Ein echter Inglourious Basterd

"Killing Nazis", Doku
Die Geschichte eines Buben aus Wien, der Rache wollte. 15. Mai, 20.15 Uhr, 3SAT.

Rache“, sagt Chaim Millers Tochter Batya, „ist das stärkste Gefühl, das es gibt“. Diesen Superlativ hört man meist in Zusammenhang mit Liebe.

Chaim Miller hat Rache für den Holocaust genommen. Hat ehemalige Nazi-Schergen aufgespürt, sie verhört, sie ihr eigenes Grab schaufeln lassen, sie erschossen. Wie viele Nazis auf diese Weise ermordet wurden, ist bis heute unbekannt. „Wir haben nur bereut, dass wir nicht mehr gemacht haben.“

Was er dabei gefühlt hat? „Na, das gehört ihm! Nach dem, was passiert ist! Es kann doch nicht sein, dass die einfach so davonkommen.“

Die Dokumentation „Killing Nazis“ von Andreas Kuba („Letter to the Stars“) und Simon Wieland erzählt die Geschichte eines wahren „Inglourious Basterd“, des heute 91-jährigen Chaim Miller.

Geboren 1921 im Wiener Arbeiterbezirk Ottakring, wächst Alfred Müller im „Roten Wien“ auf. Sein Vater ist Sozialist und Schutzbündler, Chaim Miller kann heute noch Arbeiterlieder singen. Sein Judentum hat für den Burschen Alfred keine Bedeutung. Bis zum Regimewechsel 1933. Schon vor dem Einmarsch der Nazis, im austrofaschistischen Ständestaat, wird ihm klar, dass er „als Jude nicht weit kommt“. Er beschließt, nach Palästina zu emigrieren.

Seine Eltern wollen ihn zum Bleiben überreden, doch im Februar 1939 hat der 17-Jährige die nötigen Papiere beisammen und verabschiedet sich von den Eltern, die er nie mehr wieder sieht.

Sein Vater wird von der Gestapo zur Zwangsarbeit verschleppt, kommt 1941 geschunden heim und stirbt an den Folgen von Folter und Haft. Seine Mutter wird im selben Jahr nach Riga deportiert und dort im Wald erschossen.

Der Abschied

Ein echter Inglourious Basterd
"Killing Nazis", Doku
Der Film begleitet Miller zu seinen Wurzeln nach Wien. Es gehört zu den eindruckvollsten Szenen, als der alte Mann die Treppen zu seiner ehemaligen Wohnung hinaufsteigt und sich an den Abschied erinnert. Wie ihm die Mutter ein paar Meter weit nachlief, als er mit der Straßenbahn in Richtung Freiheit fuhr. Ein Hauch von Rührung liegt da auf dem Gesicht des ewig Tapferen, der ansonsten stets die gleiche, leicht spöttische, scheinbar unberührbare Miene macht.

Auch, als er zu Beginn des Films durch den Kibbutz Kfar Menachem radelt, den er 1939 mit Jugendlichen aus Österreich und Deutschland mitaufgebaut hat, und lauthals das Horst-Wessel-Lied singt. Spöttisch-provozierend trägt er eine Hakenkreuzbinde und wirkt wie ein gealterter Brad Pitt alias Lieutenant Aldo Raine in Quentin Tarantinos Film „Inglourious Basterds“: Als wolle er sagen: Wir werden die Nazis nicht nur töten, wir werden sie auch gehörig verarschen.

„Killing Nazis“, der Film über den Wiener Buben Alfred Müller, der zum jüdischen Kämpfer Chaim Miller geworden ist, wirft Fragen über Moral und Gerechtigkeit, über Hass und Selbstjustiz auf. Und er erzählt fast ein Jahrhundert Geschichte, in dem der heute 91-Jährige Opfer und Täter, Helfer und Rächer, Kämpfer und Versöhner war und ist. Aufrecht und ungebrochen.

Als Generalfeldmarschall Rommel nach Palästina vorrückt, plant die Organisation Haganah, Vorläufer der späteren Armee Israels, ein Kommando-Unternehmen: Dutzende Juden aus Österreich und Deutschland sollen hinter deutschen Linien Sabotageakte ausführen – und müssen dafür als echte Nazis trainiert werden. Noch bevor seine Einheit zum Einsatz kommt, schlägt der britische General Montgomery 1942 Rommels Panzerarmee zurück. Doch Haganah möchte kämpfen. Als die Truppe den Marschbefehl erhält, ist der Krieg jedoch zu Ende. Die Briten fürchten Racheaktionen und stationieren die jüdischen Truppen deshalb nicht in Österreich oder Deutschland, sondern im Friaul. Dort erfahren die Soldaten vom Ausmaß der Vernichtung der Juden und der Auslöschung ihrer Familien. Sie beschließen, Selbstjustiz zu üben. Von jugoslawischen Partisanen erhalten sie Listen mit Adressen hochrangiger SS- und Gestapo-Männer. Die geheime Aktion „Nakam“ – Hebräisch für Rache – beginnt. Ehemalige NS-Schergen werden entführt, verhört und hingerichtet.

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