Argentinien rennt um sein Leiberl

Schulden- und Balljongleure: Präsidentin Fernández de Kirchner und ihr 2010 verstorbener Gatte Nestor (li.), Lionel Messi, Diego Maradona.
Nur noch 30 Tage Zeit für Verhandlungen, dann gilt der Zahlungsverzug offiziell als Staatspleite.

Gegen die Schweiz kann Argentinien ein Geniestreich von Lionel Messi retten. Im Match gegen die USA nicht: 13 Jahre nach der Staatspleite bringt ein Rechtsstreit mit US-Fonds das Land erneut an den Rand des Bankrotts. Die Geier kreisen: Am Montag, 30. Juni, wäre eine Zinszahlung fällig gewesen – jetzt läuft eine Nachfrist. In 30 Tagen gilt der Zahlungsausfall offiziell als Pleite.

Warum ist Argentinien schon wieder bankrott?

Das sind Spätfolgen der 95-Milliarden-Dollar-Pleite von 2001. Nach einem jahrelangen Streit verzichtete 2005 und 2010 die Mehrheit der Geldgeber ( 92,4 Prozent) auf zwei Drittel ihrer Ansprüche. Den Rest der Zinsen hat Buenos Aires seither brav bezahlt. Eine kleine Gruppe von Gläubigern verweigerte aber den Schuldenschnitt und forderten vor Gericht das ganze Geld zurück. Zwei US-Fonds erhielten kürzlich in New York Recht. Damit sitzt Argentinien in der Zwickmühle.

Wer hat diesen Rechtsstreit angezettelt?

Buenos Aires legt sich mit knallharten Profis an: Kläger sind die Hedgefonds NML Capital und Aurelius. Dahinter steckt US-Milliardär Paul Singer (Elliott Associates), dessen Geschäft darin besteht, Anleihen von Pleitestaaten billig aufzukaufen und eine Rückzahlung zu erstreiten.

Argentinien behauptet, Singer würde 1608 Prozent Gewinn in nur sechs Jahren einstreifen. Argentinien sagt, es will die Schulden bedienen, darf aber nicht. Stimmt das?

Die Situation ist verzwickt. Der Staat will seine Schulden begleichen – allerdings nur bei den "braven" Gläubigern, mit denen man sich geeinigt hat. Das US-Gericht hat aber entschieden, dass kein Geld ausbezahlt werden darf, solange die Hedgefonds nicht 1,5 Mrd. Dollar (samt Zinsen) erhalten haben. Die US-Bank, die den Zahlungsverkehr abwickelt, musste 832 Mio. Dollar Zinsen, die am Montag fällig waren, rücküberweisen.

Warum zahlt Argentinien nicht einfach – und aus?

Für Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner wäre der Gesichtsverlust groß – sie hat Zahlungen an die "Geierfonds" kategorisch abgelehnt. Zudem könnten andere aggressive Fonds dann 15 Mrd. Dollar einfordern. Schlimmer noch: Eine Vertragsklausel, die bis Ende 2014 gilt, würde sogar den rasierten Altgläubigern die volle Auszahlung ermöglichen. Der Schuldenschnitt wäre obsolet, den Staat würde das bis zu 120 Mrd. Dollar kosten. Bei der Ebbe in der Staatskasse wäre das völlig illusorisch: Die Regierung zeigt sich nun verhandlungsbereit.

Wie kommen die Hedgefonds sonst an ihr Geld?

Aus Angst vor einer Beschlagnahmung ihres Regierungsfliegers besteigt Präsidentin de Kirchner nur noch Miet-Jets. 2012 ließ Elliott ein argentinisches Marineschiff vor der Küste Ghanas festsetzen. Jetzt spitzt der Fonds auf zwei argentinische Satelliten beim kalifornischen Raumfahrtanbieter SpaceX. Das Gerichtsurteil macht es dem Fonds noch einfacher, den Kuckuck auf Staatseigentum zu picken: Er darf Informationen über Vermögenswerte der Gauchos in den USA einholen. Somit könnten Staatskonten eingefroren werden.

Was wären die Folgen einer neuerlichen Pleite?

Ob ein Staat nicht zahlen kann oder will, ist egal: Erhalten Gläubiger ihre Zinsen nicht rechtzeitig überwiesen, werten Ratingagenturen das als "technischen Zahlungsausfall". Dank Nachfrist kann bis Ende Juli verhandelt werden. Argentinien ist schwer angeschlagen, eine Pleite würde die Rückkehr an den Finanzmarkt erschweren.

Wird es normal, dass „reiche“ Industriestaaten ihre Schulden nicht zurückzahlen? Das legt eine Regeländerung nahe, die der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington diskutiert. Der Fonds ist die Anlaufstelle für pleitegefährdete Staaten, denen sonst niemand mehr Kredite gibt. Bisher galt dabei die Devise: Hopp oder dropp.

Nur, wenn ein Staat seine Schulden „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ zurückzahlen konnte, durfte der IWF große Rettungspakete schnüren. Bestand diese Aussicht nicht, musste das Land zuvor eine Umschuldung vornehmen. Sprich: Seine Geldgeber wurden rasiert. So sahen es die Regeln von 2002 vor. Schon bei Griechenland war das aber anders: Dort schnürte der IWF gemeinsam mit den Euroländern große Hilfspakete, bevor die Privatgläubiger – spät, aber doch – einem „Haircut“ unterzogen wurden.

Jetzt wird eine Zwischenvariante diskutiert: In Fällen, wo es nicht ganz sicher ist, dass ein Staat seine Schulden begleichen kann, sollen Gläubiger zu einem Stillhalteabkommen motiviert werden: Sie müssten eine Zeit lang auf Zinsen oder Rückzahlung der Kredite verzichten. Die (etwas zynische) Überlegung: Wird später doch ein Schuldenschnitt fällig, erwischt man so mehr Gläubiger.

Auffällig: Die Überlegungen, wie Staaten die Schulden auf Kosten von Sparern und Gläubigern abbauen können, häufen sich. In einer inoffiziellen IWF-Studie von Herbst 2013 wurde sogar berechnet, was eine zehnprozentige Zwangsabgabe auf Spareinlagen abwerfen würde.

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