourage dazu, sich dem zu widersetzen.

Sie wirken eher tough. Was tun Sie gegen aufkommende Melancholie?
Weinen. Ich kann schon sehr gut traurig sein und manchmal gefällt es mir sogar, auch wenn das jetzt vielleicht seltsam klingt. Aber ich habe schon so viel Trauriges erleben müssen, dass ich weiß, dass die Traurigkeit auch ganz schnell wieder verfliegen kann. Und wenn sie zu stark wird, gehe ich einfach raus in die Natur und lüfte mein Hirn, dann relativiert sich vieles ganz schnell. Es ist schon erstaunlich, dass ich diesen toughen Eindruck erwecke, weil ich mich gar nicht so fühle. Vielleicht wirke ich auch nur so, weil ich eins bin mit mir.

Oder weil Sie sich vom typischen Blondinen Klischee abheben.
Mir bleibt ja auch gar nichts anderes übrig. (lacht) Ich bin das, was ich bin, und sehe so aus, wie ich aussehe. Mir gefallen Frauen, die noch echte Weiber sind. Was ich im Kopf und im Herzen habe ist entscheidend, der Rest wird dadurch auch schön. Mir tun immer die Frauen leid, die an sich herum schnippeln lassen, weil man die Natur nicht austricksen kann, sonst schlägt sie zurück. Ich bin froh, dass die Medizin inzwischen soweit ist, dass sie einen wieder zusammenflicken kann, wenn man einen Unfall hatte, und dass man anschließend wieder ein einigermaßen normales Leben führen kann. Aber was ich nicht verstehe ist, dass man durch Operationen versucht den Alterungsprozess aufzuhalten.

Haben Sie manchmal auch Selbstzweifel?
Ja, natürlich habe ich manchmal auch Selbstzweifel, aber durch meinen Beruf habe ich die Möglichkeit in andere Biografien hineinzuschlüpfen, was ich sonst niemals könnte. Das bereichert mich und meinen Blick auf die Welt enorm. Ich hatte das Glück einige Jahre mit einem Regisseur zu arbeiten, der mir den Beruf auch handwerklich richtig beigebracht hat. Und der meinte, wenn ich mich einer Figur nicht vollends geben würde, bekäme ich auch nichts von ihr zurück, wobei sie einen natürlich auch auffressen könnte. Das war für mich ein wertvoller Rat, von dem ich mir viel in mein eigenes Leben mitnehmen konnte.

Mussten Sie für Ihre Karriere eigentlich immer hart arbeiten oder waren Sie auch ein Glückskind, dem viel zugefallen ist?
Ich hatte keinen leichten Weg, aber ich hatte trotzdem Glück. Ich konnte sehr große und anspruchsvolle Rollen spielen wie den Mephisto, die Medea oder die Maria Callas.

Das Interview führte Claudia Böhm

Sonntagabend ist Tatortzeit“, stellt Sebastian Krager klar. Das sei schon immer so gewesen. Nur sitzt der deutsche Student jetzt nicht mit seinen Eltern vorm Fernseher, sondern im Schikaneder in der Margaretenstraße (4. Bezirk). Hier wird jeden Sonntag die älteste TV-Krimiserie Deutschlands auf der Leinwand übertragen.

Sebastian ist mit seiner Einstellung nicht alleine. Die 87 Sitzplätze im Saal sind besetzt. Einige haben sogar schon auf den Stufen Platz genommen. Die meisten Zuschauer sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Großteils Studenten aus Deutschland.

"Es ist nicht cool, Frauen zu kaufen"
Public Viewing, Tatort, Schikaneder Kino, Fernsehen im Kino
Aus diesem Land kommt auch der Trend des Tatort-Public-Viewings. An die 200 Lokale bieten in Deutschland diesen Service an. In Wien gibt es derzeit drei Orte: neben dem Schikaneder, kann man auch im Top Kino (ab 29. September, Anm.) und im Hawidere, Tatort schauen.

Was reizt die Zuschauer an dem Sonntagabend-Event? Es scheint ein Mischung aus Kindheitserinnerung und Veranstaltungscharakter zu sein. „Ich habe früher immer mit meiner Oma geschaut“, sagt Studentin Carla aus Mainz. Seitdem ist sie nicht mehr davon losgekommen. „Aber alleine vor dem Fernseher ist es nicht so lustig“, findet Freundin Carla. „Ein idealer Wochenendausklang“, ergänzt Charlotte.

Wie im Wohnzimmer

Das Licht im Saal geht aus. Das Intro beginnt: Zwei Augen und ein Fadenkreuz. Seit 1970 wurde die Einleitung kaum verändert. Sie war nicht unwesentlich daran beteiligt, den Tatort zu einer wiedererkennbaren Marke zu machen.

Augen und Beine stammen von dem ehemaligen Schauspieler Horst Lettenmeyer. Als er damals von der Agentur den Anruf bekam, war ihm wohl kaum bewusst, dass er Dauergast am Bildschirm werden würde.

Im Saal wird leise mitgeraten, genascht und getrunken. Getränke dürfen mitgenommen werden. „Es ist wie im Wohnzimmer. Nur besser“, sagt Student Sebastian.

Trotzdem sind sich nicht alle Zuseher sicher, ob es „cool“ ist, Anhänger dieser Serie zu sein. „Darf man denn zugeben, dass man Tatort-Fan ist?“, fragt Mark. „Aber natürlich“, sagen die Berliner Moritz und Carl. Sie sind nur einen Abend in Wien. „Am liebsten haben wir das Team aus Münster“, sagt Moritz. „Aber die Kollegen aus Berlin waren heute auch okay.“

43 Jahre läuft Tatort bereits. Damit ist das die älteste TV-Krimiserie Deutschlands.

881 Folgen wurden bis dato gezeigt. Durchschnittlich werden 35 neue Folgen jährlich ausgestrahlt.

121 Ermittler waren im Laufe der Jahre im Einsatz. Derzeit sind 42 Ermittler aktiv.

21 Drehorte gab es bis dato in Deutschland, Österreich und in der Schweiz

12,99 Millionen Zuschauer verfolgten die deutsche Folge „Summ, summ, summ“ aus Münster. Dieses Ermittler-Team hat die höchsten Einschaltquoten.

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