Eine Generation verlässt ihre Kinder

Rückkehr zur Familie: Drei Frauen, die in Westeuropa illegal arbeiteten, in ihrem Heimatdorf .
Ed Moschitz hat die Doku „Mama Illegal“ gedreht. Ein Gespräch über illegale Hilfskräfte und den Druck der FPÖ auf missliebige Journalisten.

KURIER: In „Mama Illegal“ (23.05 Uhr, ORF2) zeigen Sie, wie drei Moldawierinnen illegal nach Westeuropa reisen, um hier als Hilfskräfte zu arbeiten. Wie sind Sie auf den Stoff gekommen?

Ed Moschitz: Meine Frau und ich waren vor acht Jahren auf der Suche nach einer Babysitterin. Bekannte von uns haben uns auf die Moldawierin Aurica aufmerksam gemacht. Sie hatte damals um Asyl angesucht. Eines Tages hat sie meiner Partnerin ihre Lebensgeschichte erzählt: Dass sie ein halbes Jahr davor mit Schleppern in einem Wald nach Österreich gewandert ist. Sie hatte hohe Schulden bei den Schleppern und konnte nicht mehr zu ihren zwei Kindern nach Hause. Eines Tages habe ich sie darauf angesprochen, ob wir eine Reportage über sie drehen dürfen.

Sie haben Aurica über sieben Jahre mit der Kamera begleitet – auch in ihre Heimat. Was haben Sie dort erlebt?

Ich habe zum Beispiel ihren Mann kennengelernt, der arbeitslos zu Hause war und am Haus gebaut hat. Heftig war aber der Moment, als wir ihre Kinder in die Schule begleitet haben: Die Lehrerin ist in der Klasse durchgegangen und hat bei jedem Kind erzählt, wo die Eltern hingegangen sind – nach Spanien, Portugal, Italien. Da war mir bewusst, dass das eine europäische Dimension hat.

Ist es wirklich so, dass eine ganze Generation Mütter ihre Kinder zurücklässt, um illegal in Westeuropa Geld für die Familie zu verdienen?

Es ist jedenfalls eine ganze Generation von jungen Frauen gewesen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion plötzlich vor der Situation gestanden sind, dass es nichts mehr gab. Sie sind Schleppern in die Hände gefallen, die ihnen von Reisen in den Westen erzählt haben: „Da gibt es Wohnungen, die geputzt werden müssen, Kinder, die zu beaufsichtigen, Alte, die zu pflegen sind.“

Können die Frauen ihre Schulden bei den Schleppern jemals zurückzahlen?

Nein. Die Frauen zahlen zehn bis 15 Prozent Zinsen pro Monat und geraten in einen unheimlichen Druck. Sie bleiben also immer länger und entfremden sich Stück für Stück von ihren Familien zu Hause.

Wie wirkt sich diese Zerrissenheit auf die Familien aus?

Nach längerer Zeit merken die Frauen, dass es schwieriger wird, heimzufahren. Weil die Kinder so groß sind, die Konflikte mit dem Partner schon so tief sind, man sich schon eingelebt hat und vielleicht nach ein paar Jahren plötzlich Perspektiven bekommen hat. Manche bleiben fünf bis sieben Jahre hier, ohne jemals ihre Kinder wiedergesehen zu haben.

Sie sind als ORF-Journalist vor drei Jahren in das Schussfeld der FPÖ geraten, als Sie zwei junge Glatzköpfe mit der Kamera zu einer FPÖ-Veranstaltung begleitet haben. Parteichef Heinz Christian Strache behauptete, Sie hätten die beiden zu Nazi-Sagern angestiftet. Wie geht man als Journalist damit um?

Eine Generation verlässt ihre Kinder
APA3311757-2 - 17122010 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - "Schauplatz"-Reporter Eduard Moschitz während eines Interviews mit der APA am Freitag, 17. Dezember 2010, in Wien. APA-FOTO: ROBERT JAEGER
Das heißt, dass man es mit jemandem zu tun hat, der parlamentarische Immunität genießt. Er hat ein politisches Netzwerk und viel Geld hinter sich, damit kann er auch eine ganze Propagandamaschine hochfahren. Das hat vielschichtige Folgen gehabt, auch, dass wir die Dreharbeiten zu „Mama Illegal“ monatelang unterbrechen mussten.

Heuer hat die Staatsanwaltschaft endgültig die Ermittlungen in dieser Angelegenheit gegen Sie eingestellt. Gegen Strache war wegen möglicher falscher Beweisaussage ermittelt worden, das FPÖ-nahe Portal Unzensuriert.at musste Ihnen Entschädigungszahlungen leisten. Was bleibt nun davon?

Ich gehe davon aus, dass zu Beginn des nächsten Jahres das medienrechtliche Verfahren gegen Strache fortgesetzt wird.

Da wird der Parteichef noch einmal wegen seiner Anschuldigungen gegen mich aussagen müssen. Auch andere Zeugen der FPÖ werden noch einvernommen. Wir haben ja auch den Europäischen Gerichtshof (EGMR) für Menschenrechte angerufen, wo man den Fall bereits angenommen hat.

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