Armut führt zu Handlungsmustern, die zu Armut führen

Menschen, die täglich vor der Frage stehen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, können es sich, der Theorie nach, kaum leisten, risikoreiche Entscheidungen zu treffen.
Wirtschaftswissenschafter Ernst Fehr über Armut, psychologische Auswirkungen und wirtschaftliches Handeln.

Armut erzeugt Stress und Angst. Das verändert die psychische Konstitution Betroffener. Was wiederum negative Auswirkungen auf ihr wirtschaftliches Handeln haben kann und den Weg aus der Armut erschwert. Diese These wird von mehreren Studien gestützt, die der aus Österreich stammende Wirtschaftswissenschafter Ernst Fehr von der Uni Zürich und Kollegen im Fachblatt Science zusammengefasst haben.

Am Anfang stehen Stress und Angst

Armut führt zu Handlungsmustern, die zu Armut führen
APA7581910 - 17042012 - WIEN - ÖSTERREICH: Wirtschaftswissenschafter Ernst Fehr wurde am Dienstag, 17. April 2012, mit der Verleihung des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst in die Österreichischen Kurien für Wissenschaft und Kunst aufgenommen. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
Den Beginn der Argumentationskette stellt die Annahme dar, dass Armut zunächst Stress, Angst und negative Emotionen erzeugt, erklärte Fehr, der Direktor des Instituts für Volkswirtschaftslehre und des UBS International Center of Economics in Society an der Universität Zürich ist, im Gespräch mit derAPA. Fehr und sein Kollege Johannes Haushofer vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA) führen in ihrer Analyse mit dem Titel "Zur Psychologie der Armut" Studien an, die das untermauern.

Auswirkung auf Risikofreude

Im nächsten Schritt zeigen die Wissenschafter, die psychologischen Auswirkungen von Angst und Stress auf das wirtschaftliche Handeln. Menschen, die etwa als Tagelöhner arbeiten und somit täglich vor der Frage stehen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen, können es sich, der Theorie nach, kaum leisten, risikoreiche Entscheidungen zu treffen. "Sie gehen von 'risikoavers' zu 'sehr risikoavers' über und gewichten zukünftige Erträge geringer", wie es Fehr ausdrückt.

Sie konzentrieren sich auf aktuell verfügbares Einkommen, zulasten der Aussicht auf ein in der Zukunft liegendes höheres Einkommen. Auch Investitionen, die sich erst viel später rentieren, wie etwa eine langwierige Ausbildung, werden nicht getätigt. "Es fehlt der lange Atem", so Fehr.

"Es fehlt der lange Atem"

"Unsere These ist, dass das etwas ist, was Armut erzeugt. Für jedes dieser Argumente haben wir die Literatur zusammengetragen, die diese Annahmen stützen", erklärte der Wirtschaftswissenschafter. Das verminderte Risikoverhalten wird meist in Laborstudien untersucht, wo die Testpersonen Stress und Furcht ausgesetzt sind.

Fehr führte etwa eine Untersuchung durch, bei der den Probanden eine Elektrode an einer Hand angebracht wurde, die unangenehme Reize knapp unter der Schmerzgrenze erzeugte. Wann ein solcher Reiz kam, konnten die Personen nicht beeinflussen. Fehr: "Das erzeugt verlässlich Angst und Furcht." Gleichzeitig mussten sie sehr viele Investitionsentscheidungen treffen, die mit gewissen Risiken verbunden waren. "Diese Hintergrundangst erzeugt ganz klar eine niedrigere Investitionsbereitschaft. Das ist in gewissem Sinne ein besonders überzeugendes Experiment, weil es eindeutig einen kausalen Zusammenhang zwischen Angst und Risikobereitschaft belegt", erklärte der Forscher.

Was tun?

Folgt man der Argumentationskette der Wissenschafter, ergeben sich mehrere Ansätze, um Armut und ihre Konsequenzen zu bekämpfen. Man könnte etwa Menschen in Armut einfach Geld geben. Ko-Autor Johannes Haushofer untersuchte die Wirkungen, die an keine Bedingung geknüpfte Geldspenden auf arme Menschen in Kenia hatten. Ein Jahr nach der Spende berichteten die Menschen über viel höheres Wohlbefinden und ein signifikant niedrigeres Stressniveau.

"Eine andere Methode ist, dass man die Konsequenzen der Armut bekämpft. Man weiß, dass arme Leute eher depressiv sind und in psychiatrische Behandlung müssen", erklärte Fehr. Therapeutische Maßnahmen könnten dabei helfen, "Handlungskompetenzen zu erhöhen, die es den Menschen dann ermöglichen, eher aus der Armut rauszukommen".

Die Analyse von Haushofer und Fehr ist Teil eines Schwerpunktausgabe der Fachzeitschrift "Science" zum Thema "Die Wissenschaft der Ungleichheit" mit Beiträgen zahlreicher namhafter Wissenschafter.

Kommentare