"Charlie Hebdo": Ansturm auch außerhalb Frankreichs

Nach dem riesigen Ansturm auf Charlie Hebdo in Frankreich ist das Satiremagazin auch in Großbritannien heiß begehrt. In London standen in der Nacht zum Freitag bereits ab Mitternacht Kunden an Verkaufsstellen an, wie britische Medien berichteten. Mehr als 1.000 Exemplare des französischsprachigen Heftes, das auf dem Titel einen weinenden Propheten Mohammed und den Schriftzug "Tout est pardonné" (Alles ist vergeben) zeigt, sollen in Großbritannien verfügbar sein. Laut Guardian gehen normalerweise rund 30 Hefte pro Woche über britische Ladentische.
In den Niederlanden war die neue Ausgabe der Satirezeitschrift am Freitag in kürzester Zeit ausverkauft. Vor Buch- und Zeitschriftenläden am Amsterdamer Hauptbahnhof standen am Freitag zeitig in Früh schon lange Schlangen. Nur wenige Minuten nach Öffnung der Läden um 6:30 Uhr war das Blatt ausverkauft, wie Händler im niederländischen Radio sagten. In den Niederlanden waren 500 Exemplare von Charlie Hebdo verkauft worden. Die erste Ausgabe nach dem blutigen Terroranschlag auf die Redaktion hatte auch in Frankreich an den ersten zwei Tagen ihres Erscheinens reißenden Absatz gefunden. Auch in Belgien und der Westschweiz gab es am Donnerstag einen regelrechten Ansturm auf die Verkaufstände.
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Bilder vom Ansturm auf "Charlie Hebdo":
Auch die Zeitungsstände in der Westschweiz erlebten am frühen Donnerstagmorgen einen regelrechten Ansturm auf die neue Charlie Hebdo-Ausgabe. Am Genfer Bahnhofkiosk dauerte es drei Minuten, bis 77 Exemplare vergriffen waren. Am Freitag werden auch in der Deutschschweiz flächendeckend Kioske beliefert. In Zürich waren bereits am Donnerstag einzelne Hefte verfügbar. Diese waren im Nu verkauft. In Deutschland kommt die französischsprachige Ausgabe von Charlie Hebdo spätestens am Samstag an den Kiosk.
Vertrieb in Österreich fraglich
Wann die Zeitschrift in Österreich erhältlich sein wird, ist nicht bekannt, wie Morawa am Donnerstag auf Anfrage der APA mitteilte. Der Pressevertrieb warte täglich auf Informationen, wann "Charlie Hebdo" nach Österreich geliefert werde, hieß es am Donnerstag. Morawa hatte die französische Zeitschrift bisher nicht im Programm, es gebe aber zahlreiche Anfragen vonseiten der Zeitungshändler.
Auch in Frankreich bildeten sich am Donnerstagmorgen, dem zweiten Tag des Erscheinens der neuen Ausgabe von "Charlie Hebdo"- wie bereits am Vortag lange Schlangen vor den Verkaufsständen. Die Zeitungen waren aber vielerorts wieder schnell ausverkauft, viele Kunden reservierten daher für Freitag ein Exemplar. Charlie Hebdo wird in den kommen Tagen immer wieder nachgeliefert, fünf Millionen Exemplare sollen insgesamt gedruckt werden. Eine solche Auflage hat in der Geschichte Frankreichs noch keine Zeitung erreicht.
Die neue Charlie Hebdo-Ausgabe war am Mittwoch in den Handel gekommen, genau eine Woche nach dem Anschlag auf die Redaktionsräume der Satirezeitung mit insgesamt zwölf Toten. Am Mittwoch wurden eine Million Exemplare den Zeitungsverkäufern förmlich aus den Händen gerissen. Auch am Donnerstag wurden eine Million Exemplare angeboten.
Überleben gesichert?
Die Einnahmen durch den Verkauf der Zeitungen, Spenden und von der französischen Regierung zugesagte Zahlungen dürften sich auf zehn Millionen Euro summieren. Damit dürfte das finanzielle Überleben der seit Jahren unter Geldproblemen leidenden Zeitung über Jahre gesichert sein.
Die neue Ausgabe von Charlie Hebdo macht sich unter anderem über die islamistischen Terroristen lustig, die am vergangenen Mittwoch bei einem Angriff auf die Reaktion zwölf Menschen erschossen hatten.
- Im Leitartikel des Magazins schreibt man über die Vorbereitungen: "Seit einer Woche hat Charlie, eine atheistische Zeitung, mehr Wunder vollbracht, als alle Heiligen und Propheten zusammen".

- In einer anderen Karikatur fragen die von der Polizei getöteten Attentäter im Himmel nach Jungfrauen, die sie von Gott als Belohnung für ihren Terrorangriff erwarten. Die seien alle beim Team von Charlie, wird ihnen aus einer Wolke zugerufen, in der eine wilde Party steigt.

- Im Auslandsteil wird von dem verheerenden Boko-Haram-Massaker in Nigeria von vergangener Woche berichtet. Ein Dschihadist sagt: "2000 potenzielle Charlie-Abonnenten weniger".
- Auch die Solidaritätsbekundungen für die Toten von Charlie Hebdo werden aufs Korn genommen. Ein Bild zeigt die rechte Politikerin Marine Le Pen von der Front National und ihren berüchtigten Vater Jean-Marie Le Pen. Statt "Je suis Charlie" trägt Marine Le Pen ein Schild mit der Aufschrift "Ich bin begeistert". Ihr Vater, der Charlie Hebdo kritisiert hatte, hält hoch: "Ich bin Charlie Martel". Karl Martell, genannt "der Hammer", ist eine historische Figur. Er hatte 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers die einfallenden Araber abgewehrt.
- Einer der Attentäter habe bei einem Pariser Entsorgungsbetrieb gearbeitet, steht über einer Zeichnung. Darin steht ein junger Mann vor zwei Mülltonnen. Auf einer steht "gut" auf der anderen: "böse". Er kratzt sich am Kopf und meint: "Das ist zu kompliziert."
Der Mann ähnelt den Kouachi-Brüdern, es wird aber im ganzen Heft vermieden, die Namen der Terroristen zu nennen. Sie wollten den Mördern in ihrem Heft keine Bühne geben, sagte der Karikaturist Luz bei der Pressekonferenz am Dienstag.
Das gesame Heft von "Charlie Hebdo Nr. 1187" ist unter diesem Link abrufbar.

Sichtlich aufgewühlt gaben die Macher am Dienstag Einblicke in die Entstehung der neuen Ausgabe. Er habe geweint, als er die Mohammed-Karikatur für die Titelseite fertig gezeichnet habe, berichtete der Karikaturist Luz bei einer Pressekonferenz in Paris.
Auf der Charlie Hebdo-Titelseite hält ein weinender Mohammed ein Schild mit dem inzwischen weltweit bekannten Solidaritäts-Spruch für die Anschlagsopfer, "Ich bin Charlie". "Unser Mohammed ist in erster Linie ein Mann, der weint", sagte Luz, der immer wieder nach Worten rang und bei seinen Ausführungen lange Pausen machte. "Ich habe keinerlei Sorge, was mein Titelblatt angeht. Denn ich glaube, dass die Menschen intelligent sind, immer mehr, als man glaubt."

Auch in Österreich große Nachfrage
Wann die neue Ausgabe von Charlie Hebdo in Österreich erhältlich sein wird, ist noch unklar. Morawa teilte mit, möglicherweise erhalte man kommende Woche einige Exemplare. In der Morawa-Filiale in der Wiener Wollzeile hofft man, mit einigen Exemplaren beliefert zu werden. Es gebe bereits hunderte Anfragen von Kunden, die das Satiremagazin erwerben wollen. Der Filialleiter sagt gegenüber dem KURIER: "Es gibt am Telefon derzeit nur ein Thema: Charlie Hebdo. Auch im Geschäft hört man überall: Charlie, Charlie . . ."
In der Schweiz wird die Sonderausgabe am Donnerstag erhältlich sein. In der Deutschschweiz wird die Auslieferung bis Freitag auf sich warten lassen, wie die zuständigen Stellen am Dienstag auf Anfrage bekannt gaben.
Die afghanischen Taliban haben die Mohammed-Karikaturen in der neuen Ausgabe der französischen Satire-Zeitung Charlie Hebdo scharf verurteilt. In einer Erklärung sprachen die Islamisten von einem "abstoßenden und menschenverachtenden" Vorgang. Sie betrachteten die "Täter" und alle, die die Veröffentlichung der Karikaturen erlaubt und unterstützt hätten, als "Feinde der Menschlichkeit". Mit dem Anschlag auf die Zeitung hätten die Attentäter die Verantwortlichen "zur Rechenschaft gezogen". Um den "Weltfrieden" nicht zu gefährden, dürften keine weiteren Karikaturen veröffentlicht werden.
Das pakistanische Parlament versammelte sich sogar zu einem Protestmarsch vor dem Parlament. Die Veröffentlichung der Mohammed-Karikatur wurde einstimmig verurteilt. "Wir drängen die Internationale Gemeinschaft inklusive der Europäischen Union, sicherzustellen, dass solche Vorfälle nicht wiederholt werden", hieß es in einer am Donnerstag in Islamabad verabschiedeten Resolution. Eisenbahnminister Saad Rafiq sagte: "Warum machen Menschen im Westen so etwas, wenn sie wissen, dass die Strafe dafür nach unserer Scharia der Tod ist?" Islamistische Gruppen kündigten für Freitag Protestmärsche in Pakistan gegen die Veröffentlichung der Karikatur des Propheten Mohammed an.
Die Regierung im westafrikanischen Senegal hat die Verbreitung und den Verkauf der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" verboten. Auch der Verkauf der örtlichen Tageszeitung Liberation, die die Mohammed-Karikaturen der jüngsten Ausgabe gedruckt hatte, wurde untersagt.
Isat Rischek von der im Gazastreifen herrschenden Hamas kritisierte: Das Bild des weinenden Mohammed gieße nur "Öl auf das Feuer". Die offizielle Hamas-Zeitung "Felesteen" veröffentlichte am Donnerstag eine eigene Karikatur, die eine Einschränkung der Meinungsfreiheit fordert, wenn sie zur Beleidigung Mohammeds genutzt werde. Auf dem Bild ist eine Hand mit der Aufschrift "Alles außer dem Propheten" zu sehen. Sie stoppt einen Pinsel mit einem Satanskopf. Eine Hand hält den Pinsel und auf dem Ärmel steht "Meinungsfreiheit".
Mohammed als Tabu
"Wer Mohammed verunglimpft, schmort in der Hölle", hatte ein iranischer Freitagsprediger im Jahr 2005 anlässlich des sogenannten Karikaturenstreits gesagt. Diese Haltung scheint sich nach dem neuerlichen Abdruck von einer satirischen Abbildung des Propheten des französischen Magazins "Charlie Hebdo" wieder wie ein Lauffeuer in der islamischen Welt zu verbreiten. Denn Mohammed gilt als Tabu.
Der Koran an sich enthält kein dezidiertes Abbildungsverbot des Propheten. Hingegen ist die Anbetung von Götterbildern - also der Götzenverehrung - strikt untersagt. Denn wie bei anderen monotheistischen Religionen ist der Hintergedanke jener, dass nicht das Bild wichtiger wird als das, was es repräsentiert. Wenn in diesem Fall der Moslem das Abbild Mohammeds anbetet, statt den, wofür es eigentlich steht, ist ein Tabu erreicht.
In Überlieferungen der Sunna, die neben dem Koran als zweitwichtigste Quelle gilt, wird man schon konkreter: Kein Lebewesen, das Lebenskraft hat - sowohl Tier als auch Mensch -, soll dargestellt werden, insbesondere keine Personen, die es zu würdigen gilt, wie beispielsweise Propheten. Denn keiner soll sich mit dem Schöpfer auf einer Ebene wähnen. Denn ein Künstler schafft Leben - wenn auch nur auf dem Papier oder in Stein.
Flexibel
Doch ganz so tabu war die Abbildung auch innerislamisch nicht, wie die Geschichte zeigt: Viele muslimische Länder zeigten sich flexibel in der Interpretation des Bilderverbots. Im schiitischen Iran etwa gab es immer Mohammed-Darstellungen, nur waren jene vor allem für das private Betrachten einer vornehmen Klientel und nicht für die Öffentlichkeit gedacht.
Aber auch Sunniten malten ihren Propheten. So finden sich in der frühosmanischen Tradition Bilder, in denen selbst Mohammed mit einem Schleier, einem weißen Fleck oder einem Spruch statt eines Gesichts dargestellt wird. Strikter wurde die Abbildungspraxis seit dem 19. Jahrhundert, als der Diskurs von modernistischen Bewegungen vereinnahmt wurde. Als Reaktion auf verunglimpfende Zeichnungen in Europa wurde die Verbildlichung des Propheten, aber auch der damaligen Sultane, als ein westliches Element der Herabwürdigung des Islam und des Osmanischen Reiches betrachtet.
Daher gilt vor allem für muslimische Medien das oberste Gebot, den Propheten ja nicht abzubilden. Wer dies tut, so die Zugangsweise, muss mit Konsequenzen rechnen.
Gemäßigte und extreme Stimmen
Während der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif nach der Mohammed-Karikatur auf der aktuellen Titelseite von Charlie Hebdo lediglich Respekt für Heiligkeiten verlangt, gibt es andere muslimische Stimmen, die extremer reagieren. "Wenn wir nicht lernen, einander zu achten, wird es sehr schwer in einer Welt unterschiedlicher Meinungen und unterschiedlicher Kulturen und Zivilisationen", sagte Zarif am Mittwoch in Genf.
Die einflussreiche islamische Al-Azhar-Universität in Kairo - eine der einflussreichsten Lehranstalten des sunnitischen Islams - forderte Muslime auf, die Veröffentlichung zu "ignorieren". Der Prophet sei "zu erhaben", um durch diese "hasserfüllte Frivolität Schaden zu erleiden".
In den Philippinen gingen in der mehrheitlich muslimischen Stadt Marawi rund 1.500 Menschen aus Protest gegen die Karikaturen auf die Straße. Einige reckten die Fäuste in die Luft, zudem wurde ein "Charlie Hebdo"-Plakat verbrannt. "Was in Frankreich passiert ist, die 'Charlie Hebdo'-Morde, ist eine moralische Lektion für die Welt, jede Religion zu respektieren, insbesondere die Religion des Islam", hieß es von den Veranstaltern.
Abdruck in der Türkei
Prompt kam die Polizei und durchsuchte die Lastwagen mit den druckfrischen Zeitungen und ließ diese erst passieren, als sie sich vergewissert hatte, dass die Mohammed-Karikatur vom Charlie Hebdo-Titel nicht publiziert wurde. Sie hatten anscheinend nicht gründlich genug gesucht.
Zwar fand sich die Karikatur - auf der ein weinender Prophet Mohammed ein Schild mit der Aufschrift "Je suis Charlie" hält - nicht in der vierseitigen Cumhuriyet-Beilage. Auch andere Mohammed-Karikaturen sind dort nicht abgedruckt. Dafür veröffentlichte die Redaktion den Charlie Hebdo-Titel in kleinerer Form in Kommentarspalten auf zwei Seiten anderswo im Blatt.
Seither erhält die Redaktion Morddrohungen, denn die Gegner der Veröffentlichung sympathisieren mit dem eingangs erwähnten Slogan des Freitagspredigers. Somit gilt ihrer Ansicht nach auch für Cumhuriyet: "Wer den Propheten verunglimpft, schmort in der Hölle."
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hat den Abdruck von Mohammed-Karikaturen verurteilt. "Pressefreiheit bedeutet nicht die Freiheit zur Beleidigung", sagte Davutoglu nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag in Ankara vor seiner Reise nach Brüssel.
Insbesondere wenn es den Propheten betreffe, könne man das nicht als Pressefreiheit betrachten. "In diesem Land erlauben wir keine Beleidigung des heiligen Propheten. Das ist eine sehr klare und grundsätzliche Haltung." Davutoglu erklärte weiter, in der Türkei herrsche eine große Sensibilität bezüglich des Themas. Unter diesen Umständen eine den Propheten beleidigende Karikatur zu veröffentlichen, sei eine Provokation.
Die erste Ausgabe des Satiremagazins Charlie Hebdo nach dem Terroranschlag hat am Mittwoch auch viele neue Leser gefunden:
"Ich kaufe die Zeitschrift regelmäßig, aber heute möchte ich sie natürlich noch mehr haben. Der Zeitung und auch des Ereignisses wegen. Auch wenn mich manches darin oft schockiert. Ich selbst bin Katholikin, und es wird sich ja nun wirklich über alles und jeden lustig gemacht. Aber das ist Frankreich, Satire gehört dazu."
(Charlie-Käuferin
Simone Bartoli, 59, in
Paris)
"Ich habe Charlie immer gelesen. Nicht jede Woche, aber er gehört einfach zu Frankreich. Heute geht es mir auch darum, die Redaktion wertzuschätzen. Die Zeitung stand schon immer in der Kritik, aber letztendlich ist es eine Frage des Prinzips, dass es sie geben muss."
(
Charlie-Fan Philippe
DuPont, 79, in
Paris)
"Nie, ich habe noch nie Charlie Hebdo gekauft. Jetzt wollte ich ein Exemplar für eine Freundin in New York kaufen, die mich darum gebeten hat."
(
Mary Neil, 71, aus
New York City, an einem Zeitungskiosk)
"Ich hatte 40 Exemplare, die waren in wenigen Minuten weg. Einige standen schon hier, als ich den Kiosk aufmachte. Morgen früh gibt es das Blatt wieder."(Zeitungsverkäufer Henri an der Pariser Oper)
"Ich kaufe die Zeitung heute aus Solidarität und irgendwie auch, weil alle darüber sprechen. Ich habe das aber noch nie gelesen und bin auch nicht sicher, dass ich das in Zukunft tun werde."
(Eine Pariserin, 52, die ihren Namen nicht nennen will)
"Ich hätte gerne zwei Ausgaben mit nach Kanada genommen. Ich mag Karikaturen und ich finde es schade, dass man so etwas in Kanada nicht sieht. Ich finde es sehr gut, dass die Redaktion weiter gemacht hat, denn es nicht zu tun, würde das Problem auch nicht lösen."
(Tamara Seidmann, 61, aus
Kanada)
"Ich habe heute Morgen ganz früh schon eine Ausgabe ergattern können. Aber ich möchte insgesamt fünf haben - für meine Familie."
(
Sophia Dos Santos, 36, geduldig hüpft auch sie von einer Schlange zur nächsten, obwohl sie schon eine Ausgabe besitzt)
"Das ist nicht richtig. Wir sind genauso Kunden und haben in der Schlange gestanden. Ich finde das wirklich unmöglich."
(Benjamin Freoua, 29, junger Pariser, außerordentlich aufgebracht darüber, dass der Kioskbesitzer alle Ausgaben schon für Stammkunden reserviert hat)
Die französischen Tageszeitungen kommentieren am Mittwoch die erste Ausgabe nach dem blutigen Anschlag vor einer Woche auf die Redaktion in Paris, wie folgt:
Libération (
Paris):
"Die Titelseite von Charlie? Ein Modell politischer Intelligenz. Viele erwarteten eine Provokation, andere befürchteten ein Zurückweichen. Nichts von all dem. Der Prophet Mohammed ist wieder da. Aber in einer positiven Rolle, mit einem Hauch von Zärtlichkeit. (...) Die wirkliche Karikatur des Propheten ist die der Islamisten. Der wahre Islam ist der, den die Masse der Gläubigen in Frankreich praktiziert. Und dieser Islam hat seinen Platz in unserer Republik."
La Croix ( Paris):
"Und 'Charlie Hebdo' erscheint wieder. Auf der Titelseite eine Zeichnung, die weit weniger ätzend ist als frühere Karikaturen. In den Augen von Muslimen, die keine Darstellung des Propheten Mohammed akzeptieren, ist diese Zeichnung dennoch provozierend. Doch für das Team 'der Überlebenden' war es unmöglich, vor der Einschüchterung zurückzuweichen. Sie durften nicht auf die Karikaturen verzichten, die ihnen dieses Todesurteil eingebracht haben, sie durften ihre toten Freunde nicht verraten. Charlie ist sich selbst treu geblieben."
Le Monde ( Paris):
"Und nun? Was machen wir mit dem Schock, der in unserem Land ausgelöst wurde - von diesem Ausbruch der Gewalt und des religiösen Fanatismus, der den Tod von 17 Menschen verursacht hat? Was tun wir nun mit dieser überwältigenden Reaktion des Volkes auf ein Trauma, dessen Spuren in der Nation tief eingegraben sind und bleiben werden? (...) Versäumnisse müssen identifiziert werden, Verbesserungen sind notwendig. Doch die Folgen des 11. September 2001 haben uns gelehrt, dass die harte Gangart, Terror gegen Terror, keine Lösung ist und die Gefahr nur verlagert. (...) Die Ereignisse der letzten Tage erfordern ein gründliches Nachdenken über heikle, aber wesentliche Themen. (...) Um in diesem schwierigen Bereich voranzukommen benötigen wir Mut, Intelligenz und die Fähigkeit, zuzuhören."
Neues "Charlie Hebdo"-Cover auf fast allen Titelseiten

Das überwältigemde Interesse an der neuen Ausgabe Satiremagazins hat auch die Geschäftemacher auf den Plan gebracht. Am Mittwoch erschienen im Internet Dutzende Angebote, die Exemplare der schnell vergriffenen ersten Tranche der mehrere Millionen hohen Auflage anboten. Manche Anbieter verlangten dabei zum Teil tausende Euro für ein Heft.
Wohl am optimistischsten zeigte sich ein Verkäufer auf der französischen Internetseite von Ebay, dem gar 25.000 Euro als angemessener Preis für die "Zeitung der Überlebenden" vorschwebten. Während jedoch Angebote von mehreren Tausend Euro offenbar zunächst wenig Interesse fanden, erwiesen sich jene Verkäufer als erfolgreicher, die Versteigerungen mit niedrigen Startpreisen von wenigen Cent oder Euro ausriefen. Da konnte der Preis schon mal in nur einer Stunde auf mehrere Hundert, fallweise sogar auf über 2.000 Euro steigen - und ein Ende ist nicht abzusehen, da die Versteigerungen meist noch mehrere Stunden oder sogar Tage andauern.
Auf der österreichischen Ebay-Seite erreichte das Interesse an dem Satiremagazin zwar nicht derart hohe Ausmaße wie in Frankreich oder Großbritannien - immerhin gab es aber Gebote von über 150 Euro pro Heft. Ein Angebot von 500 Euro stieß hingegen vorerst auf kein Interesse.
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