Online-Werbung gehört noch nicht ins Grab

Irina Petricek-Steiner, COO GroupM Austria, kritisiert das Fehlen von Diskussionen und Institutionen zur Qualitätssicherung in der digitalen Werbung
GroupM-COO Irina Petricek-Steiner über Qualität der Online-Werbung und den fehlenden Diskurs über Standards und Probleme.

Es ist mehr als nur ein Sommer-Thema: Digitale Werbung ist ins Gerede gekommen und mit ihr die Qualität von Mediaagenturen. Ad Fraud, Robot Traffic, Visibility oder Targeting Qualität sind Schlagworte dieser Diskussion, in der manche schon Digitale Werbung als Geldvernichtung begraben. GroupM-COO Irina Petricek-Steiner über die Herausforderungen für Media-Agenturen, Missbrauch und Qualitätssicherung sowie fehlende Standards.

atmedia.at: Digitale Werbung boomt, steckt aber in einer schweren Vertrauenskrise, so dass sie von manchen, etwa Thomas Koch, schon begraben wird.

Irina Petricek-Steiner: Das, was digitale Werbung von klassischer Werbung unterscheidet, ist die Tatsache, dass digitale Werbung maßgeblich durch Technologie bestimmt wird. Durch Ad-Server werden digitale Ads ausgespielt, mit speziellen Tools lassen sich Sichtbarkeit und View-time messen, andere Lösungen optimieren die Performance oder Daten werden modelliert, um die entsprechenden Zielgruppen ansprechen zu können. In Summe kann man sagen, dass uns hier die Technologie ein genaueres Hinsehen auf Leistungs- und Qualitätsparameter ermöglicht.

Online-Werbung gehört noch nicht ins Grab
Dadurch wird aber auch ersichtlich, dass überall dort, wo neue Wege eröffnet werden, auch das Risiko von Missbrauch besteht. Dies ist nicht neu und kommt immer wieder in Wellen vor. Bot-Traffic, inadäquate Ausspielung oder mäßige Sichtbarkeit waren schon um 2000 ein Thema. Anfang März 2006 berichtete zum Beispiel dieNY Times, dass sich immer mehr Werbetreibende durch Klickbetrug - vor allem im Suchmaschinenmarketing - verunsichert fühlen. Sie zeigten sich besorgt darüber, dass ihre Klicks auf Anzeigen im großen Stil von Betrügern durch "Klick-Bots" automatisch generiert würden. Google hat darauf in allen Bereichen reagiert und die Analysemethoden - mit weiterer Technologie - verfeinert. DassThomas Kochdiese Themen anspricht, ist durchaus nachvollziehbar. Der Schluss, den er zieht, nämlich dass Online-Werbung damit zu Grabe getragen werden sollte, ist letztlich aber nicht der richtige. Die Werbeindustrie sollte sich vielmehr dazu aufgerufen fühlen, aktiv die heutigen Herausforderungen in der Qualitätssicherung anzunehmen, um mit gebotener Sorgfalt Kunden effiziente digitale Kommunikation zu ermöglichen.

atmedia.at: Adblocker, Robot Traffic, Ad fraud aber auch fehlende Visibility - gibt es dafür bei den Media-Agenturen ausreichend Sensibilität oder ersetzen Volumina die Qualität?

Petricek-Steiner: Ganz im Gegenteil. Alle genannten Punkte enthalten beweisbare Qualitätskriterien, sind also nachweisbar und messbar und ein wichtiger Diskurs in Richtung Wirkungsnachweis für digitale Werbung. Ich würde das sogar noch um Targeting Qualität und Nettoreichweitenpotential -Analyse erweitern. Das Ergebnis ist ein erstmals bewerteter Kontakt und es kann sein, dass er mitunter deutlich weniger wert ist, wenn er diesen genannten messbaren Qualitätsansprüchen nicht mehr genügt.

Online-Werbung gehört noch nicht ins Grab
Irina Petricek-Steiner, COO GroupM Austria: "Was an allen Enden und Ecken nach wie vor fehlt, ist das von der Angebotsseite zur Verfügung gestelltelokaleInventar."
atmedia.at:Wie sieht es von Kundenseite aus - gibt es dort Klarheit darüber?

Petricek-Steiner: Bereits 2013 hat der Verband der Werbungtreibenden Unternehmen in Deutschland "Organisation Werbungtreibender im Markenverband" (OWM) diese Diskussion nach Klarheit aufs Tapet gebracht. Eine konvergente und übergreifende Währung statt Wirkungsnachweise und Insellösungen einzelner Medien stand dabei im Vordergrund, genauso wie die Sicherstellung der Werbeauslieferung auf den gewünschten Umfeldern. Des Weiteren forderte der Interessensverband Mediaagenturen auf, in der Diskussion um die Sichtbarkeit von Online-Werbung deutlich mehr Verantwortung zu übernehmen.

In Österreich haben wir in unserem Agenturnetzwerk bereits diese Herausforderungen angenommen und einen mehrstufigen Qualitätssicherungsprozess für digitale Werbung - vor allem für programmatische Inventare - implementiert. Auch mit unseren Bemühungen zum Thema Sichtbarkeit konnten wir einen ersten Impuls in Richtung Wirkungsnachweis digitaler Werbung geben.

atmedia.at: Gibt es dazu einen Dialog unter den Agentur-Gruppen? Gibt es die notwendigen Institutionen?

Petricek-Steiner: Leider gibt es dazu noch immer zu wenig fachlichen Austausch beispielsweise in den Gremien des IAB (Internet Advertising Bureau Austria) oder der ÖWA (Österreichische Webanalyse). Und das, obwohl es um Bereiche geht, die für alle Marktteilnehmer von elementarer Wichtigkeit sind: Für den Kunden, der sein Geld investiert, für die Agentur, die versprochen hat, dieses effizient einzusetzen, wie auch für die Medienhäuser, deren direkte Einnahmen davon abhängig sind. Alle diese Parteien haben ein Anrecht, in der Diskussion über die Bewertung eines Kontaktes Gehör zu finden. Ein Rahmen für einen solchen Diskurs und einer gemeinsamen Lösungsfindung ist auch nichts neues, sondern als sogenannte JIC (Joint Industry Commitee) in vielen Bereichen bereits erfolgreich gelebter Standard. Wie etwa die deutsche AGMA (Mediaanalyse) oder AGF (Fernsehforschung).

atmedia.at: Was muss sich ändern, damit Werbeinvestments sich nicht in Luft auflösen?

Petricek-Steiner: Der Wandel digitaler Werbung hin zu mehr Technologie und der Bewertung von Daten zwingt uns zur Einbeziehung von privatwirtschaftlich geführten Unternehmen und deren Tools beziehungsweise Lösungen, die sich auf Themen wie Visibility, Fraud Protection und Targeting spezialisiert haben. Was zum jetzigen Zeitpunkt gänzlich fehlt, sind die Gremien, die unabhängigen Stellen - die JICs – welche diesen Diskurs anregen und mit Nachdruck an der Etablierung von dementsprechenden Standards arbeiten, um die digitale Werbung in Österreich auf eine valide und zukunftssichere Basis zu stellen.

atmedia.at: Wie kann die (gemessene) Qualität digitaler Werbung gehoben werden?

Petricek-Steiner: Durch die Standardisierung der Messung und Bewertung, sprich einer am Markt definierten Wirkungswährung. Natürlich wissen wir alle um die großen Herausforderungen aufgrund von Komplexität und unterschiedlichen Interessen. Allerdings wäre dazu die durchaus realistische Alternative , dass diese Standards von internationalen Unternehmen definiert und vorgegeben werden, welche das Know-how und die Power haben und lokale Märkte nur mehr reagieren können.

atmedia.at: Entwickelt sich Programmatic zum Irrweg?

Online-Werbung gehört noch nicht ins Grab
Irina Petricek-Steiner, COO GroupM Austria
Petricek-Steiner:Ich sehe den Weg nicht darin auf Programmatic Buying gänzlich zu verzichten, weil Qualität auch manuell eingekauft werden kann. Es ist vielmehr so, dass uns ein programmatischer Marktplatz ermöglicht, viel granularer auf den einzelnen Werbekontakt auszusteuern und das bei noch mehr messbaren Fakten und sehr genauem Hinsehen, was den Qualitätsansprüchen genügt und was nicht und wo Optimierungsbedarf besteht. Diese exakte Zielgruppenaussteuerung und Analyse der Umfelder wäre heute rein manuell gar nicht bis ins letzte Detail administrierbar.

atmedia.at: Was bedeutet das für jene, die die Inventare stellen (sollen)?

Petricek-Steiner: Die unzureichenden Standards, die nicht vom Markt definierten Bewertungen und ein aufwendiger Abstimmungs- und Abwicklungsprozess hemmen eine schnellere Entwicklung des digitalen Werbevolumens. Der Verkauf einer Ad-impression zu ein und demselben Preis, wie er derzeit häufig angewendet wird, wird in der Zukunft einer faktenbasierenden Argumentation weichen müssen. Je nach dem, welchen Beitrag die einzelne Ad-impression zum Kampagnenziel leistet. Wir begrüßen einen gemeinsam - als lokaler Markt - professionell geführten Diskurs. Dieser würde einen wesentlichen Anteil zur Klarheit beitragen.

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