Athen: Marathon hat jetzt erst begonnen

Athen: Marathon hat jetzt erst begonnen
Frisches Geld, Erlass von Schulden – das zweite Rettungspaket steht. Nun müssen die Griechen neue Kräfte mobilisieren.

Um kurz nach 4 Uhr früh war es endlich so weit. Nach mehr als 13 Stunden zäher Verhandlungen konnten sich die Euro-Finanzminister und Vertreter des Internationalen Bankenverbandes endlich auf das zweite Hilfspaket für Griechenland einigen.

Die Eckpunkte: Die Euroländer geben Athen nochmals Kredit, diesmal über den Rettungsfonds EFSF. Und es gibt den allerersten Schuldenschnitt für ein Euroland: Die Privatgläubiger (wie Banken und Versicherungen) sollen Athen mehr als die Hälfte der Schulden erlassen. Sie müssen auf 107 Milliarden Euro verzichten. Im Gegenzug wird Griechenland ein zweites Paket in Höhe von 130 Milliarden Euro (in Tranchen) zur Verfügung gestellt. Offen ist noch, welchen Anteil der Internationale Währungsfonds (IWF) an diesem Paket haben wird.

Zähigkeit

Athen: Marathon hat jetzt erst begonnen

„In den vergangenen zwei Jahren und in dieser Nacht habe ich gelernt, dass Marathon wirklich ein griechisches Wort ist“, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn nach den Verhandlungen erschöpft. Nach dieser Marathonsitzung beginnt für die Griechen aber erst der eigentliche Marathon. Ihnen werden 107 der insgesamt gut 350 Milliarden Euro Staatsschulden erlassen. Auch die Verzinsung für die bilateralen Kredite, die sie seit Mai 2010 bekommen haben (davon 1,56 Milliarden Euro aus Österreich), wurde gesenkt. Die Zähigkeit zum erfolgreichen Dauerlauf müssen die Griechen nun selbst aufbringen.

Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria, bringt es auf den Punkt: „Die Griechen müssen sich darum kümmern, dass sie nicht mehr ausgeben als einnehmen. Sie müssen jetzt über ihr eigenes Schicksal entscheiden.“ Das Damoklesschwert der Staatspleite hänge jetzt nicht mehr akut drohend über dem Land. Jetzt sei Zeit für Reformen gewonnen worden. „Aber nicht, weil es andere Euroländer oder Brüssel sagen, sondern weil es den Griechen bewusst wird.“

Das Bewusstsein ist vorhanden. „Für Griechenland ist jetzt die Zeit der Umgestaltung und Neuordnung gekommen“, schreibt die angesehene Online-Zeitung tovima.gr. Wenn es seine Chance nicht nutze, werde es das nächste Mal keine Rettung geben. Eine Karikatur auf der Titelseite der Tageszeitung Ta Nea zeigt den Ministerpräsidenten Papademos und den schwergewichtigen Finanzminister Venizelos, die das Hilfspaket ausgehandelt haben, als Gallierhelden Asterix und Obelix. Grundtenor in anderen griechischen Medien: Wir dürfen die Dinge nicht wieder so schleifen lassen wie in den vergangenen zwei Jahren.

Offen ist, wie viele Privatgläubiger sich dem „freiwilligen“ Schuldennachlass anschließen. Die Regierung in Athen will sie notfalls per Gesetz dazu zwingen – was für böses Blut sorgen könnte.

Wie wird der Marathonlauf ausgehen? Der KURIER beschreibt drei Szenarien:

Szenario 1: Aufschwung - Die Kondition wird immer besser

Athen: Marathon hat jetzt erst begonnen

Der Schuldennachlass in Höhe von 107 Milliarden Euro und weitere Hilfskredite verschaffen Griechenland Luft. Im Positiv-Szenario können damit Reformen zügig angegangen werden.
Die Erleichterung darüber, dass die Eurozone Griechenland nicht fallen gelassen hat, schürt Optimismus. Großen Teilen der Bevölkerung ist bewusst, dass Reformen und Einsparungen nötig sind – sie werden angegangen. Demonstrationen gegen den Sparkurs werden seltener. Ineffiziente Bereiche des Staatsapparates werden zusammengelegt oder geschlossen. Die Arbeitslosenrate sinkt trotzdem, weil die neue Zuversicht dazu führt, dass Kleinst- und Kleinunternehmen gegründet werden. Griechenland achtet auf eine deutlich bessere Leistungsbilanz und darauf, die Exportwirtschaft zu fördern. Dabei werden zunehmend mehr interessante Projekte identifiziert, die aus den EU-Fördertöpfen mitfinanziert werden. Alles in allem geht es mit der Wirtschaft aufwärts. Das lockt auch Investitionen von außerhalb ins Land. Die Wettbewerbsfähigkeit verbessert sich zusehends.

Szenario 2: Weiterwursteln - Mühsam mit Muskelkrämpfen

Die Politiker in Athen jagen zwar offiziell die großen Steuersünder. Tatsächlich müssen aber Beamte und Pensionisten mit Einkommenskürzungen die Zeche bezahlen. Die Wut der Bevölkerung darüber, dass sie den Großteil der Lasten zu tragen hat, nimmt in diesem Szenario nicht ab. Bei sinkenden Einkommen leidet auch der Konsum. Nur mühsam lassen sich die Griechen von ihrer Regierung davon überzeugen, dass die Staatsausgaben zurückgefahren werden müssen. Einsparungen sind immer wieder von Generalstreiks und Demonstrationen begleitet. Die Gewerkschaften kämpfen derart erbittert, dass aus der einen oder anderen Reform nur Reförmchen werden. Trotz allem gelingen Liberalisierungen, die langfristig zu besserer Wettbewerbsfähigkeit führen. Auf mittlere Sicht kommt die Wirtschaft allerdings nicht so richtig in Schwung. Die Euroländer helfen noch einmal: Sie erlassen Griechenland einen Teil der bilateralen Kredite aus dem ersten Hilfspaket. Mit der nun geringeren Schuldenlast fasst Griechenland endlich Tritt. Vom Kapitalmarkt ist das Land noch lange abgeschnitten.

Szenario 3: Pleite - Die letzten Kräfte gehen aus

In diesem schlimmsten Szenario schleppt sich Griechenland noch über die nächsten Monate. Und dann folgt der Zusammenbruch. Die zugesagten Reformen werden nicht durchgeführt. Den Geldgebern vergeht endgültig die Lust, sich nur von Versprechungen hinhalten zu lassen – sie stoppen die Zahlungen. Griechenland erklärt offiziell den Staatsbankrott und stellt seinerseits die Bezahlung seiner Staatsschulden ganz oder teilweise ein. Das Land tritt über Nacht aus der Eurozone aus und führt die Drachme ein. Auch ohne die Tilgung von Schulden muss das Land jetzt damit auskommen, was es hat – die eigenen Steuereinnahmen. Die reichen hinten und vorne nicht, Pensionen und Beamtengehälter können zum Teil nicht bezahlt werden. Es kommt zu einem Run auf die griechischen Banken, weil die Bevölkerung Angst um ihr Erspartes hat. Die Drachme wertet im Verhältnis zum Euro rapide ab. Das hilft zwar dem Tourismus, lässt aber die Inflation in die Höhe schießen. Importgüter wie Öl werden zum Luxus. Die Kaufkraft der Griechen schwindet weiter.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

Kommentare